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BISS-Bundeskongress
Schwul - und die alten Probleme

Auch im Jahr 2016 erleben Homosexuelle ihr Älterwerden noch oft als schwierig. Bei einer Jahrestagung benannte die Interessenvertretung schwuler Senioren die Probleme. EU-Kommissar Günther Oettinger und seine Polemik kamen da gerade recht.

Von Axel Schröder |
    Der Schatten eines homosexuellen Paares.
    Vielen älteren Schwulen fällt es oft besonders schwer, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Die schweren Holztüren gleiten zur Seite, ein paar Stufen führen hinein ins Elisabeth-Stift in Hamburg-St. Pauli. So alt, dass sie in dem Seniorenheim wohnen müssten, sind Sigmar Fischer und Georg Roth aber noch nicht. Die beiden gehören zum Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren, kurz BISS, und das Elisabeth-Stift ist der Ort ihres Bundeskongresses. "Was mir immer wieder begegnet, ist die Frage: 'Warum braucht ihr eigentlich was Besonders? Ihr schafft euch doch ein eigenes Ghetto, wenn ihr ein eigenes Wohnding braucht!' Das Verständnis dafür, einen Perspektivenwechsel mal zu machen, sich mal vorzustellen, man wäre selber in dieser Situation, das ist etwas, was vielen Professionellen noch abgeht."
    Am Kaffeetisch mitten im Konferenzsaal erklären Georg Roth und Sigmar Fischer, warum es eben immer noch nötig ist, auf die besondere Lebenssituation von Schwulen, vor allem schwulen Senioren hinzuweisen. In einer halben Stunde werden hier, am zweiten Kongresstag, rund 200 Teilnehmer ihre Themen diskutieren, ein Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Vortrag halten. Dass der seit den 70er-Jahren andauernde Kampf für Schwulenrechte weitergehen müsse, zeige ein ganz einfacher Umstand, erklärt Georg Roth: "Ich arbeite in Köln in einer Einrichtung. Da gibt es jedes Jahr Workshops für Ältere zum Coming-Out. Und wenn ich unterwegs bin und mache bei irgendeiner Tagung einen Vortrag, kommen in den Pausen Leute zu mir und sagen: 'Mein Sohn ist übrigens auch schwul. Ich lebe auf dem Dorf. Aber da kann man das nicht so rauslassen!' Es gibt das alles heute noch! Es ist ein anderes Level als 1970, ganz gewiss. Aber es ist nach wie vor da."
    Appell an die Politik
    Und vielen älteren Schwulen falle es im Gegensatz zu Jugendlichen oft besonders schwer, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Deshalb sind die Angebote der bestehenden Gesprächskreise schwuler Senioren so wichtig, findet Sigmar Fischer: "Wo man sieht: Wie ist bei dir gelaufen? Was hast du gemacht? Wo hast du Bekräftigung gefunden? Oder wo hast du dich gewundert? Es war doch einfacher, als gedacht! Diese Geschichten sich zu erzählen, das schafft Verstärkung, Empowerment sozusagen, um den Weg weiterzugehen."
    Natürlich sind die beiden froh, dass Bundesjustizminister Heiko Maas endlich die Rehabilitierung und Entschädigung all jener Männer vorantreibt, die nach dem sogenannten Schwulen-Paragrafen, nach Paragraf 175, einst verurteilt wurden. Erst Mitte der 90er-Jahre (*) wurde er ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. "Solange da der Staat nicht pointiert Position bezieht, haben die Spießer immer noch das Recht zu sagen: 'Es ist was anderes!' Es ist genauso wie mit der 'Ehe für alle' - das sind alles Positionen, wo der Staat immer noch sozusagen die Türen öffnet für Menschen mit Bauchgefühlen."
    "Mir reicht das langsam!"
    Zu denen zählt Georg Roth auch den EU-Kommissar Günther Oettinger, der vor einer Woche (im Audio ist vom Wochenende die Rede, Anm. d. Red.) gegen eine angeblich bevorstehende "Homoehepflicht" polemisierte. Ganz so weit, wie immer angenommen, ganz so angekommen in einer heterosexuell dominierten Gesellschaft, sind schwule Menschen offenbar noch nicht. Ein Indiz dafür seien auch die homophoben Initiativen der AfD. In einer Kleinen Anfrage forderte die Partei von der thüringischen Landesregierung genaue Zahlen darüber, wie viele homosexuelle, lesbische oder transsexuelle Menschen in dem Land lebten. In Sachsen-Anhalt wurde der Zwischenruf eines AfD-Abgeordneten protokolliert, der anregte, Schwule ähnlich wie in Marokko zu inhaftieren.
    "Es ist beängstigend. Aber ich weiß auch, dass wir eine große Stärke haben. Und wir sind nicht allein. Es gibt auch andere demokratische Kräfte in diesem Staat, die sozusagen auch für eine Vielfalt sind, ohne schwul zu sein oder ohne lesbisch zu sein."
    Georg Roth schüttelt den Kopf. Dass es immer noch die - wie er sie nennt - Spießer gibt, die gegen jede Abweichung von der Norm polemisieren, kann er nicht verstehen: "Ich bin jetzt seit Ende der Siebziger in der Schwulenbewegung. Und mir reicht das langsam mit diesen Argumenten! Und ich will mein Leben auch bis zum Tod so leben, wie ich es leben möchte. Und da müssen die offiziellen Stellen auch Kante zeigen, und da müssen die auch bei uns stehen. Das verlange ich einfach. Ich zahle ja auch meine Steuern und erwarte von meinem Staat, dass er sich da auch einsetzt für meine Rechte und für meine Lebenslage!"

    (*) Anm. d. Red.: Eine frühere Fassung des Textes datierte die Abschaffung des Paragrafen 175 versehentlich auf Mitte der 80er. Tatsächlich wurde er im Juni 1994 gestrichen. Die Audiofassung enthielt bereits die korrekte Angabe.