Grundrechtsverwirkung
Wie man Björn Höcke von Wahlen ausschließen könnte

Wie kann die demokratische Ordnung gegen Störungen und Angriffe seitens der AfD geschützt werden? Forderungen, dem AfD-Politiker Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, gibt es schon länger. Ob ein solches Verfahren Erfolg hätte, ist unklar.

    Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag.
    Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, ist das Gesicht des rechten Flügels der AfD. Laut einem Gerichtsurteil darf man ihn als Faschisten bezeichnen. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Die AfD sieht sich nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg weiter im Aufwind. Die Gegner der Partei aus den anderen politischen Lagern und der Zivilgesellschaft halten die AfD dagegen für eine Gefahr für die Demokratie und sehen sich nach dem Eklat im thüringischen Landtag bestätigt.
    Sie befürchten, der von Björn Höcke angeführte und vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Landesverband könne die parlamentarischen Abläufe „von innen“ zersetzen – diesem Beispiel könnten andere aus der AfD folgen. Neben neuen Rufen nach einem Parteiverbotsverfahren wird seit einiger Zeit auch der Entzug von Grundrechten bei prominenten Verfassungsfeinden diskutiert.
    Wie sind die Chancen eines solchen Verfahrens, wer muss es beantragen, wer entscheidet letztendlich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Inhaltsübersicht

    Unter welchen Bedingungen kann man jemandem die Grundrechte entziehen?

    Der Grundrechtsentzug ist im Grundgesetz geregelt. Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte“, heißt es in Artikel 18.
    Genauso wie das im Grundgesetz geregelte Verbotsverfahren für Parteien (Artikel 21) soll der Grundrechtsentzug einzelner Personen die Demokratie schützen. Mit Blick auf die Weimarer Republik und die Machtübertragung an die Nationalsozialisten wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Demokratie schaffen, die sich gegen autoritäre und verfassungsfeindliche Bestrebungen wehren kann.

    Wie ist das genaue Verfahren einer Grundrechtsverwirkung?

    Der Entzug der Grundrechte muss vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung beantragt werden. Der Fall wird dann vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Dort werden die Parteien des Verfahrens angehört – also auch derjenige, dem Grundrechte entzogen werden sollen.

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    Die Grundrechtsverwirkung ist in erster Linie keine Strafe, sondern soll dafür sorgen, dass der Betroffene seine verfassungsfeindlichen Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann. Das Verfassungsgericht muss deswegen mittels einer „Gefahrenprognose“ feststellen, ob von dem Betroffenen wirklich eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie ausgeht.
    Bejahen die Richterinnen und Richter dies, heißt das nicht, dass sämtliche Grundrechte für immer entzogen werden. Karlsruhe kann auch nur einzelne Grundrechte entziehen und dies zeitlich befristen. Nach dem Verfassungsgerichtsgesetz gibt es auch die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen.

    Warum wird darüber diskutiert, dem AfD-Politiker Björn Höcke Grundrechte abzuerkennen?

    Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 holte die AfD jeweils rund 30 Prozent der Stimmen. In Thüringen und Brandenburg reichten die Ergebnisse für eine sogenannte Sperrminorität, mit der die Partei Entscheidungen der Landtage blockieren kann.
    Der Verfassungsschutz hat die AfD-Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Björn Höcke selbst darf von Gerichts wegen als Faschist bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund fordern Politiker wie der thüringische SPD-Landesvorsitzende Georg Maier einen härteren Kurs gegenüber Höcke.
    Gegendemonstranten halten am Rand einer Kundgebung der extremistischen und islamfeindlichen Pegida-Bewegung ein Transparent mit der Aufschrift "Björn Höcke ist ein Nazi" hoch.
    Demonstranten gegen rechts in Dresden im November 2023. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Auch der Publizist und Jurist Heribert Prantl sieht im Erstarken der AfD eine Gefahr für die demokratische Ordnung. Die Institutionen der Länder und des Bundes sollten sich dagegen auch mit Artikel 18 zur Wehr setzen.
    Gleiches forderte Anfang des Jahres eine Petition auf der Plattform WeAct, die sich dezidiert gegen Björn Höcke richtete.(*) 1,67 Millionen Menschen haben unterschrieben und appellierten an die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen, FDP CDU/CSU und Linke im Bundestag, die Bundesregierung zu einem entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu bewegen.

    Welche Chancen hätte ein Antrag gegen Höcke?

    In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es bereits vier Versuche, Grundrechte abzuerkennen. Alle scheiterten. Darunter war auch das Verfahren gegen den rechtsextremen Verleger Gerhard Frey, der die „Nationalzeitung“ herausgab. 1974 lehnte das Bundesverfassungsgericht einen Antrag der Bundesregierung ab, Frey das aktive und passive Wahlrecht abzuerkennen.
    Politisch zu bedeutungslos und nicht gefährlich genug für die freiheitlich-demokratische Grundordnung: Mit dieser Begründung hat Karlsruhe alle Verfahren bisher eingestellt.
    Bei Höcke könnte das nun anders sein. Im thüringischen Verfassungsschutzbericht wird er häufig genannt. Höckes Äußerungen sind die Grundlage dafür, dass der AfD-Landesverband in Thüringen als verfassungsfeindlich angesehen wird.

    Schneller und einfacher als ein Parteiverbot

    Publizist Prantl wirbt deshalb dafür, rechtsextremen Politikern wie Höcke mit dem Artikel 18 des Grundgesetzes zu Leibe zu rücken. Das sei schneller möglich und einfacher zu handhaben als ein Parteiverbot. Die Beweissituation sei bei Artikel 18 des Grundgesetzes einfacher – weil man nur das „verfassungswidrige und systemstürzlerische Agieren“ von einzelnen Personen, und nicht von einer ganzen Partei, nachweisen müsse.
    So sieht es auch die Verfassungsrechtlerin Gertrude Lübbe-Wolff: „Einzelne Personen aus dem Spiel zu nehmen, indem ihnen in einem Verfahren der Grundrechtsverwirkung die Wählbarkeit entzogen und politische Betätigung untersagt wird“, macht ihrer Ansicht nach auch deutlicher als ein Parteiverbot, „dass es wirklich um den Schutz der Verfassung und nicht darum geht, politische Konkurrenz grundsätzlich auszubooten“.

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    Der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart ist dagegen skeptisch: „Die Voraussetzungen des Artikels 18 des Grundgesetzes sind sehr eng gefasst.“ Außerdem könne die Anwendung eine weitere Polarisierung bewirken.

    Grundsätzlich sind die Hürden hoch

    Die Hürden beim Grundrechtsentzug sind hoch. Karlsruhe müsste den Fall eigenständig prüfen und könnte sich nicht nur auf die bestehenden Verfassungsschutzberichte berufen. Dazu gehört auch das Sammeln und Bewerten von neuem Material, das die Gefährlichkeit von Höcke für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestätigt oder eben nicht.
    Was dann rauskommt, kann man nicht sicher sagen. Klar ist aber: Ein solches Verfahren könnte sehr lange, vielleicht sogar Jahre, dauern.

    ahe, jk

    *Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version des Textes stand fälschlicherweise, dass der Bundestag wegen der Petition eine Anhörung machen müsse. Das gilt aber nur, wenn Petitionen über die elektronische Plattform des Deutschen Bundestages eingereicht wurden.