Der 23. November 2017 ist ein schöner Tag in Teheran. Blauer Himmel, eine hoffnungsvolle Stimmung. Auch die Künstlerin Parastou Forouhar ist an diesem Morgen erstaunlich gelöst und optimistisch. Dabei hat sie eigentlich keinen Grund dazu. Denn an diesem Tag beginnt ein Prozess gegen sie, vor dem Revolutionsgericht. Die Anklage lautet auf Blasphemie. Doch ihre Stimme klingt erstaunlich heiter, als sie sich kurz nach der Gerichtsverhandlung auf dem Mobiltelefon meldet.
"Jetzt müssen wir abwarten, auf das Urteil des Richters. Wann es ausgesprochen wird, ist nicht klar. Es kann von Wochen bis zwei bis drei Monate dauern."
Kritik am Obersten Führer gilt als Beleidigung Gottes
Inzwischen ist das Urteil über ihre Anwältin bei Parastou Forouhar eingegangen. Es ist die Höchststrafe.
"Das Urteil ist: sechs Jahre auf Bewährung. Das heißt: Sie haben mir die härteste Strafe für diese Beleidigung des Sakrosankten - fünf Jahre - und für die andere, Propaganda gegen das System - ein Jahr - gegeben."
Sechs Jahre Gefängnis - Blasphemie wird im Iran hart bestraft. Kritik an einzelnen religiösen Führern oder auch am Mullah-Regime insgesamt - vieles wird im Iran als Gotteslästerung bezeichnet. Gerade in den einfachen Bevölkerungsschichten sind sogenannte Gotteslästerer unbeliebt. Wer der Blasphemie beschuldigt wird, ist auch sozial ausgegrenzt. Schlimmer ergeht es denen, die den Propheten Mohammed verunglimpfen. Dafür sieht Artikel 513 des iranischen Strafrechts die Todesstrafe vor.
"Jeder, der die heiligen Werte des Islams, einen der großen Propheten, die schiitischen Imame oder die Heilige Fatima beleidigt oder beschimpft, wird mit Hinrichtung bestraft; andernfalls wird er zu einer Haftstrafe von einem bis fünf Jahren Haft verurteilt."
Artikel 514 ergänzt:
"Jeder, der auf welche Weise auch immer den Imam Khomeini, den Gründer der Islamischen Republik und den Obersten Führer beleidigt, wird zu einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zwei Jahren verurteilt."
Kritik gilt also quasi als Gotteslästerung und ist mit dem Tod bedroht - ebenso wie Gottlosigkeit, Verunglimpfung Gottes und Abfall vom Islam.
"Das ist wie ein Tier, das freigelassen wurde"
Wie aber kann es passieren, dass einer aus Teheran stammenden und in Deutschland lebenden Künstlerin der Vorwurf der Blasphemie gemacht wird? Das fragt sich auch Parastou Forouhar.
Im Herbst 2016 erhielt sie eine Vorladung nach Teheran, sie solle sich dort gegenüber der Staatsanwaltschaft erklären. Forouhar reist nach Teheran. Unmittelbar neben dem berüchtigten Evin-Gefängnis, in dem Tausende Regimekritiker einsaßen, trifft sie einen Agenten des iranischen Geheimdienstes:
"Und dann hat er sich umgedreht und zu mir geguckt und ganz ruhig und mit einer bestimmten Stimme hat er gesagt: 'Frau Forouhar, seien Sie sicher, ich kenne Sie besser als Sie selbst'. Und dieser Satz wiederholt sich irgendwie in meinem Kopf. Das hat sich festgesetzt. Das hat was Unheimliches, furchtbar Unheimliches und es wiederholt sich in meinem Kopf. Das ist wie ein Tier, das freigelassen wurde."
Es ist der Geheimdienst, der Parastou Forouhar verklagt hat. Ein mächtiger Gegner. Zu ihrer Überraschung wird sie mit zwei ihrer älteren Kunstwerke konfrontiert, etwa mit "Countdown" aus dem Jahr 2008. Eine Installation mit Objekten, die an Bürostühle erinnern und mit denen Parastou Forouhar auf den Stillstand in ihrem Land anspielt, auf die Lähmung der Bürokratie in der Islamischen Republik Iran. Der Richter wertet ihr Werk als Blasphemie.
"Bei der 'Beleidigung des Sakrosankten' geht es ausschließlich um Kunstwerke von mir, in denen ich religiöse Banner appliziert habe auf Objekte, die wie Stühle aussehen oder Bürostühle oder wie Hippiesitzsäcke. Da meint der Richter, ich hätte diese Möbelstücke gebaut, damit die Konterrevolution sich daraufsetzt und konspirative Haltungen gegen das Regime abhält."
"Im Namen einer Heiligen werden Morde begangen"
"Absurder kann es nicht sein, aber diese absurden Argumente sind das Einzige, mit dem sie mich zu fünf Jahren Haft verurteilt haben."
Die Künstlerin kontert die Vorwürfe, indem sie erklärt, es handele sich nicht um Sitzgelegenheiten, sondern um Kunstwerke. Die Tücher, die als Oberfläche dienen, seien zwar Bestandteil der Zeremonien beim Ashura-Fest, sie seien aber keine heiligen Tücher. Man finde sie auch in Taxis oder LKW.
Parastou Forouhar vermutet, dass sie diskreditiert und zum Schweigen gebracht werden soll. So wie ihre Eltern. Die waren angesehene Reformpolitiker. Sie wurden 1998 von Agenten des iranischen Staates ermordet, wie die Justiz einräumt. Einige der Täter wurden verurteilt, die Hintermänner blieben im Dunkeln. Die Ermittler gaben an, dass Parastous Mutter mit 74 Messerstichen umgebracht wurde.
"Derjenige, der meine Mutter getötet hat - ich habe die Vernehmungsprotokolle selbst gelesen - der hat gesagt, er hat diese Messerstiche im Namen der Heiligen Zahra in die Brust meiner Mutter gesetzt. Das heißt: Im Namen einer Heiligen werden Morde begangen."
Wer also betreibt hier Blasphemie? Ein fanatischer Staat, der Handlanger zu Mördern macht? Oder eine Künstlerin, die gesellschaftskritische Arbeiten vorlegt?
Mitte Dezember 2017 jedenfalls, noch vor dem Urteil in ihrem eigenen Prozess, darf Parastou Forouhar ausreisen, sie bekommt den Pass zurück, den man ihr bei der Einreise abgenommen hatte und fliegt nach Frankfurt.
Die iranische Gesellschaft in einer Sackgasse?
Zwei Wochen später brechen im Iran Proteste aus. Das politische System steht auf der Kippe. Auch bei diesen Protesten spielt Blasphemie eine Rolle.
"Es gibt Parolen wie 'Nieder mit der Diktatur', 'Nieder mit dem religiösen Führer'. Das ist ein Wendepunkt bei den Protesten im Iran. Es gab vor einigen Monaten Arbeiter in einer Fabrik, die protestiert haben - und als Strafe hat ein religiöser Richter die zu Peitschenhieben verurteilt."
Für die iranische Führung sind die Aufständischen Gotteslästerer, die Proteste an sich seien Blasphemie. Der Vorsitzende des Teheraner Revolutionsgerichts, Moussa Ghasanfarabadi, bezichtigt die Demonstranten der "Feindschaft gegen Gott".
Ihnen wird vorgeworfen, einen - Zitat – "bewaffneten Kampf gegen die göttliche Ordnung" zu führen. Das wird im iranischen Strafrecht als "mohareb" bezeichnet. Das Wort belegt gleichsam die "Feinde Gottes", diejenigen, die sich dem göttlichen Willen entgegenstellen. Die Justiz wendet den Begriff aber auch pauschal gegen friedliche Andersdenkende an, wenn sie das System der iranischen Republik kritisieren.
Das Strafmaß kann von Verbannungen über Amputationen bis hin zur Todesstrafe gehen, auch zur Kreuzigung. Die Kreuzigung scheint bisher in der Islamischen Republik nicht vollstreckt worden zu sein, ist aber Teil des islamischen Strafrechts.
"Die Bevormundung der Bevölkerung wird unter dem Namen des Islam ausgeübt. Viele Parolen dieser Revolte sind gegen den Klerus und gegen die religiösen Führer, aber auch gegen den Missbrauch von Religion. Wenn Leute auf der Straße demonstrieren aus Hunger, aus Not und das als Gotteslästerung ausgelegt wird, ist das einfach eine unmögliche Sackgasse."
"Bewährung ist auch ein Damoklesschwert"
Kann die Künstlerin zukünftig noch ihr Land einreisen, in dem sie zu Hause ist? Kann sie das Grab ihrer Eltern oder Freunde besuchen? Das persönliche Risiko, dort verhaftet zu werden, ist jedenfalls groß. Denn die Strafe ist zwar zur Bewährung ausgesetzt, doch im Iran ist nichts ausgeschlossen.
"Jetzt ist es auf Bewährung, Gott sei Dank! Aber Bewährung ist auch ein Damoklesschwert für einen. Bei jeder Kleinigkeit können die einen wieder vor Gericht stellen. Das ist die Lage."