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BKA-Gesetz auf dem Prüfstand
Zwischen Bürgerrechten und Anti-Terror-Kampf

Seit das sogenannte BKA-Gesetz 2009 Gültigkeit erhielt, darf das Bundeskriminalamt nicht nur bereits begangene Straftaten verfolgen, sondern auch mögliche terroristische Angriffe im Vorfeld abwehren. Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die damit einhergehenden Überwachungsbefugnisse des BKA gegen Grundrechte der Bürger verstoßen.

Von Ina Rottscheidt |
    Ein mit "PRIVAT" gekennzeichneter Ordner auf dem Bildschirm eines Computers.
    Teil des BKA-Gesetzes und besonders umstritten: die Online-Durchsuchung. (Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
    Ein Freitagnachmittag Anfang April: Tief hängen die Wolken über dem Kölner Funkhaus. Der Journalist Bruno Schirra hat auf dem Weg vom Saarland nach Aachen einen kurzen Zwischenstopp eingelegt. Der Wahl-Berliner ist in Westdeutschland unterwegs und recherchiert in der salafistischen Szene:
    "Mit diesen Leuten kann man reden, das sind meistens überraschenderweise sehr kluge Leute, die sehr wohl wissen, wie weit sie sich in ihren Äußerungen wagen können, ohne in strafrechtlich relevante Probleme zu geraten. Diese Leute träumen nicht vom Krieg, sie predigen den Krieg."
    Komplett schwarz gekleidet sitzt Schirra bei einem doppelten Espresso und zündet sich eine Zigarette an. Seit Jahren recherchiert er in islamistischen Netzwerken. Er ist überzeugt:
    "Gehen Sie davon aus, dass noch in diesem Jahr in Deutschland vergleichbares wie in Paris und Brüssel geschehen wird. Deutschland ist 'first target'. Die sagen: Wir wollen euch hier treffen! In den Moscheen-Umfeldern wird das Hohelied des heiligen Tötens gesungen. Es wird gesagt: wir werden in diesem Jahr zuschlagen."
    Mehr will Schirra dazu nicht sagen. Doch wenn an diesem Mittwoch das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum BKA-Gesetz verkünden wird, dann schaut er mit gemischten Gefühlen nach Karlsruhe: Mehr Sicherheitsmaßnahmen - gut und schön. Aber der Journalist weiß selbst nur zu gut, welche Folgen die Überwachungen durch die Ermittlungsbehörden haben:
    Im April 2005 hatte er einen Artikel im Magazin "Cicero" über den irakischen Terroristen al-Sarkawi veröffentlicht. Die geheimen Informationen waren ihm aus dem BKA zugespielt worden. Polizeibeamte durchsuchten daraufhin die "Cicero"-Redaktion und seine Arbeits- und Wohnräume in Berlin auf der Suche nach dem Leck in den eigenen Reihen. Das war am 12. September 2005:
    "Man ist eigens mit der Wasserschutzpolizei – ich wohnte auf einer Insel in Berlin, Insel Valentinswerder – man hat die arme Wasserschutzpolizei aktiviert, die sind mit ihrem riesengroßen Boot dahin gefahren. Eine kompaniestarke Einheit von Staatsanwälten, Wasserschutzpolizisten BKA-Leuten, BND-Leuten etc. ritten da rein und beschäftigten sich ungefähr acht Stunden mit den Innereien meines Hauses, meines Archivs. Mein Haus war danach nackt."
    Der Autor und Journalist Bruno Schirra
    Der Autor und Journalist Bruno Schirra (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Schirra zieht an seiner Zigarette schaut nachdenklich den Rauchkringeln hinterher. Auch wenn zwei Jahre später das Bundesverfassungsgericht die ganze Aktion für verfassungswidrig erklärte - für ihn war sie das vorläufige Aus seiner investigativen Recherchen. Kaum ein Informant wollte mehr mit ihm sprechen. Schirra war 2005 zum Zeitpunkt der Razzia in Israel. Ausgerechnet auf einer Sicherheitskonferenz:
    "Das war um 8.13 Uhr, da bekomme ich den Anruf, dass die Durchsuchung stattfindet. Ich habe dann die eine oder andere Quelle noch in Israel noch angerufen und die Damen und Herren sagten: Sind Sie wahnsinnig, uns jetzt zu kontaktieren? Dieselbe Reaktion bei den palästinensischen Gesprächspartnern: Die sagten : Um Gottes Willen! Finden die jetzt unsere Namen bei Dir? Nein, tun sie nicht, aber das glaubt einem natürlich kein Mensch. Lange Rede, kurzer Sinn: Von ungefähr 200 Quellen, die ich hatte, blieben mir drei am Ende übrig."
    Das alles ereignete sich vier Jahre, bevor das neue BKA-Gesetz in Kraft trat. Seit dem 1. Januar 2009 gilt jedoch: Wenn es der Terrorbekämpfung dient, darf das Bundeskriminalamt Journalisten jetzt überwachen. Unter Verdacht stehen müssen sie dafür nicht; es reicht, wenn das BKA ein Interesse an ihren Hintergrundinformationen oder Quellen hat.
    Damit werden sogenannte Berufsgeheimnisträger in zwei Gruppen geteilt: Ein absoluter Schutz gilt jetzt nur noch für Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete. Sie dürfen unter keinen Umständen überwacht werden. "Normale" Rechtsanwälte hingegen unter bestimmten Umständen schon, Ärzte und Journalisten auch, wenn sie Kontakt zu potenziellen Gefährdern haben könnten:
    Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes, kritisiert das:
    "Es ist ähnlich, wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten, es muss ein besonderes Vertrauensverhältnis geben. Wenn ich mich an Medienvertreter wende, als Whistleblower zum Beispiel. Und ich kann keinem Informanten eine Vertraulichkeit zusichern, wenn ich ganz genau weiß, dass man bei mir mal locker durchsuchen kann, dass man mich ausspähen kann und den Informanten enttarnen kann. Dann spricht keiner mehr mit mir und dann habe ich das Problem, dass diese wichtige Rolle des Korrektivs in demokratischer Öffentlichkeit schlicht und ergreifend droht, wegzufallen."
    Ziel ist die effektivere Bekämpfung des internationalen Terrorismus
    Das eingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht - also die Möglichkeit, die Aussage und Herausgabe von Informationen zu verweigern - ist einer der vielen Kritikpunkte, über die das Bundesverfassungsgericht jetzt entscheiden muss.
    Rückblick: Es ist der 12. November 2008, als der Bundestag über die Reform des Bundeskriminalamtsgesetzes – kurz BKA-Gesetz – entscheidet. Petra Pau gibt als stellvertretende Parlamentspräsidentin das Ergebnis bekannt:
    "Mit Ja haben 375 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 168 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Sechs haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen."
    Ziel ist die effektivere Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Gesetz erlaubt den Wiesbadener Ermittlern erstmals, bereits tätig zu werden, wenn ein Terrorverdacht besteht und nicht erst, wenn die Straftat schon begangen wurde.
    "Weil's ja wichtiger ist, es passiert erst gar nichts. Also gegen Selbstmordattentäter zum Beispiel hilft die Strafverfolgung relativ wenig", verteidigt Wolfgang Schäuble das Gesetz. Er ist 2008 Innenminister in der Großen Koalition. Präventive Befugnisse zur Terrorbekämpfung hatten bislang nur die Polizeibehörden der Länder. Das reiche nicht, sagt Wolfgang Bosbach, der damals stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ist:
    "Die geltende Rechtslage ist doch geradezu kurios: Wenn ein Anschlag schon erfolgt ist und wir viele Opfer zu beklagen haben, dann hat das BKA die Befugnisse nach der Strafprozessordnung, die die Polizeibehörden der Länder auch haben. Wenn es aber darum geht, eine terroristische Gefahr im Vorfeld abzuwehren, also zu verhindern, dass überhaupt jemand stirbt, darf das BKA bis zur Stunde nichts."
    Mit der Novelle des BKA-Gesetzes dürfen die Beamten fortan beispielsweise Wohnungen abhören oder mit kleinen Kameras überwachen. Insgesamt 24 Eingriffsbefugnisse regelt das Gesetz in den Paragrafen 20a bis 20x, von der Rasterfahndung bis zur Telefonüberwachung. Besonders umstritten ist die Online-Durchsuchung. Dabei wird ein Computerprogramm, ein sogenannter Trojaner, auf dem Rechner eines Verdächtigen platziert. Mit ihm können Beamte dann den Mailverkehr, Chats oder Skype-Gespräche überwachen.
    Lange hatten Union und SPD über diesen Punkt gestritten. Im Bundesrat scheitert das Gesetz am Widerstand der SPD in einigen Bundesländern. In einem Vermittlungsverfahren einigen sie sich schließlich darauf, dass Online-Durchsuchungen auch in Eilfällen von einem Richter angeordnet werden müssen und dass bei der Prüfung des Materials auch ein Richter anwesend sein muss. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, der bereits im Vorfeld immer wieder versucht hatte, die kritischen Genossen zu überzeugen, ist danach zufrieden:
    "Wir haben das beste Polizeigesetz gemacht, das es in Deutschland gibt, gerade im Grundrechtsbereich, bei der Rasterfahndung, bei der präventiven Telefonüberwachung, bei der Onlinedurchsuchung: Kein anderes Gesetz auf Landesebene setzt diese sehr strenge Rechtsprechung von Karlsruhe so um wie dieses Gesetz, über das wir gerade reden."
    Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz
    Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Atmo Demo "Also, seid bunt, seid laut, skandiert Sprüche! Wollen wir das mal üben? - Freiheit statt Angst!"
    Für Datenschützer und Bürgerrechtler ist das Gesetz ein Albtraum. Sie sehen am Horizont einen Überwachungsstaat aufziehen:
    "Deine Freiheit stirbt mit Sicherheit zuerst ... .."
    Auch die Opposition läuft Sturm gegen das Gesetz. Die Grünen organisieren in jenen Tagen der Bundestagsdebatte eine Protestkundgebung in Berlin. In der Oranienburger Straße steht Claudia Roth mit einem Mikrofon in der Hand. Hinter der damaligen Parteivorsitzenden reckt sich eine überdimensionale Plastikwanze in die Höhe:
    "Vor der Mauer, nach der Mauer schickt der Staat die Wanzen. Wir sind hier im ehemaligen Ost-Berlin und es sind vor allem die Menschen aus der ehemaligen DDR, die sich sehr wohl an den Überwachungsstaat DDR erinnern."
    "Das ist wirklich eine neue Intensität von Überwachungsstaat"
    Neben ihr steht Wolfgang Wieland, 2008 Sprecher für Innere Sicherheit der grünen Bundestagsfraktion, der später mit ihr und Hans-Christian Ströbele Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreichen wird.
    "Wir werden die Wanze, die hier hängt, innerhalb und außerhalb der Wohnung erleben nach diesem Gesetz, wir werden sie auch an den Wohnungen Dritter, Unbeteiligter erleben. Das ist wirklich eine neue Intensität von Überwachungsstaat. Im Ergebnis werden wir ein neues, deutsches FBI haben."
    Und der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, kritisiert damals:
    "Zentral ist die Frage, dass der Kernbereich der Privatsphäre nicht so geschützt wird, wie ich das verfassungsrechtlich geboten halte."
    Kernbereich privater Lebensgestaltung: Das bedeutet, jeder hat ein unantastbares Recht auf Privatheit. Auch Verdächtige dürfen nicht beim Bettgeflüster, auf der Toilette oder beispielsweise bei religiösen Handlungen gefilmt oder belauscht werden. Und wer Daten von fremden Computern absaugt, saugt erst einmal alle ab: auch die, die ihn wirklich nichts angehen, private Fotos beispielsweise, Tagebücher oder Informationen über unbeteiligte Dritte. Das in der Praxis von Sicherheitsrelevantem zu trennen, sei unmöglich, sagen Kritiker. Ihnen reicht es auch nicht, dass im Nachhinein ein Richter entscheidet, welche Daten nun privat sind und doch nicht verwendet werden dürfen.
    "Und deshalb hat es uns auch nie befriedigt, wenn gesagt wird, das können wir ja hinterher wieder löschen. Es ist an das Ohr oder vor das Gesicht eines Vertreters des Staates gelangt und im Gehirn dieses Menschen nicht zu löschen. Der weiß das", sagt Gerhart Baum. Der Rechtsanwalt und ehemalige Innenminister vertritt gemeinsam mit seinem FDP-Kollegen Burkhard Hirsch eine Gruppe von Klägern, die das, was das BKA nun darf, für unverhältnismäßig halten:
    "Wo hört eigentlich die Drehung der Schraube auf? Es muss immer wieder gefragt werden: Ist das wirklich notwendig und ist es mit der Verfassung vereinbar?"
    Mit einem unbedingten "Ja" beantwortet Hans-Peter Uhl diese Fragen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete war als Innenexperte maßgeblich an der Ausarbeitung des BKA-Gesetzes beteiligt. Er sagt heute:
    "Das haben wir alles in die Gesetze reingeschrieben: Dass da sortiert werden muss: Privates raus und Terrorverdächtiges drin lassen, weitergeben, austauschen. Und da trennen sich eben unsere Wege: Die Beschwerdeführer sagen: Der Staat ist dem Grunde nach eher böse und verdächtig, dass er die Daten missbraucht. Während wir sagen: der Staat ist rechtstreu und will die Menschen schützen. Und deswegen vertrauen wir darauf, dass wir Beamte haben, die die Daten nicht missbräuchlich ausnutzen."
    Terror erhöht in der Bevölkerung die Akzeptanz von Überwachung
    Die Verabschiedung des BKA-Gesetzes ist sieben Jahre her. Vom IS und gewaltbereiten Salafisten sprach 2008 noch kaum einer. Immer wieder habe die Polizei in Deutschland seitdem Razzien bei mutmaßlichen IS-Anhängern durchgeführt und so auch zahlreiche Terroranschläge verhindert, heißt es beim BKA. Für Uhl ein Beleg, dass das BKA-Gesetz Wirkung zeigt. Mehr noch:
    "Die Welt hat sich weiter verändert auf dramatische Weise. Wir würden dieses Gesetz so schon wieder nicht mehr machen, sondern würden es noch weiter verschärfen."
    Spätestens seit den Anschlägen in Paris und Brüssel wünschen sich auch die Deutschen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Nach einer ARD-Umfrage vom März sind über 70 Prozent der Deutschen auch bereit, dafür Einschränkungen, längeren Wartezeiten, mehr Überwachung oder höhere Kosten hinzunehmen. Und Innenminister Thomas de Maizière stellt zeitgleich in der ARD klar:
    "Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten und darüber hinaus – und wir sind in Krisenzeiten - hat die Sicherheit Vorrang."
    Nein, sagt Gerhart Baum.
    "Also, wir sind vor dem Gericht, weil es ums Grundgesetz geht. Und selbst wenn einige sagen: Das ist uns egal oder sogar die Mehrheit sagt, das ist uns egal, wird dadurch das Grundgesetz nicht aufgehoben."
    Mehrfach hat der Liberale zusammen mit Burkhard Hirsch in Karlsruhe bereits erfolgreich geklagt: 2004 etwa gegen den Großen Lauschangriff und 2008 gegen die Online-Durchsuchung. Baum findet:
    "Es ist nicht ein Defizit an Gesetzen, sondern ein Defizit an dem Vollzug der Gesetze. Schauen Sie jetzt nach Brüssel, da sind erhebliche Pannen erfolgt, man hätte sehr wahrscheinlich diese Attentate in Brüssel verhindern können. Man hätte auch den 11. September in den USA verhindern können, man hatte eine Information, man hat sie nur nicht zusammengeführt. Also, dass man mehr Sicherheit haben will, ist verständlich, aber das Grundgesetz gilt und es muss auch bei der Wahrung der inneren Sicherheit beachtet werden und das ist die Grundlage aller unserer Beschwerden."
    Baum vertritt eine Gruppe sogenannter Berufsgeheimnisträger, zu der etwa der Journalist Michael Naumann oder der Präsident des deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, zählen. Sie kritisieren, dass nur Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete ein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht haben und von Überwachungsaktionen ausgeschlossen sind. Ärzte und Psychologen verweisen auf ihre Schweigepflicht, Journalisten auf den Informantenschutz.
    Für den Innenpolitiker Bosbach ist das angesichts der Terrorgefahr kein Argument:
    "Stellen Sie sich bitte mal die Fallkonstellation vor, wo der Bundesinnenminister oder BKA-Präsident sagen müssen: Ja, wir hätten die Leben der Opfer retten können, aber dafür wäre es notwendig gewesen, Redaktionsräume zu durchsuchen."
    "Auf der anderen Seite ist das auch brandgefährlich. Ich muss schauen, dass ich den Bogen nicht überspanne", sagt Frank Überall vom DJV.
    Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall.
    Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall. (imago/Stefan Zeitz)
    "Letzten Endes könnte ich dann auch sagen: Auch im Auto muss man jetzt grundsätzlich einen Helm tragen. Ja, das würde sogar dazu beitragen, dass es weniger schwere Verletzungen oder sogar Todesfälle gibt, trotzdem wäre es einigermaßen abstrus. Man kann nicht alles, was in Sachen Sicherheit möglich ist, auch wirklich umsetzen."
    Und noch ein Punkt stößt den Kritikern sauer auf: In Deutschland gibt es aus historischen Gründen eine strikte Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei. Schon 2008 kritisierte Klaus Uwe Benetter*, der damalige Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion:
    "Wollten wir denn nach den Erfahrungen in der Nazizeit nicht auf immer verhindern, dass die Polizei zu einer Geheimpolizei werden kann?"
    Und auch Gerhart Baum findet, dass diese Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei zu sehr aufgeweicht werde:
    "Die Polizei arbeitet heute unter strenger Aufsicht der Staatsanwaltschaft, aber auch der Politik. Und der Geheimdienst ist eine Zone für sich selber. Und deshalb sollte man diese Bereiche grundsätzlich trennen, es gibt Schnittstellen, wo Informationen ausgetauscht werden müssen, das ist vollkommen klar. Aber die Polizei wird mit diesem Gesetz zu weit in den nachrichtendienstlichen Bereich hineingezogen."
    Die Frage ist, ob auch das Bundesverfassungsgericht das auch so sieht. Beschwerdeführer sind neben der Gruppe um Baum auch Abgeordnete der Grünen. Beide Klägergruppen kritisieren im Kern, dass die Grundrechte der Bürger nicht gewahrt würden.
    Im Juli vergangenen Jahres begann die mündliche Verhandlung in Karlsruhe, zu der auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière angereist war. Das BKA sei bislang zurückhaltend mit seinen Befugnissen umgegangen, sagte er dort vor den Richtern. Gerade einmal 80 Personen seien kontrolliert worden. Von einem Überwachungsstaat könne nun wirklich nicht die Rede sein. Und:
    "Es ist in den letzten Jahren gelungen, etwa zwölf Terroranschlagsplanungen zu vereiteln oder sie sind misslungen. Das war zum Teil Glück, zum Teil Hinweisen ausländischer Nachrichtendienste zu verdanken, es war aber auch das neue BKA-Gesetz, was die Beamten des BKA in den Stand gesetzt hat, entsprechende Ermittlungen aufzunehmen."
    Dass das Gesetz einfach so durchgeht, hält Gigi Deppe, ARD-Korrespondentin beim Bundesverfassungsgericht, für unwahrscheinlich. Zu oft hätten die Richter in der Vergangenheit schon den Schutz des Privaten angemahnt - ob beim Lauschangriff, der Onlinedurchsuchung oder der Vorratsdatenspeicherung.
    "Der Berichterstatter, Verfassungsrichter Johannes Masing, hat in der mündlichen Verhandlung erkennen lassen, dass ihm bestimmte Begriffe zu ungenau sind. Wenn zum Beispiel als einzige Hürde bestimmt wird, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, jemand beteilige sich an Terrorvorhaben. Dann ist das ja ein sehr weiter Begriff und das sei, so sagte Masing, doch schon in der Entscheidung zur niedersächsischen Telefonüberwachung 2005 für verfassungswidrig erklärt worden. Und da haben die Richter damals schon gesagt, das ist viel zu unkonkret, man weiß nicht, wann ein Verhalten darauf hindeutet, dass eine Straftat begangen wird. Insoweit war deutlich erkennbar: Die Richter sind mit diesem Gesetz nicht so zufrieden."
    Gerhart Baum ist sich sicher, dass Teile des Gesetzes aus dem Jahr 2009 keinen Bestand haben werden. Hans-Peter Uhl hingegen möchte lieber von "kleinen Nachbesserungen" sprechen.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Verfassungsrichter von den jüngsten Ereignissen in Paris und in Brüssel völlig unbeeindruckt sind, das kann ich mir nicht vorstellen. Und dass sie die terroristische Bedrohung in Europa und in Deutschland zurückstellen und sagen: 'Der Datenschutz ist uns zehn Mal wichtiger'. Das kann ich mir nicht vorstellen."
    Auch der Journalist Bruno Schirra wird morgen interessiert nach Karlsruhe schauen. Was er von den Verfassungsrichtern erwartet? Schirra verdreht die Augen, drückt energisch seine Zigarette aus. Nicht viel, sagt er.
    "Denn unbeschadet, wie das Urteil ausfallen wird, alles was technisch machbar ist und technisch nicht nachweisbar ist, geschieht sowieso. Vor zweieinhalb Wochen kam einer meiner wiedergewonnenen Quellen zu mir, legt mir ein 14-seitiges Transkript auf den Tisch und sagt: Lies mal durch! – Das war ein höchst privates Gespräch, das ich mit einer kollegialen Freundin geführt habe."
    Mehr sagt Schirra nicht. Längst hat er seine Vorkehrungen getroffen. Wirklich Brisantes speichert der Journalist nicht auf seinem Computer. E-Mail oder Telefon benutzt er nicht, wenn er seine Informanten kontaktiert. Aber mehr will er nicht verraten.

    *Anmerkung der Redaktion: Der damalige Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion heißt Klaus (nicht: Kai) Uwe Benetter. Den falschen Vornamen im Audio bitten wir zu entschuldigen.