Archiv


Blaue Eisberge und Erik der Rote

Kurze Hosen und mal eben ein Bad im Bergsee? In Grönlands Süden wenigstens im Sommer kein Problem. Denn hier ist der wärmere und grüne Teil der arktischen Rieseninsel. An Gletschern und Eisbergen mangelt es trotzdem nicht.

Von Eva Firzlaff |
    Der Isländer Gudjon fühlt sich wohl selbst ein bisschen wie ein Wikinger. Er bessert gerade Dach und Wände eines Langhauses aus, wie es für die Wikinger typisch war. Eine Rekonstruktion an der Stelle des ersten Hofs von Erik dem Roten. Brattahlid. Vor über 1000 Jahren, sagt Anne-Mette vom Grönland-Tourismus.

    "Erik der Rote kam aus Island. Er hatte dort einen Mann getötet und musste weg aus Island. Er suchte ein anderes Land und kam hier her. Es sieht ein bisschen aus wie in Norwegen, wo er ursprünglich herkam. In der Wikingerzeit war es wärmer als jetzt. Dann ging er zurück nach Island und hat dort erzählt, dass er ein neues Land gefunden hat. Das wäre grün, schön und unbewohnt, man könnte dort gut leben. Es kamen dann 300 Leute mit ihm nach Grönland."

    Daran erinnern die Rekonstruktion einer winzigen Kapelle und eben das Langhaus. Lang und schmal, innen ein großer Raum mit Holzpritschen ringsum.
    Wände und Dach bestehen aus Torfbatzen, gestapelt im Fischgrätenmuster. Darunter eine Balkenkonstruktion. Eine 2.000 Jahre alte Technik. Solche Wände wurden in Island gefunden, auf den Färöer Inseln, in Grönland. Aber nur in Island gibt es noch Leute wie Gudjon, die das bauen können. Die Häuser sind sehr niedrig, damit man nicht zuviel heizen musste.
    Mit so einem Haus konnte man schnell umziehen. Man zieht ein paar Holznägel, packt den ganzen Torf und die Balken ins Schiff und segelt davon. An anderer Stelle kann man das Haus mit ein paar Mann an einem Tag wieder aufbauen. Gudjon hat das selbst geschafft.

    Kaum zu glauben, die Wikinger sollen Häuser mitgebracht haben. Im Schiff.
    In Norwegen wurde bei Gökstad ein Schiff aus derselben Zeit ausgegraben. Das Holz für ein ganzes Langhaus reichte nicht mal aus als Ballast. So ein Schiff brauchte 30 Tonnen Ballast und konnte insgesamt 60 Tonnen transportieren. Das waren Hightechschiffe, schwärmt der Isländer. Nachbauten haben gezeigt, dass sich bei einer Geschwindigkeit von 6 oder 8 Knoten eine Art Luftkissen unter dem flachen Rumpf bildet und das Schiff schneller wird, bis zu 20 Knoten.

    Ein Nachbau segelte von Island nach Nordamerika, locker mit 16 – 18 Knoten, es wäre noch schneller gegangen, doch unterwegs war zu viel Eis. So kamen also die Wikinger übers Meer - vor 1000 Jahren. Die grönländische Küste ist zerfasert in unendlich viele Halbinseln und Inseln. Über 100 kilometerlange Fjorde ziehen sich landeinwärts. Im Süden gibt es zwar etliche Siedlungen, aber keine Straßen von einer zur anderen. Man fährt Boot.

    Der Kutter navigiert durch Eisberge, Eisbrocken flutschen an der Bordwand entlang.
    Die Eisberge stammen vom Gletscher am Ende des Fjords. Sie driften langsam zum offenen Meer. Weißes Eis strahlt in der Sonne, dazu das türkisblaue Wasser und es gibt blaue Eisberge. Mal mit glatten Wänden und schroffen Kanten, ein anderer bizarr zerklüftet.

    "Die meisten Eisberge sind weiß, natürlich, denn Schnee und Eis sind weiß. Die verschiedenen Blautöne entstehen, wenn das Eis tief im Gletscher unter hohem Druck stand. Da wurden die kleinen Luftbläschen im Eis von rund ins Oval gedrückt. Und wenn nun das Licht auf die ovalen Luftblasen trifft, dann sieht man blau."

    Erzählt Natalja. Wir wandern von einem Fjord zum anderen, quer über eine schmale Halbinsel, durch hügeliges Land. Karg wie im Hochgebirge. In der Ferne: vom Gletscher glatt gehobelte Felsen mit tiefen Furchen, als hätte ein Riese sie mit einem Pflug gezogen. Bald liegt uns die Ortschaft Igaliku zu Füßen. Kein kompaktes Dorf mit Dorfstraße oder um einen Marktplatz, nein, die gelben, roten, blauen Holzhäuser sind locker auf einer grünen Ebene am Fjord verteilt. Gartenzäune gibt es nicht. Etwa 50 Menschen leben hier. Zur Wikingerzeit war mehr los.

    "Am Anfang sind ungefähr 300 Leute aus Island nach Grönland umgezogen. Später lebten bis zu 4000 Leute nur in diesem Gebiet. Und in ganz Grönland bis zu 26.000. Ganz viele Leute eigentlich. Sie hatten Tiere mitgebracht aus Island, Pferde, Kühe, Schafe. Es war viel Leben hier."

    Igaliku - das frühere Gardar – war sogar Bischofssitz.

    "Eriks Sohn Leif hat das Christentum hier hergebracht."

    Leif Erikson, der dann nach Amerika gefahren ist?

    "Genau der."

    Hier wurde mit Stein gebaut. Oberhalb des Dorfes bricht roter Sandstein fast von allein in verbaubaren Stücken aus dem Felsen. Diese haben die Wikinger genutzt.

    "Wir stehen hier in der Mitte eines großen Ruinenkomplex. Da ist die große Kirche, die ist ungefähr 20 Meter lang und war eigentlich für diese Zeit sehr, sehr groß. Wir sehen auch ein paar steinerne Türen. Man meint, das waren die Tore des Zehnten-Lagers. Wir sehen auch da unten ein paar große Ställe für bis zu hundert Kühe."

    Thomas betreibt im Ort ein kleines Hotel und wandert mit Gästen gerne auf den hohen Berg auf der anderen Seite des Fjordes.

    "Burfjeld oder Illerfissalik, wie er heißt. Das ist einer der höchsten Gipfel hier im Süden. 1752 Meter. der wurde auch von den Wikingern genutzt. Man hat dort oben Ruinen gefunden und meint, dass von dort aus signalisiert wurde, mit großem Feuer zum Beispiel. Denn diesen Gipfel kann man von allen großen Siedlungen damals sehen."

    In Südgrönland wandert es sich wie im Hochgebirge an einem 3000er-Gipfel, dabei sind wir in gerade mal 100 oder 200 Metern Höhe. Es geht über Stock und Stein, Blaubeerbüsche säumen den Weg, vorbei an Felsen, über Geröllfelder.

    Bis wir dann von weit oben auf Fjord und Eisberge gucken. Die sehen so klein aus, doch 2 Kutter klären das Größenverhältnis. Die Eisberge sind schwimmende Häuser, 4, 5 Etagen hoch. Wir hören ein Donnergrummeln, doch das ist kein Gewitter.

    Das Eis schmilzt in der Sonne, Wasser dringt in Ritzen, gefriert und sprengt Teile des Eisbergs ab. Weil sich damit sein Schwerpunkt verändert, rollt der Eisberg im Wasser. Allerdings hört man den Donner erst, wenn es schon vorbei ist. Und gar nicht weit entfernt sehen wir den Gletscher, von dem die Eisberge stammen. Doch ein Blick in die Karte zeigt: Es sind 20 Km. Weil die Luft so klar ist, wirkt es so nah.

    Meist fallen kahle Felsen steil ab ins Wasser, die wenigen sanften Buchten oder flachen grünen Ufer hatten die Wikinger besetzt. Nahe Qaqortoq sind Wohngebäude aus Stein und eine Kirche erhalten. Die Kirche war für eine grönländische Siedlung richtig groß, 16 mal 7 Meter. Die anderthalb Meter dicken Wände stehen noch, wie um 1300 gebaut. Mit Granitblöcken vom Berg in der Nähe. Einige wiegen 4 bis 5 Tonnen. Vom Bootsanleger sind wir etwas bergan gestiegen zur Kirche. Einst stand sie dichter am Ufer, wie uns die Kieselsteine unter den Füßen verraten. Das war mal der Strand, nach der Eiszeit. Hier war Wasser vor 8 - 9000 Jahren. Als das Eis schmolz und sich der Druck verringerte, hat sich das Land gehoben. Und das passiert immer noch.

    Nach 1500 verliert sich die Spur der Wikinger auf Grönland. Man weiß nicht, ob sie ausgestorben sind oder mit Mann und Maus davon gesegelt. Jedenfalls hatte die Kleine Eiszeit die Lebensbedingungen arg verschlechtert. Und von Norden breiteten sich die Innuit nach Süden aus. Nur noch Walfänger kamen ab und zu nach Grönland. Und nach 1700 protestantische Missionare.

    In der alten Holzkirche von Qaqortoq singt der Kirchenchor.

    "Das ist von der Herrnhuter Brüdergemeine eingeführt worden um 1728 etwa. Das haben wir immer noch in unseren Kirchengesängen, die sind sehr, sehr deutsch inspiriert und das hört man immer noch, also diese alten deutschen Lieder."

    Die Herrnhuter begründeten also die Kirchentradition. Sie gründeten sogar einen Ort namens Lichtenau, wie in ihrer Heimat, der Lausitz. Davon ist nicht viel geblieben. Die dänische Konkurrenzgründung Julianehab ist heute die Stadt Qaqortoq, die wichtigste im Süden. Und die Tracht der Grönländerinnen mit aufwändiger farbiger Glasperlenstickerei geht zurück auf die Walfänger, erzählt Concordia.

    "Unsere Tracht ist durch die holländischen und deutschen Walfänger gekommen. Im 16. und 17. Jh. Die Perlen in vielen Farmen wurden damals eingetauscht gegen Felle, Polarfuchsfelle, Robbenfelle. Wurde auch getauscht gegen Walfett, das braucht man damals in Europa für die Lampen."

    Wir sind zu Gast in einem der typischen Holzhäuser, bei Sophia. Modern eingerichtet, Blumen auf dem Fensterbrett und ein Fernglas, mit dem guckt sie nach den Booten ihrer großen Familie und, ob ein Wal vorbeikommt. Sophia hat für uns grönländisch gekocht, ihr Sohn macht Musik. Für Gäste kocht sie gerne Meeresforelle, Rentier oder Robbenfleisch. Es soll gut aussehen und gut schmecken, damit sich die Gäste gerne daran erinnern. Wir bekommen leckeren Rentier-Braten. Und Oma Sophia erzählt aus ihrem Leben. Solche Privatbesuche werden von der Tourist-Info vermittelt, ein Dolmetscher kommt mit und man zahlt etwa das Gleiche, wie für einen Restaurant-Besuch.
    Wanderer können auch Quartier finden – mit gutem Essen - bei einem der Schafzüchter, deren Höfe irgendwo einsam am Fjord liegen. Wie Ipiutaq, wo Agathe und Kallista leben, er ist Grönländer, sie stammt aus Südfrankreich.

    Sie hat hier ihren Mann gefunden und sich auch in das Land verliebt. Das Leben ist zwar härter, aber freier, meint Agathe. Zusammen mit ihrem Mann hat sie eine Farm aufgebaut und betreibt ein kleines Gästehaus. Ihre 300 Schafe allerdings sieht man im Sommer nicht. Im Mai gehen die Schafe mit ihren Lämmern in die Berge, leben dort frei und werden erst im September wieder eingefangen. Dabei helfen sich die Farmer gegenseitig. Sie wandern, laufen, rennen durch die Berge, auch zu Pferd und mit Hunden. Im Herbst werden in ganz Grönland etwa 32.000 Lämmer geschlachtet. Das reicht gerade für den eigenen Markt. Kim ist Lehrer an der Berufsschule für Köche und Fleischer und schwärmt von der Qualität des Lammfleischs.

    Die Lämmer sind nicht sehr groß, aber ihr Fleisch schmeckt super. Das kommt von den Kräutern, die sie in den Bergen fressen und die Nähe zum Salzwasser hat wohl auch Einfluss.

    Wir sind wieder auf dem Wasser unterwegs. Plötzlich stoppt der Skipper und angelt mit dem Kescher, nein, keinen Fisch, einen Eisbatzen und zerkleinert ihn in einer Schüssel. Ein paar Eisbrocken kommen in die Becher, darauf Whisky. Das Eis, das vielleicht noch aus der letzten Eiszeit stammt, schmilzt und der Alkohol lässt die Luftbläschen so stark prickeln. Skol.