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Bischofssynode
"Dem Papst sind keine Türen zugemacht worden"

Bei der Synode habe es zum ersten Mal seit Langem eine Diskussions- und Streitkultur gegeben, sagte der katholische Theologe Manfred Lütz im DLF. Die von manchen erhoffte Revolte gegen den Papst habe nicht stattgefunden. Im übrigen sei es wichtig, dass die katholische Kirche nicht dauernd über Sex rede. Die Prioritäten seien andere.

Manfred Lütz im Gespräch mit Dirk Müller |
    Manfred Lütz, katholischer Theologe, Autor und Arzt, aufgenommen am 13.10.2013 während der ARD-Talksendung "Günther Jauch" zum Thema: "Protz-Bischof oder Armen-Papst - was will die Kirche wirklich?" im Studio des Berlin Gasometer.
    Manfred Lütz, katholischer Theologe, Autor und Arzt. (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Er sei erleichtert über den Ausgang der Bischofssynode, sagte der Theologe Manfred Lütz im Deutschlandfunk. Für die katholische Kirche als größte Religionsgemeinschaft mit 1,2 Milliarden Menschen sei die Einheit ein hohes Gut, betonte Lütz. Im Moment würden im Irak und Syrien wieder Christen gekreuzigt. Vor diesem Hintergrund wäre ein Auseinanderbrechen ein falsches Signal gewesen.
    "Die Revolte gegen den Papst, die sich manche erhofft haben, hat es nicht gegeben", so der Theologe. Vielmehr sei die Synode der von Franziskus vorgegebenen Linie gefolgt, wonach die katholische Kirche ihre Grundsätze wahren, aber auf persönliche Einzelschicksale eingehen müsse. "Dem Papst sind keine Türen zugemacht worden, man hat ihm nichts verboten", meinte Lütz. Durch ihre vagen Formulierungen hätten die Bischöfe den Papst aufgefordert, selbst eine konkrete Weisung zu geben.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die große Reform ist wohl ausgeblieben. Das Abschlussdokument der Bischofssynode zu Ehe und Familie in Rom liefert wenig Konkretes. Doch immerhin gibt es dieses Mal einen Konsens und sogar vorsichtige Schritte in Richtung einer Öffnung. Was ist mit wiederverheirateten Geschiedenen und was ist mit Homosexuellen?
    Die große Synode der Bischöfe in Rom - unser Thema jetzt mit dem Theologen, Publizisten und Arzt Manfred Lütz, der sich in seinem neuen Buch damit beschäftigt, wie wir alle unvermeidlich glücklich werden können. Manfred Lütz ist Mitglied im Päpstlichen Laienrat. Er war ebenfalls sehr gespannt darauf, was in Rom herausgekommen ist. Guten Morgen!
    Manfred Lütz: Guten Morgen!
    Müller: Herr Lütz, sind die Katholischen dem Glück ein wenig näher gerückt?
    Lütz: Ich glaube schon. Ich glaube, dass die große Leistung dieser Synode eigentlich war, dass im Grunde zum ersten Mal seit Langem eine Diskussions- und Streitkultur tatsächlich geherrscht hat und dennoch diese Synode nicht auseinandergebrochen ist. Man muss sich einmal klar machen: Für diese Weltkirche von 1,2 Milliarden Menschen ist die Einheit ein hohes Gut. Das ist die größte Religionsgemeinschaft, die wir weltweit haben. Und zum Beispiel die Anglikaner, eine viel kleinere Gemeinschaft, die sind de facto auseinandergebrochen. Gerade zwischen Afrika und Europa hat sich hier so eine Bruchlinie gezeigt, die es ein bisschen auch jetzt auf der Synode gab.

    Und man muss sich auch mal klar machen: Im Moment gibt es gekreuzigte Christen wieder im Irak und in Syrien. Was wäre das für die ein Bild gewesen, wenn man da heftig gestritten hätte und auseinandergebrochen wäre? Die Einheit ist da, glaube ich, ein hohes Gut und die ist gewahrt worden. Und - das wurde eben in dem Beitrag schon zurecht gesagt - dem Papst sind keine Türen zugemacht worden. Man hat ihm sozusagen nichts verboten oder so, sondern man hat ihn auch mit etwas vageren Formulierungen im Grunde aufgefordert, eine konkrete Weisung zu geben.
    Müller: Hört sich so an als seien Sie ein bisschen erleichtert, dass es so ausgegangen ist?
    Lütz: Ja, das bin ich auch. Wenn der Streit zu heftig geworden wäre, zu verletzend geworden wäre, dann hätte es sicherlich Probleme geben können. Aber so hat man sich offensichtlich auch in der Weise, wie Franziskus mit den Bischöfen geredet hat, mehr aufeinander zubewegt. Gerade die deutsche Sprachgruppe hat ja einen einstimmigen Vorschlag gemacht, wo ganz unterschiedliche Kardinäle drinsaßen. Und wenn man noch die Friedenspreisrede von Navid Kermani im Ohr hat: Im Islam ist wohl das große Problem, dass die Tradition und auch die Autorität nichts mehr gilt, wie er beklagt hat. Das heißt, es ist wichtig, dass eine solche Religionsgemeinschaft wie die Katholische Kirche ihre Grundsätze wahrt, aber auf persönliche Einzelfälle eingeht. Das war auch sozusagen die Richtung, die der Papst ein bisschen vorgegeben hatte, und dieser Richtung ist die Synode durchaus gefolgt.
    "Es hat die Revolte gegen den Papst, die manche sich erhoffe haben, nicht gegeben"
    Müller: Ist das jetzt ein Freibrief für den Papst, genau das umzusetzen?
    Lütz: Ja, das glaube ich schon. Es hat die Revolte gegen den Papst, die manche sich erhofft haben, nicht gegeben und jetzt wird die Frage sein, wie der Papst es schafft, die durchaus unterschiedlichen Stimmen der Synode so zusammenzubinden, dass alle das wirklich als Aufbruch verstehen und keiner resigniert zurückbleibt. Wobei keiner, das muss man nicht übertreiben. Bei 1,2 Milliarden Katholiken wird es immer Einzelne, auch vielleicht einzelne Bischöfe geben, die da nicht richtig gut mitgehen können.
    Müller: Gehen wir mal auf Deutschland ein. Sie kennen ja die Stimmung, Manfred Lütz, sehr, sehr gut in den großen Gemeinden, in den kleineren Gemeinden. Was machen denn jetzt die Konservativen? Die haben schon fast die CDU verloren mit neuen Positionen und jetzt kommt noch die Kirche dazu?
    Lütz: Das glaube ich eigentlich nicht. Kardinal Marx galt immer als Konservativer. Auch die anderen Bischöfe sind ja nun nicht die großen Revolutionäre. Aber sie haben sicherlich sich bewegt in den letzten Jahren, auch durchaus begeistert, wenn man so will, von Papst Franziskus. Und man muss sich ja vielleicht auch mal ein bisschen klar machen: Das einzige was die Kirche kann in diesen Fragen, zum Beispiel der wiederverheirateten Geschiedenen, ist ja, den Leuten ins Gewissen reden. Mehr kann sie ja gar nicht. Die Leute stellen sich immer vor, wiederverheirateten Geschiedenen würde die Kommunion verweigert. Sie können als wiederverheiratete Geschiedene jetzt hier ins Nachbardorf gehen und sofort die Kommunion bekommen. Sie werden ja nicht an der Kommunionsbank gefragt, sind Sie wiederverheirateter Geschiedener.

    Das einzige, was die Kirche kann, ist, den Menschen, den Katholiken ins Gewissen reden, und dann muss das auch mit überzeugenden Worten geschehen, und der Papst weist immer wieder auf die Barmherzigkeit Gottes hin. Das, glaube ich, kann dazu führen, dass Menschen wieder der Kirche näherkommen. Andererseits ist die Tatsache, dass die Kirche an der Gültigkeit eines Versprechens festhält, auch etwas, was die Gesellschaft ja braucht. Wenn man sagt, man kann nur tun, wozu man Lust und Laune hat, dann wird es menschlich kälter in der Gesellschaft.
    Müller: Barmherzigkeit - das hört sich immer so groß an, auch schwer getragen. Der Papst hat alles Recht dazu. Heißt das in der Praxis übertragen, wenn wir auf die Gemeinden gehen, einfach nur großzügiger sein?
    Lütz: Ich glaube, man ist schon großzügig. In den Gemeinden selber werden ja wiederverheiratete Geschiedene nicht wirklich ausgegrenzt. Aber man hat eigentlich nicht sehr viel Fantasie entwickelt, wie man sie einschließt, wie man sie wieder in die Kirche bekommt. Schon Papst Benedikt XVI. hat gesagt, die Kirche hat bisher wenig getan, um deutlich zu machen, sie sind eben nicht exkommuniziert. Das waren sie auch nie. Sie sind von den Sakramenten ausgeschlossen gewesen und jetzt hat die Synode gesagt, man muss in den Einzelfällen sehen, wie die sehr unterschiedlichen Verhältnisse sind.

    Und außerdem ist, glaube ich, auch ganz wichtig, dass die Kirche nicht dauernd über Sex nur redet, also die Öffentlichkeit versucht, die Kirche da immer wieder zu Aussagen zu bringen. Es ist ja nicht so, dass alle Katholiken der Welt im Bett jetzt erst mal monatelang gewartet haben auf den Beschluss der Bischofssynode, was sie da jetzt machen können. Man muss die Prioritäten etwas anders sehen. Sie haben das eben erwähnt: Ich habe das Buch geschrieben "Wie Sie unvermeidlich glücklich werden". Da geht es ein bisschen darum: Das ist so eine kleine Geschichte der Philosophie des Glücks und geht gegen diese ganzen Glücksratgeber. Weil Glück eben nicht dieses egoistische Glück ist, sondern es hat damit zu tun, dass man eine Erfahrung vom Sinn des Lebens macht, und da ist die Kirche eine wichtige Institution.

    Wir haben jetzt hier bei uns Flüchtlinge im Dorf. Dieses Dorf ist glücklicher, seit es Flüchtlinge gibt, seit man Menschen helfen kann. Da sind Leute, die ganz für sich alleine gelebt haben, und jetzt können sie Menschen in Not helfen. Viele Kirchengemeinden sind beteiligt. Aber ich glaube, dieses Solidarische, das ist nicht nur für Christen, sondern auch für Atheisten sozusagen ein Weg, unvermeidlich glücklich zu werden, und darüber muss die Kirche mehr reden und das sagt auch der Papst.
    "Große Chance der Katholischen Kirche ist, dass der Papst Richtlinien geben kann, Dinge zu verändern"
    Müller: Wenn jemand versucht, mit diesem Glauben oder durch den Glauben glücklich oder noch glücklicher zu werden, dann ist das ein individueller Weg, sagen Sie, aber am besten in Gemeinschaft oder gut in Gemeinschaft jedenfalls umzusetzen. Das Problem der Katholischen Kirche mit Blick wieder auf die deutsche Perspektive - ist jetzt als Frage gestellt an Sie - war immer eigentlich das Problem, wenn man nicht ganz so glücklich damit war, immer ein Problem zwischen oben und unten, weil es unten immer funktioniert hat?
    Lütz: Na ja. Das oben und unten kann ja jetzt im Moment sehr gut funktionieren. Die große Chance der Katholischen Kirche ist immer wieder, dass der Papst tatsächlich auch Richtlinien geben kann, Dinge zu ändern und Extremismen zu meiden. Ich glaube, dass dieser Papst sehr klug und sehr seelsorglich mit der Kirche umgeht, auch mit den Bischöfen. Er hat zu ihnen gesprochen wie sozusagen ein Pastor. Wenn es gelingt, diese Weltkirche tatsächlich beisammenzuhalten und gleichzeitig in einer Zeit, wo die ganzen internationalen Institutionen in der Krise sind, wo die UNO im Nahen Osten nicht richtig funktioniert, wo die europäische Gemeinschaft Schwierigkeiten hat, dass eine Gemeinschaft von 1,2 Milliarden Menschen weltweit sich einigt in wichtigen ethischen Fragen und zusammenbleibt, das ist in sich schon eine unglaublich hoffnungsvolle Botschaft. Vor allem denke ich immer an die Christen im Nahen Osten, die furchtbar bedrückt sind und die nicht den Eindruck haben dürfen, die machen jetzt irgendwelche Debatten und hauen sich da die Schädel ein.
    Müller: Noch einmal auf Deutschland projiziert. Homosexuelle unser Stichwort. Werden Schwule und Lesben demnächst vollständig integriert werden können in der Kirche?
    Lütz: Erst mal ist der Ton des ganzen Papiers, auch was Homosexuelle betrifft, viel positiver gehalten, als das in früheren Papieren der Fall war. Das ist, glaube ich, schon ein wichtiger Schritt gewesen. Und Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien, der ja einen wichtigen Anteil am Zustandekommen dieses Einheitsergebnisses im deutschen Sprachzirkel hatte, Kardinal Schönborn hat darauf hingewiesen, dass man sich einfach jetzt mal auf die Familie konzentriert hat und das Thema Homosexualität später noch mal behandeln muss. Es wäre zu kurz gekommen bei der Synode ohnehin und vielen Homosexuellen ist Familie nicht das zentrale Thema und für das Thema Familie ist die Homosexualität nicht das zentrale Thema.
    Müller: Meine Frage war, ob es gelingt, Homosexuelle in der Kirche zu integrieren.
    Lütz: Ich glaube, im Moment ist es schwierig. Viele Homosexuelle fühlen sich immer noch ausgegrenzt. Aber der Papst hat dazu schon sehr einladende Sätze gesagt und ich glaube, dass die Kirche weiter fortschreiten wird, Menschen mit homosexueller Orientierung zu integrieren und nicht dauernd immer dieses Abgrenzende nur zu betonen. Es gibt viele. Es gibt diese Initiative Homosexuelle und Kirche. Da ist die Kirche auch im Dialog mit Menschen mit homosexueller Orientierung, und zwar auf Augenhöhe und nicht mehr von oben herab.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Theologe, Publizist und Arzt Manfred Lütz, zugleich Mitglied im Päpstlichen Laienrat. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Lütz: Alles Gute nach Köln!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.