Ein Viertelstündchen sind wir steil bergauf geschnauft – von Kochel am See bis hoch zur Kohlleite. Kohlleite – das heißt soviel wie Kuhweide, und direkt vor unserer Aussichtsbank grast gemütlich das Vieh. Es duftet nach Sommerblumen. Fridolin Söhl, ein Kocheler Urgestein, legt uns seine Welt zu Füßen.
"Wenn man jetzt da runterschaut, sieht man den Kochelsee vor uns ausgebreitet. Links die steil abfallenden Felsen und auf der rechten Seite die Verlandezone. Der See ist ja bei der letzten Eiszeit vor zirka 10.000 Jahren etwa entstanden. Der Seespiegel war damals noch etwa zehn Meter höher. Im Lauf der Zeit haben sich dann Flüsse gebildet. Das Wasser ist etwas abgelaufen und hat hier im Norden dann ein Moor entstehen lassen – Feuchtgebiete, die in den letzten einigen Tausend Jahren mit der Zeit verlandet sind und der See ist jetzt von der Ausdehnung her nur etwas die Hälfte von dem, was er ursprünglich einmal war."
Wo einstmals Wasser war, erheben sich jetzt Schilf und Riedgras, dahinter die Alpen mit Rabenkopf, Jochberg und Herzogstand. Und über allem liegt dieser bläuliche Schleier, der dem Blauen Land seinen Namen gab. Blau ist hier irgendwie alles: das Wasser im See, der Himmel, der Schimmer auf den schneebedeckten Gipfeln. Und die Kunst natürlich.
Der Aussichtspunkt auf der Kohlleite war vor etwa hundert Jahren auch ein Lieblingsplatz des Malers Franz Marc. Schon als Kind machte er mit seinem Vater Ferien am Kochelsee. Und später, vor allem in seinen ersten Jahren der Natur- und Tiermalerei, suchte und fand er hier seine Motive. Gegen Abend stieg er gern hoch auf die Kohlleite – gemeinsam mit zwei Gefährtinnen.
"Seine erste und seine zweite Frau, die Marie Schnür und die Maria Franck hat er hier auf der Kohlleite gemalt – lebensgroß. Und er hat unmittelbar unter der Kohlleite gewohnt. Das Wohnhaus war nicht weit weg und man sagt, dass die Gemälde so groß waren – das Haus war relativ klein, wo er gewohnt hat, dass er es dann irgendwie zerrissen hat, weil er es nicht mehr zur Tür reingebracht hat. Oder vielleicht hat es ihm auch nicht gefallen, das sind so Anekdoten, die man darüber hört, aber diese Skizze ist uns erhalten geblieben und eines der bekanntesten Marc-Bilder."
Die Skizze hängt heute unten im Franz Marc Museum. Und erhalten blieb auch das einstige Wohnhaus des Künstlers. An Franz Marc erinnert noch eine Gedenktafel – und die Skizze eines Pferdekopfs, die Anlass gibt zu Spekulationen. Marc habe hier wohl das Kaltblutross eines Handwerkbetriebs gezeichnet, meint der heutige Hausbesitzer. Offiziell aber gilt eine etwas makabre These, wie Ursula Grottenthaler vom Verkehrsamt erzählt:
"Geschichte dazu ist, dass schräg gegenüber im heutigen Hotel Waltraud, ehemals Gasthof Stöger, eine Schlachterei untergebracht war, und dort hat nachweislich Franz Marc seine anatomischen Skizzen gemalt. Franz Marc hat sich ja sehr intensiv mit den Körperformen, mit Tieren insgesamt, auseinandergesetzt, und es war natürlich ideal, einen ruhenden Körper zu zeichnen, und so sind dort einige Pferdestudien und Pferdeskizzen entstanden."
Gerade in seiner frühen Phase, zwischen 1906 und 1911, muss das stille Bauernnest am See den Maler sehr inspiriert haben. Jeder weiß was zu erzählen, überall im Ort stößt man auf Szenen wie zu Zeiten Franz Marcs. Seit die Gemeinde die wichtigen Stellen beschildert hat, gibt’s immer auch auf das passende Bild dazu. Bei einem Bauernhaus im Fischerviertel entstand zum Beispiel das Gemälde "Flatternde Wäsche im Wind", und – Zufall oder Inszenierung – an diesem Morgen hängen tatsächlich die blütenweißen Laken eines Hotels an der Leine. Geht man in Richtung See, kann man sich unterwegs das Bild "Heuhocken" anschauen – und dazu die Originalgebilde, die dem Werk zugrunde liegen. Die Kocheler nennen sie Hocken oder Strahdreschen.
"Diese Strahdreschen sind übrigens keine Strohhaufen. Hier in der Gegend gibt es ja kein Stroh, wie das Wort erstmal vermuten lässt, sondern diese Strahdreschen werden aus Riedgras aufgeschichtet. Sie werden zu Häufen geschichtet mit einer Zentrierstange in der Mitte, und das Ganze wird dann oben mit Gras oder Moos abgedeckt, damit das etwas gegen die Witterungseinflüsse geschützt wird. Diese Streu wurde verwendet als Einlage im Stall."
Immer wieder malte Franz Marc diese Strahdreschen oder Hocken – zuerst noch sehr naturalistisch, dann in plakativeren Farben und später bereits mit kubistischen Einschlägen.
Zwei weitere Bilder von Marc finden wir unten an der Seepromenade – angeblich entstanden sie hier. Aber wer ganz genau nachliest, erfährt, dass die Kocheler bei einem Werk ein bisschen geschummelt haben. Das Bild "Kinder im Boot" malte Marc nämlich nachweislich in der Bretagne. Aber an den Kochelsee hätte es auch gepasst. Deshalb hat man es – sozusagen in künstlerischer Freiheit – in den Franz Marc-Spaziergang eingebaut. Der Akt "Badende Frauen" dagegen soll wirklich am Ufer des Kochelsees entstanden sein.
Von hier aus sind es dann nur noch ein paar Minuten zum Franz Marc Museum. Schon von unten sieht man am Hang das alte Museum in einer betagten Villa – und daneben den kubistisch anmutenden Neubau, der 2008 eröffnet wurde. Franz Marc ist hier nicht mehr alleine. Umgeben von Werken seiner Kollegen des Blauen Reiters, der Brücke und der Gruppe ZEN 49, erscheinen viele Bilder Marcs in einem ganz neuen Zusammenhang. Auch die Bilder des Kunstspaziergangs hängen hier im Original. Und wenn Cathrin Klingsöhr-Leroy, die künstlerische Direktorin des Museums, erklärt, werden noch ganz andere Aspekte sichtbar als nur Szenen aus dem alten Kochel:
"Also wir stehen hier vor diesem sehr bekannten Gemälde "Hocken im Schnee", wo viele Menschen spontan an Birnen denken, die mit weißer Sahne bedeckt sind. Das ist eben ein Gemälde, wo Franz Marc die Form extrem reduziert hat und diese Hocken, die von Schnee bedeckt sind, farblich ganz unterschiedlich und sehr klar gestaltet hat, also in Rot, Grün und Gelb. In diese Zeit, als er das Bild gemalt hat, fällt eben seine Auseinandersetzung mit der Farbe und ebenso – das ist eine Parallele zu den Brücken-Künstlern – ebenso wie seine Zeitgenossen ist er zu den Grundfarben zurückgekommen und hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man Farbgebung im Gemälde harmonisieren kann, ohne ein Naturabbild zu malen."
Der Dialog zwischen Natur und Kunst ist ein wiederkehrendes Thema im Franz Marc Museum. Immer wieder wendet sich der Blick von der Ausstellung nach draußen – mit großen Fenstern direkt neben Bildern. Das Ganze gipfelt in einem Aussichtsraum ganz oben – ein Auge auf den See.
"Also das ist hier der Abschluss des Museumsrundgangs und das ist ein Raum, der kunstleer ist – ein Kunstfreiraum, der einen wunderbaren Blick nach draußen eröffnet. Eine Wand dieses Raums ist ganz aus Glas, und der Besucher, der die vielen Werke im Haus betrachtet hat, kann hier geradezu ausruhen von dieser Kunstbetrachtung und sich der Natur zuwenden und auch über die Frage meditieren, was Franz Marc mit dieser Natur verbunden hat."
"Wenn man jetzt da runterschaut, sieht man den Kochelsee vor uns ausgebreitet. Links die steil abfallenden Felsen und auf der rechten Seite die Verlandezone. Der See ist ja bei der letzten Eiszeit vor zirka 10.000 Jahren etwa entstanden. Der Seespiegel war damals noch etwa zehn Meter höher. Im Lauf der Zeit haben sich dann Flüsse gebildet. Das Wasser ist etwas abgelaufen und hat hier im Norden dann ein Moor entstehen lassen – Feuchtgebiete, die in den letzten einigen Tausend Jahren mit der Zeit verlandet sind und der See ist jetzt von der Ausdehnung her nur etwas die Hälfte von dem, was er ursprünglich einmal war."
Wo einstmals Wasser war, erheben sich jetzt Schilf und Riedgras, dahinter die Alpen mit Rabenkopf, Jochberg und Herzogstand. Und über allem liegt dieser bläuliche Schleier, der dem Blauen Land seinen Namen gab. Blau ist hier irgendwie alles: das Wasser im See, der Himmel, der Schimmer auf den schneebedeckten Gipfeln. Und die Kunst natürlich.
Der Aussichtspunkt auf der Kohlleite war vor etwa hundert Jahren auch ein Lieblingsplatz des Malers Franz Marc. Schon als Kind machte er mit seinem Vater Ferien am Kochelsee. Und später, vor allem in seinen ersten Jahren der Natur- und Tiermalerei, suchte und fand er hier seine Motive. Gegen Abend stieg er gern hoch auf die Kohlleite – gemeinsam mit zwei Gefährtinnen.
"Seine erste und seine zweite Frau, die Marie Schnür und die Maria Franck hat er hier auf der Kohlleite gemalt – lebensgroß. Und er hat unmittelbar unter der Kohlleite gewohnt. Das Wohnhaus war nicht weit weg und man sagt, dass die Gemälde so groß waren – das Haus war relativ klein, wo er gewohnt hat, dass er es dann irgendwie zerrissen hat, weil er es nicht mehr zur Tür reingebracht hat. Oder vielleicht hat es ihm auch nicht gefallen, das sind so Anekdoten, die man darüber hört, aber diese Skizze ist uns erhalten geblieben und eines der bekanntesten Marc-Bilder."
Die Skizze hängt heute unten im Franz Marc Museum. Und erhalten blieb auch das einstige Wohnhaus des Künstlers. An Franz Marc erinnert noch eine Gedenktafel – und die Skizze eines Pferdekopfs, die Anlass gibt zu Spekulationen. Marc habe hier wohl das Kaltblutross eines Handwerkbetriebs gezeichnet, meint der heutige Hausbesitzer. Offiziell aber gilt eine etwas makabre These, wie Ursula Grottenthaler vom Verkehrsamt erzählt:
"Geschichte dazu ist, dass schräg gegenüber im heutigen Hotel Waltraud, ehemals Gasthof Stöger, eine Schlachterei untergebracht war, und dort hat nachweislich Franz Marc seine anatomischen Skizzen gemalt. Franz Marc hat sich ja sehr intensiv mit den Körperformen, mit Tieren insgesamt, auseinandergesetzt, und es war natürlich ideal, einen ruhenden Körper zu zeichnen, und so sind dort einige Pferdestudien und Pferdeskizzen entstanden."
Gerade in seiner frühen Phase, zwischen 1906 und 1911, muss das stille Bauernnest am See den Maler sehr inspiriert haben. Jeder weiß was zu erzählen, überall im Ort stößt man auf Szenen wie zu Zeiten Franz Marcs. Seit die Gemeinde die wichtigen Stellen beschildert hat, gibt’s immer auch auf das passende Bild dazu. Bei einem Bauernhaus im Fischerviertel entstand zum Beispiel das Gemälde "Flatternde Wäsche im Wind", und – Zufall oder Inszenierung – an diesem Morgen hängen tatsächlich die blütenweißen Laken eines Hotels an der Leine. Geht man in Richtung See, kann man sich unterwegs das Bild "Heuhocken" anschauen – und dazu die Originalgebilde, die dem Werk zugrunde liegen. Die Kocheler nennen sie Hocken oder Strahdreschen.
"Diese Strahdreschen sind übrigens keine Strohhaufen. Hier in der Gegend gibt es ja kein Stroh, wie das Wort erstmal vermuten lässt, sondern diese Strahdreschen werden aus Riedgras aufgeschichtet. Sie werden zu Häufen geschichtet mit einer Zentrierstange in der Mitte, und das Ganze wird dann oben mit Gras oder Moos abgedeckt, damit das etwas gegen die Witterungseinflüsse geschützt wird. Diese Streu wurde verwendet als Einlage im Stall."
Immer wieder malte Franz Marc diese Strahdreschen oder Hocken – zuerst noch sehr naturalistisch, dann in plakativeren Farben und später bereits mit kubistischen Einschlägen.
Zwei weitere Bilder von Marc finden wir unten an der Seepromenade – angeblich entstanden sie hier. Aber wer ganz genau nachliest, erfährt, dass die Kocheler bei einem Werk ein bisschen geschummelt haben. Das Bild "Kinder im Boot" malte Marc nämlich nachweislich in der Bretagne. Aber an den Kochelsee hätte es auch gepasst. Deshalb hat man es – sozusagen in künstlerischer Freiheit – in den Franz Marc-Spaziergang eingebaut. Der Akt "Badende Frauen" dagegen soll wirklich am Ufer des Kochelsees entstanden sein.
Von hier aus sind es dann nur noch ein paar Minuten zum Franz Marc Museum. Schon von unten sieht man am Hang das alte Museum in einer betagten Villa – und daneben den kubistisch anmutenden Neubau, der 2008 eröffnet wurde. Franz Marc ist hier nicht mehr alleine. Umgeben von Werken seiner Kollegen des Blauen Reiters, der Brücke und der Gruppe ZEN 49, erscheinen viele Bilder Marcs in einem ganz neuen Zusammenhang. Auch die Bilder des Kunstspaziergangs hängen hier im Original. Und wenn Cathrin Klingsöhr-Leroy, die künstlerische Direktorin des Museums, erklärt, werden noch ganz andere Aspekte sichtbar als nur Szenen aus dem alten Kochel:
"Also wir stehen hier vor diesem sehr bekannten Gemälde "Hocken im Schnee", wo viele Menschen spontan an Birnen denken, die mit weißer Sahne bedeckt sind. Das ist eben ein Gemälde, wo Franz Marc die Form extrem reduziert hat und diese Hocken, die von Schnee bedeckt sind, farblich ganz unterschiedlich und sehr klar gestaltet hat, also in Rot, Grün und Gelb. In diese Zeit, als er das Bild gemalt hat, fällt eben seine Auseinandersetzung mit der Farbe und ebenso – das ist eine Parallele zu den Brücken-Künstlern – ebenso wie seine Zeitgenossen ist er zu den Grundfarben zurückgekommen und hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man Farbgebung im Gemälde harmonisieren kann, ohne ein Naturabbild zu malen."
Der Dialog zwischen Natur und Kunst ist ein wiederkehrendes Thema im Franz Marc Museum. Immer wieder wendet sich der Blick von der Ausstellung nach draußen – mit großen Fenstern direkt neben Bildern. Das Ganze gipfelt in einem Aussichtsraum ganz oben – ein Auge auf den See.
"Also das ist hier der Abschluss des Museumsrundgangs und das ist ein Raum, der kunstleer ist – ein Kunstfreiraum, der einen wunderbaren Blick nach draußen eröffnet. Eine Wand dieses Raums ist ganz aus Glas, und der Besucher, der die vielen Werke im Haus betrachtet hat, kann hier geradezu ausruhen von dieser Kunstbetrachtung und sich der Natur zuwenden und auch über die Frage meditieren, was Franz Marc mit dieser Natur verbunden hat."