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Blaue Stunde mit Kunst

An jedem ersten Freitag im Monat erwartet Kunstinteressierte im Kölner Museum Ludwig ein besonderes Angebot: Von 19.00 bis 23.00 Uhr kann man dann nämlich mit Studierenden der Kunstgeschichte diskutieren. Sie wollen mit Besuchern über moderne Kunst ins Gespräch kommen, erzählen aus der Lebensgeschichte von Malern und Bildhauern, fragen nach der Interpretation der Besucher und bieten ihre eigene Sicht an. Für die Studierenden ist das oft die erste Gelegenheit, sich mal an den Kunst-Laien heranzuwagen. Und für die Besucher ein willkommener Service, der sie keinen Cent extra kostet.

Von Andrea Lueg | 06.02.2004
    Suzanna Leu, Studentin der Kunstgeschichte an der Uni Bonn hat sich bei einem Kunstwerk platziert, das nicht gerade zu den Lieblingen der Besucher zählt, eher zu den Aufregern. Es heißt "Frau mit Kind" und ist von Pablo Picasso. Die Skulptur zeigt eine lange dünne Frau mit fast bizarr kleinem Kopf, die ein Kind in einem Wagen vor sich herschiebt. Museumsbesucher reagieren darauf meist mit:

    Unmut, Unsicherheit und vor allem Ärger, weil sie die Darstellung der Frau vor allem sehr unweiblich und sehr hässlich finden. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass das Ganze doch aus der witzigen und vielleicht aus der Sicht des Kindes gesehen werden sollte.

    Stellt man sich nämlich vor, dass das Kind die Mutter von unten betrachtet, weil es ja schließlich im Kinderwagen liegt, wirkt die lang gezogene Figur der Frau nicht mehr ganz so seltsam. Und auch die Tatsache, dass die Brüste als Nahrungsquelle des Kindes aus Kuchenförmchen gemacht sind, ist leichter nachvollziehbar. Doch schnell abspeisen lassen sich die Kunstinteressierten durch eine solche Interpretation nicht.

    Sie sind überrascht, sie lassen sich nicht so leicht überzeugen, sie erzählen gerne oder sie fragen nach den Frauengeschichten von Picasso.

    Weiterreden, im Dialog sein über moderne Kunst, das ist genau der Zweck der langen Freitage, an denen etwa 40 Studierende beteiligt sind. Man erkennt sie an kleinen roten Schildern, die sie angesteckt haben, außerdem werden Besucher gleich am Eingang des Museums über das Projekt informiert. Die Studierenden bieten keine klassischen Führungen an, sondern sprechen an jedem ersten Freitag im Monat Besucher an, wenn sie spüren, es gibt Fragen, oder wenn jemand zum Beispiel immer wieder zu einem bestimmten Werk zurückkehrt. Die Idee stammt ebenfalls von einer Studentin, die ein ähnliches Projekt im Pariser Louvre kennen gelernt hatte und dann dem Museum Ludwig vorschlug, das doch auch mal zu versuchen. Die Museumsleitung war schnell überzeugt und warb auf Aushängen in den drei Unis Köln, Bonn und Düsseldorf. Voraussetzung für die Teilnehmer war die Zwischenprüfung. Die Studierenden, die sich meldeten, durchliefen dann erstmal eine dreimonatige Ausbildung.

    Wir haben erstmal versucht, ihr kunsthistorisches Wissen etwas in die zweite Reihe zu stellen und das selber Schauen und vor allem den Umgang mit den Originalen an die erste Stelle zu stellen - zu sehen, welche Materialien es gibt, wie es installiert ist. Also tatsächlich genau hin zu sehen und zu beschreiben.

    Christiane Litz vom Museum Ludwig ist überzeugt, dass die Studierenden oft gar nicht wissen, was sie alles wissen, und dass die Kunstdialoge ihnen eine gute Möglichkeit bieten, dieses Wissen auch in der Praxis anzuwenden. Da im Studium nicht unbedingt vermittelt wird, wie das geht, hat das Museum für die Ausbildung auch Schauspiellehrer und Kommunikationstrainer engagiert, erzählt Litz:

    Denn es ist oft so: In der Kunst geht es viel um Körper und Körperlichkeit, aber als Kunsthistoriker hat man oft keinen Körper (lacht). Das heißt, man steht nicht wirklich, man weiß nicht, wie man dastehen soll, wohin mit den Armen, wie spreche ich Leute an, wie stelle ich nicht nur Ja-und-Nein-Fragen. Und manchmal braucht man auch einen Tipp, wie man aus einem Gespräch wieder rauskommt.

    Christiane Litz und ihre Kollegen haben viel eigene Arbeit in das Projekt gesteckt, die Kosten werden durch Spenden gedeckt. Zum Beispiel die Bezahlung der Studierenden an den langen Freitagen. Dafür hat das Museum nämlich kein Geld. Die Studierenden suchen sich bestimmte Bereiche des Museum aus und überlegen sich, welche Fragen wohl ein Laie haben könnte. Dabei muss man auf allerhand vorbereitet sein, erzählt Christian Lechelt, auch darauf, selbst infrage gestellt zu werden:

    Ich hatte mal einen Besucher, der fragte mich, würdest du, wenn du auf dem Flohmarkt wärest und dieses Bild oder ein ähnlich gemaltes fändest - damals stand ich vor Emil Nolde - würdest du die Qualität erkennen? Das ist eine Frage, bei der man vielleicht zuerst denken mag: mein Gott, wie dumm, natürlich sieht man doch, das ist ein Nolde! Aber wenn es nicht mehr dran steht, erkennt man wirklich die Qualität?

    Und aus der vermeintlich dummen Frage entwickelte sich ein langes und interessantes Gespräch über Qualitätskriterien in der Kunst. Wenn es den angehenden Kunsthistorikern gelingt, nicht nur mit ihrem Wissen zu glänzen, sondern die Besucher tatsächlich in Gespräche zu verwickeln, dann ist ihr Job gelungen. Und macht auch richtig Spaß, meint Suzanna Leu:

    Ich liebe es, zu hören, was die Leute selber sich dazu gedacht haben, Ärger oder Freude oder Fragen. Und ich hatte das nicht oft im Studium.

    Auch den Besuchern gefällt dieser Austausch mit jungen Leuten, besonders die etwa gleichaltrigen Besucher fühlen sich von den Studierenden angesprochen. Aber auch andere kommen sogar extra an den langen Freitagen zum Kunstdialog. Besucherstimmen:

    Wenn ich auch weiß, es sind bestimmte Themen, die mich interessieren, wie Pop-Art und so, dann komme ich ganz gerne hier her, auch um das Gespräch zu führen. Dann ist es halt schön, darüber mit jungen Leuten zu reden.