Silvia Engels: Der Umsturz in der Ukraine und die sich anschließende Krim-Krise haben die Schlagzeilen der letzten Wochen beherrscht. Der Koalitionskrach in Deutschland rund um die Affäre Edathy geriet da in den Hintergrund. Gestern rückte das Thema wieder etwas mehr nach vorne, als der Innenausschuss des Bundestages erneut BKA-Chef Ziercke befragte. Der verteidigte sich dafür, dass er bei einer früheren Vernehmung den Namen eines leitenden Beamten nicht erwähnt hatte. Der hatte wie Edathy auf der Kundenliste eines kanadischen Kinderporno-Anbieters gestanden.
Am Telefon ist Katrin Göring-Eckardt, sie ist die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt.
Katrin Göring-Eckardt: Frau Engels, guten Morgen.
Engels: Sie hatten ja nach Bekanntwerden dieses Falls mit dem BKA-Beamten den Rücktritt von BKA-Chef Ziercke gefordert. Tun Sie das immer noch?
Göring-Eckardt: Die Frage ist ja bei einer Sicherheitsbehörde, ob man Vertrauen in die Behörde, in die Leitung der Behörde hat. Und wenn ich mir angucke, was mir berichtet worden ist, was gestern im Innenausschuss passiert ist – dort hat Herr Ziercke sehr lange und ausführlich dargestellt seine Sicht der Dinge, aber man kann eben immer noch nicht sagen, dass man jetzt von Vertrauen, von neuem Vertrauen reden könnte, weil die Begründung dafür, dass dieser Fall nicht genannt worden ist, heißt, man musste die Persönlichkeitsrechte schützen. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht hätte darauf hinweisen können, dass auch schon frühzeitiger diese Akten gesichtet worden sind.
Da hat Herr Ziercke ja offensichtlich beim ersten Mal jedenfalls was anderes dargestellt, als er jetzt sagt. Jetzt redet er davon, da hätte man nur grob geschaut und so weiter. Deswegen ist für mich jedenfalls das Vertrauen in Herrn Ziercke durch den gestrigen Tag nicht hergestellt worden und insofern glaube ich, wir müssen da definitiv weiter aufklären. Er hat am Schluss gesagt, vielleicht gibt es auch noch weitere Überraschungen bei den Personen auf dieser Liste, und das lässt mich jedenfalls noch nicht ruhig sitzen und sagen, das BKA macht seine Arbeit schon gut und der Chef.
Engels: Das mögen noch offene Fragen sein. Aber geht das so weit, dass Sie an Ihrer Rücktrittsforderung wirklich festhalten? Denn immerhin haben ja auch Beobachter Ihrer Fraktion gesagt, die Argumentation von Ziercke, dass es darum gegangen sei, auch Persönlichkeitsrechte zu schützen, sei durchaus nicht von der Hand zu weisen.
Göring-Eckardt: Ich bin ganz bestimmt jemand, die sagt, die Persönlichkeitsrechte müssen geschützt werden. Trotzdem muss es Hinweise geben. Und ich sage noch mal: Für mich ist das Vertrauen noch nicht wiederhergestellt. Das kann noch passieren. Aber das ist nach der gestrigen Sitzung noch nicht der Fall, und das gilt übrigens auch für diejenigen aus meiner Fraktion, die an der Ausschusssitzung teilgenommen haben.
"Der Untersuchungsausschuss steht weiterhin im Raum"
Engels: Fordern Sie denn weiterhin einen Untersuchungsausschuss zur Edathy-Affäre?
Göring-Eckardt: Wenn man sich anschaut, wie viele Ungereimtheiten es weiterhin gibt, wenn man sich anschaut, wie lange diese Akten da gelegen haben, wenn man sich anschaut, dass tatsächlich auch weiterhin neue Fragen auftauschen, dann muss man sagen, der Untersuchungsausschuss steht weiterhin im Raum. Wir haben noch eine weitere Innenausschuss-Sitzung, wir haben Fragen im Parlament, aber der Untersuchungsausschuss bleibt im Raum. Ich habe ein bisschen das Gefühl, schon dass wir gesagt haben, den brauchen wir, hat dazu geführt, dass der Aufklärungswille bei einigen größer geworden ist, allerdings nicht bei der Großen Koalition, wenn man sich anschaut, was die gestern gefragt haben und was sie nicht gefragt haben.
Ich will einfach mal sagen, worum es dabei geht. Das ist eine der zentralen Sicherheitsbehörden, die wir in Deutschland haben, und das ist genau die Behörde, über die wir bei den NSU-Morden geredet haben und wir als Grüne immer gesagt haben, die muss man völlig neu aufstellen, damit die auch tatsächlich das macht, was sie machen soll: Nicht in falsche Richtungen ermittelt, nichts verschlampt, nichts liegen lässt und so weiter. Und wenn wir uns tatsächlich wieder sicher sein wollen, dass da rechtsstaatlich ermittelt wird, wenn wir uns sicher sein wollen, dass die richtigen Prioritäten gesetzt werden etc., dann muss man über so eine Neuaufstellung nach wie vor reden und dann muss man aber auch genau wissen, was ist eigentlich passiert, wo sind Sachen liegen geblieben, wo sind Sachen verschlampt worden, wo sind Sachen möglicherweise auch absichtlich liegen gelassen worden. Das kann man mit einem Untersuchungsausschuss auch deswegen besser, weil man dann Akteneinsicht hat.
Engels: Aber täuscht der Eindruck ein bisschen, dass die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss von Seiten der Opposition sich vor gut zwei Wochen noch sehr viel kräftiger anhörten als jetzt?
Göring-Eckardt: Wir haben immer gesagt, wir haben zunächst mal gesagt, wir wollen erst mal im Innenausschuss verhandeln. Wir haben gesagt, wir wollen Fragen im Parlament stellen. Wir haben vor zwei Wochen gesagt, jetzt sind völlig neue Sachen noch auf dem Tisch.
"Wir müssen uns auf unsere Sicherheitsbehörden verlassen können"
Engels: Aber es scheinen auch einige Fragen beantwortet zu sein?
Göring-Eckardt: Einige Fragen sind beantwortet, andere Fragen sind neu aufgetaucht. Und deswegen – ich sage das noch mal: Ich bin ja nicht diejenige, die unbedingt einen Untersuchungsausschuss will, sondern ich will unbedingt, dass aufgeklärt wird. Ich will wissen, was wann wer wem gesagt hat. Ich will das, was man mit Akteneinsicht erreichen kann, auch erreichen, weil ich glaube, dass wir in Deutschland Sicherheitsbehörden brauchen, die einerseits transparent sind in den Abläufen, wo man sich andererseits sicher sein kann, dass sie ihre Aufgaben machen, auch in der internationalen Zusammenarbeit übrigens. Darum geht es ja hier, auch in der Zusammenarbeit mit den Ländern.
Die große NSU-Katastrophe, die passiert ist, und dieser Fall hier zeigen, dass das nicht der Fall ist, und ich möchte gerne, dass wir uns auf unsere Sicherheitsbehörden verlassen können, und deswegen bleibt der Untersuchungsausschuss definitiv im Raum. Wenn die Fragen anders beantwortet werden können, soll es mir recht sein, aber das sehe ich nach der gestrigen Sitzung nicht.
Engels: Sie zielen damit vor allen Dingen auch auf die Arbeit des BKA ab. Die CDU will einen solchen Ausschuss nicht ausschließen, aber sie will dann auch speziell die Rolle der Ermittler in Hannover beleuchten, die ja zum Beispiel recht spät zur Durchsuchung von den Wohnräumen des ehemaligen SPD-Abgeordneten Edathy ansetzten. Ziehen Sie mit dieser Ausrichtung mit?
Göring-Eckardt: Ich glaube, dass diese Fragen natürlich in Niedersachsen, in Hannover geklärt werden müssen. Dass wir gestern eine Befragung hatten zu diesem Thema auch im Innenausschuss in Berlin, das war richtig, das war gut. Die niedersächsische Justizministerin ist da gewesen und hat ausführlich Auskunft gegeben. Aber natürlich müssen auch diese Fragen geklärt werden. Aber ich glaube, dass die eben nicht auf die Berliner Ebene gehören, weil die mit dem BKA nur mittelbar zu tun haben. Dort wo es aber eine Zusammenarbeit gegeben hat zwischen der Landesebene und dem BKA und dem Innenministerium, da muss darüber natürlich auch gesprochen werden. Das ist ja klar.
"Ich will tatsächlich ein komplettes Bild haben"
Engels: Sind Sie möglicherweise auch deshalb nicht so sehr an der Niedersachsen-Perspektive in diesem Zusammenhang interessiert, weil die Justizministerin dort zufällig eine Grünen-Politikerin ist, nämlich Antje Niewisch-Lennartz?
Göring-Eckardt: Nein, im Gegenteil, sondern die Justizministerin ist ja da gewesen und hat sehr ausführlich Auskunft gegeben und hat sehr ausführlich die Abläufe in Niedersachsen dargestellt. Insofern völlig klar: Die Ebenen müssen jeweils an ihrer Stelle für Aufklärung sorgen. Aber immer dort, wo es um entsprechende Verbindungen, um entsprechende Zusammenarbeit geht, gehört das dann auch auf die Bundesebene, und insofern bin ich da nicht zurückhaltend, sondern ich will tatsächlich ein komplettes Bild haben.
Engels: Wenn man betrachtet, dass die CDU sich nun auf Niedersachsen fokussieren will, vielleicht auch mit dem Hintergrund, dass dort Rot-Grün regiert, Sie dagegen eher aufs BKA schauen wollen, wächst die Gefahr, dass ein Untersuchungsausschuss, so er denn kommt, doch wieder zum politisch motivierten Zankapfel zwischen den einzelnen Parteilagern wird?
Göring-Eckardt: Ich möchte das nicht, sondern ich sage noch mal: Mein Interesse ist, dass wir Sicherheitsbehörden haben, die funktionieren, und ich glaube, das ist auch das gemeinsame Interesse des Parlaments. Wenn man sich - ich weise noch mal darauf hin – die Zusammenarbeit im Parlament im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal anschaut, mit den furchtbaren Morden anschaut, dann kann man sehen, dass die Fragen an das BKA dort auch von allen Fraktionen gestellt worden sind. Das ist mein Interesse. Es geht nicht um was Parteipolitisches. Uns ist ja vorgeworfen worden, dass wir nicht von Anfang an einen Untersuchungsausschuss gefordert haben. Das haben wir genau deswegen nicht gemacht, weil wir gesagt haben, die Fragen müssen schnell beantwortet werden, sie müssen gut beantwortet werden. Wir brauchen Aufklärung, aber wir brauchen keine parteipolitischen Aktionen da.
Engels: Kurz zum Schluss: Wann entscheiden Sie das denn, ob Sie den Untersuchungsausschuss nun definitiv wollen?
Göring-Eckardt: Wir entscheiden das natürlich, wenn wir sehen, was auf dem Tisch liegt nach der weiteren Sitzung des Innenausschusses und nachdem unsere Fragen beantwortet sind, die wir im Parlament gestellt haben.
Engels: Katrin Göring-Eckardt war das. Sie ist die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Vielen Dank für Ihre Zeit.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch! Auf Wiederhören!
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