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"Bisher sind wir noch nicht bei Existenzfragen"

Trotz drohender Verluste durch Einschränkungen im Flugverkehr hält der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, Staatshilfen gegenwärtig für unnötig. Die Fluggesellschaften befänden sich nicht in einer Existenzkrise, langfristige Folgen für Wachstum und Konjunktur seien nicht zu erwarten.

Michael Hüther im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.04.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Kaum etwas hat uns in jüngster Zeit unsere Abhängigkeit vom Flugverkehr so sehr vor Augen geführt, wie die aus Island kommende Aschewolke. Dass das Naturphänomen alles andere als nur lustig ist, gilt für Abertausende, nicht nur für Urlauber, die nach wie vor festsitzen und nicht nach Hause kommen. Auch die finanziellen Verluste sind jetzt schon enorm. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag beziffert den Rückgang des Handelsvolumens auf eine Milliarde Euro pro Tag, da ein Großteil der Exporte über den Luftraum abgewickelt werden – Einbußen, die allerdings nachgeholt werden könnten.

    Am Telefon begrüße ich Professor Michael Hüther, den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Schönen guten Morgen, Herr Hüther.

    Michael Hüther: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Eine Milliarde Euro Minus, das ist eine Größenordnung, die aus Ihrer Sicht realistisch ist?

    Hüther: Ja. Das sind natürlich im Augenblick alles gegriffene Größen. Wir versuchen, Vorstellungen zu entwickeln, welche Formen der Wertschöpfungskette von diesen Transporten betroffen sind, welche Verzögerungen sich damit verbinden. Aber es sind einfach mal Größenordnungen, die deutlich machen, es geht hier wirklich nicht um Kleinigkeiten, kann es ja auch nicht, denn es geht hier um internationale Arbeitsteilung. Das ist der Kern der Globalisierung und wenn, wie jetzt durch diese Aschewolke, der Flugverkehr so lahmgelegt ist, dann hat das natürlich sehr deutliche und sehr direkte Wirkung.

    Die andere Frage ist – Sie haben es in der Anmoderation angedeutet -, ist es etwas, was uns langfristig belasten muss, und da wäre ich doch sehr zurückhaltend.

    Heckmann: Welche Branchen sind denn besonders betroffen?

    Hüther: Das sind zum einen die, die hier wirklich im Bereich der Vernetzung der industriellen Bereiche, der industriellen Wertschöpfung, der Mess- und Regeltechnik, der Kleinteileproduktion, wo das alles so transportiert wird, betroffen sind. Aber ich glaube, der viel entscheidendere Punkt ist, dass einfach auch das Miteinander, das Entscheiden, das Zusammenkommen – und das konnte man, ich war gestern auf der Hannover-Messe, merken – betroffen ist.

    Wirtschaft im globalen Rahmen lebt davon, dass Menschen zusammenkommen. Das Telefon ist schön, aber es ersetzt das nicht, auch das Internet nicht und auch Videokonferenzen nicht. Das heißt, auch in einer solchen Situation, dass es gerade zur Hannover-Messe stattfindet, wo wir ja hofften, hier ein klares Signal auch für die Überwindung der Krise zu bekommen, ist nun jetzt eine Lähmung eingetreten, die Hallen sind relativ leer, es wird verzögert angereist, aber es steht sozusagen bildlich für das, was eigentlich hier betroffen ist.

    Heckmann: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag geht davon aus, Herr Hüther, dass die Verluste, die jetzt eingefahren werden, mittelfristig wieder nachgeholt werden können. Sehen Sie das auch so?

    Hüther: Ja. Grundsätzlich gilt, dass solche, wie wir jetzt aus ökonomischer Betrachtung sagen würden, exogenen Schocks, also Schocks, die nicht im wirtschaftlichen Geschehen selbst begründet sind, von den Volkswirtschaften, der Weltwirtschaft insgesamt eigentlich relativ gut verarbeitet werden, wenn sie jetzt nicht ewig dauern, und es zeichnet sich ja ab, dass hier doch Entspannung eintritt. Im Grunde ist es so, dass wir dann immer feststellen, das ist relativ schnell nachgearbeitet. Das hat natürlich in bestimmten Branchen Wirkung, es wird natürlich Wirkungen in der Branche der Fluggesellschaften haben, aber eigentlich kommen wir damit zurecht. Es ist ja nichts in Frage gestellt, was im Wirtschaften an sich zu Grunde lag, und das ist, glaube ich, ein entscheidender Punkt. Deswegen ist es eine völlig andere Dimension von Veränderung oder von exogenem Schock, als wir es jetzt zuletzt erlebt haben.

    Heckmann: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um eben diese Verluste nachzuholen?

    Hüther: Es darf jetzt nicht wirklich ein sehr langer Vorgang werden. Dann wird man überlegen, wie man überhaupt damit umgehen kann, denn man kann ja nicht einfach 30, 40 Prozent des über den Luftverkehr gehenden Warentransports über andere Wege ersetzen. Das ist ja auch nichts, was man auf Dauer dann machen möchte, weil einfach damit auch Effizienzverluste einhertreten. Dann, wenn das also sehr lange dauern würde, hätte das sicherlich auch Schwierigkeiten zur Folge, aber wenn es ein überschauberer Zeitraum bleibt, wenn sich das jetzt in dieser Woche oder in Tagen dann auch abwickelt, dann werden wir sehen, es wird relativ schnell verarbeitet, es wird nachgeholt. Die Volkswirtschaften und die Unternehmen sind flexibel. Das haben sie in vielen Krisen gezeigt, erinnern wir uns, wie eigentlich relativ zügig nach diesem schlimmen Vorgang am 11. September 2001 auch die Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat. Das kann uns eigentlich Mut machen. Was wir alle nicht im Griff haben, der Ökonom genauso wie andere auch nicht, wie lange nun dieser Naturvorgang dauert.

    Heckmann: Das heißt, Sie sehen derzeit keine Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum oder die Lage auf dem Arbeitsmarkt?

    Hüther: Ich halte das für relativ müßig, jetzt über irgendwelche BIP-Zahlen zu sprechen. Das hat natürlich jetzt in diesem Monat Konsequenzen, aber schauen Sie, wir haben auch über einen harten Winter gesprochen, dann wird auch immer über Zehntel beim Bruttoinlandsproduktszuwachs diskutiert. Das ist nicht wirklich erhellend, darum geht es im Kern auch nicht. Wenn die Akteure in der Wirtschaft wissen, dass das eigentlich sozusagen zu überwinden ist, dass wir damit umgehen können, dass wir das relativ zügig nachholen, dann wird hier nichts in Frage gestellt von den grundsätzlichen Perspektiven wirtschaftlichen Handelns: Lohnt es sich wieder zu investieren, ist insgesamt die Welt in einem Aufwärtstrend, greifen die strukturellen Faktoren der Globalisierung wieder? Das wird dadurch nicht in Zweifel gezogen und deswegen bin ich da eigentlich ganz zuversichtlich.

    Heckmann: Herr Hüther, Wirtschaftsminister Brüderle von der FDP hat gestern mögliche Staatshilfen ins Spiel gebracht, beispielsweise über die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Danach hat er dann doch wieder bei einer Pressekonferenz einen leichten Rückzieher gemacht. Sollte es solche Hilfen für die Flugunternehmen beispielsweise geben?

    Hüther: Das hängt jetzt wirklich auch von der Dauer des Vorgangs ab. Es ist natürlich etwas, wofür niemand etwas kann, auch die Fluggesellschaften nicht, und wir haben natürlich eine Situation, dass im letzten Jahr, 2009, durch die Weltwirtschaftskrise auch die Fluggesellschaften arg gebeutelt waren, alleine British Airways beispielsweise 400 Millionen Euro Verlust im vergangenen Jahr. Das zeigt ja, welche Größenordnungen da schon zu verkraften waren, und es wird, wenn sozusagen das durchwirkt, alleine jetzt dieser Ausfall und die Tagesverluste, natürlich zur Ausdifferenzierung zwischen Fluggesellschaften führen, es wird zur Verbündelung führen. Wir haben viele, die eher schwächer aufgestellt sind, und da muss man schauen. Aber bisher sind wir noch nicht bei Existenzfragen und ich bin immer sehr zögerlich, dass man gleich dann schon mal die Hilfen in den Raum stellt.

    Heckmann: Sollte das ganze Phänomen Anlass sein für die deutschen Unternehmen, für die deutsche Wirtschaft, über ihre Abhängigkeit vom Flugverkehr grundsätzlich nachzudenken?

    Hüther: Stellen Sie sich mal vor, es wäre irgendetwas, wir könnten nicht mehr mit den Schiffen über die Weltmeere fahren, etwas, was uns jetzt außerhalb der Vorstellung ist, was zumindest einem schlichten Volkswirt sich nicht vorstellen kann – ich konnte es mir auch nicht vorstellen, dass das dort in Island ausbricht -, dann würden wir ja auch nicht darüber sprechen, ob wir grundsätzlich den Schifftransport in Zweifel ziehen. Nein, ich glaube, was immer richtig ist, in einem Mix zu denken, das heißt alle Transportwege zu ziehen, aber das wird auch getan. Wir nutzen ja wirklich alles. Wir nutzen die Binnenschifffahrt, wir nutzen die Hochseeschifffahrt, wir haben vielleicht Möglichkeiten noch mehr der Verknüpfung zwischen den verschiedenen Verkehrssystemen, also Bahn, Flug, Schiff und so weiter und Lkw, aber damit wird ja nicht grundsätzlich jetzt auf Dauer das Signal gesetzt, der Flugverkehr ist nicht nutzbar.

    Heckmann: Die Aschewolke über Europa und die wirtschaftlichen Folgen. Darüber haben wir gesprochen mit Professor Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Herr Professor Hüther, danke Ihnen für das Gespräch.

    Hüther: Sehr gerne.