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Blackout

Energieversorgung. - Stromnetze zählen zu den komplexen Infrastrukturen, die in einer modernen Zivilisation möglichst nicht, und wenn, dann nur kurzzeitig ausfallen dürfen. Dabei sind Ausfälle gar nicht so unwahrscheinlich - und können wegen der Komplexität des Netzes sogar weite Kreise ziehen und lange Zeit andauern. Auf dem BMBF-Innovationsforum für zivile Sicherheit in Berlin diskutierten Experten über dieses Problem.

Von Ralf Krauter | 19.04.2012
    Eigentlich ist die Stromversorgung Europas eine ziemlich sichere Sache. Wenn es doch mal kurze Stromausfälle gibt, bleiben sie in der Regel regional begrenzt. Doch im November 2006 war alles anders. Nachdem Eon eine Hochspannungsleitung über die Ems abgeschaltet hatte, um ein neues Kreuzfahrtschiff passieren zu lassen, gingen bei Millionen Menschen in weiten Teilen Europas die Lichter aus. Für Fachleute war das ein Schock, sagt Professor Wolfgang Kröger vom Laboratorium für Sicherheitsanalytik der ETH Zürich.

    "Ein Schock deshalb, weil dort eine kleine geplante Ursache, falsch gehandhabt, falsch vorbereitet, zu einer Aufteilung des europäischen Netzes in drei Bereiche geführt hat und das ganze System kurz davor stand, wirklich großflächig lang zusammen zu brechen. Also es gibt ein paar Hinweise, die sagen: Passt da auf! Es könnte sein, dass das System gar nicht so sicher ist, wie man das allgemein denkt."

    Die Stromnetze sind in den vergangenen Jahrzehnten immer komplizierter geworden. Und das macht sie anfällig für Kaskaden-Effekte, bei denen sich lokale Störungen über Rückkoppelungseffekte zu massiven Problemen aufschaukeln, die das ganze Netz lahm legen können. Wolfgang Kröger:

    "Was ganz unangenehm ist, dass ein System sich eine ganze Zeit lang nach einem bestimmten Muster verhält, gutmütig. Und irgendwas passiert dann und plötzlich verhält sich das ganz anders. Das Verhaltensregime ändert sich. Ich persönlich, auch auf der Basis intensiver Diskussion mit Kollegen international, bin der Meinung: Wir haben diese Systeme noch nicht richtig verstanden, sind davon abhängig, betreiben sie und sollten ein bisschen mehr tun, um diese Dinge besser modellieren zu können."

    Wolfgang Kröger setzt dazu auf computergestützte Planspiele, die eigenständig Krisenszenarien erzeugen, für die Menschen die Vorstellungskraft fehlt. Agentenbasierte Modellierung heißt das Verfahren im Fachjargon. Dabei werden alle wichtigen Elemente eines Netzwerkes durch kleine Computerprogramme repräsentiert.

    "Sie lösen dann ein solches System in seine Bestandteile auf. Ein Stromnetz hat Leitungen, hat Stromerzeugungsanlagen und hat Kontrollzentren, hat Verbraucher. Dann überführen sie ein solches System in diese Agenten. Dann haben sie 300, 400, 500 Agenten. Und dann fragen sie sich, wie sind jetzt diese Agenten miteinander verbunden. Also wenn zum Beispiel eine Leitung reisst, wie wird die Information jetzt weitergegeben? Aha, an ein Kontrollzentrum. Was kann denn der da machen? Und dann werden die verschiedenen Möglichkeiten, die dann daraus resultieren, durchgespielt."

    Die Planspiele im Rechner helfen, Schwachstellen in den Elektrizitätsnetzen aufzuspüren und zu entschärfen. Dass Handlungsbedarf besteht, ist unter Fachleuten unumstritten. Eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung des deutschen Bundestages kam 2011 zu dem Schluss, dass ein großflächiger und längerer Stromausfall ähnlich fatale Folgen hätte, wie sie der Autor Marc Elsberg in seinem Thriller "Blackout" beschreibt: Innerhalb von Stunden fallen Telefonnetze und Wasserversorgung aus und Tankstellen können kein Benzin mehr pumpen. Nach zwei, drei Tagen ohne Strom sind die Regale in den Supermärkten leer und Krankenhäuser und Rundfunkanstalten müssen mangels Diesel für ihre Notstromaggregate den Betrieb einstellen. Chaos und Anarchie wären vorprogrammiert. Im Buch beginnt die Katastrophe, nachdem Hacker jene intelligenten Stromzähler manipuliert haben, die künftig in Millionen Haushalten dafür sorgen sollen, dass die Waschmaschine dann läuft, wenn der Strom besonders billig ist. Ein Bedrohungsszenario, das Wolfgang Kröger für durchaus realistisch hält.

    "Wir geben einen Teil der Kontrolle dieser Systeme in Instrumente, die an Haushalte vergeben und verkauft werden. Somit vereinigen wir eigentlich das klassische Stromnetz mit dem Internet und einer direkten Eingriffsmöglichkeit des Konsumenten. Und daraus können sich Einfallstore für böswillige Attacken ergeben, wenn man nicht entsprechende Vorkehrungen trifft. Offensichtlich ist man dabei, das zu begreifen und vielleicht auch bei der Auslegung, beim Vorantreiben solcher Netze zu berücksichtigen."

    In den USA hat man die Gefahr erkannt. Das FBI warnte jüngst vor dem Einsatz intelligenter Stromzähler, weil die Geräte massive Sicherheitslücken aufweisen.