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Bleibt Friedmann an der Spitze des Zentralrats der Juden?

Meurer: Die Affäre um den TV-Moderator und stellvertretenden Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Michel Friedmann lässt die in Deutschland lebenden Juden vermutlich im Moment alles andere als kalt. Wo immer sich im Augenblick in den jüdischen Gemeinden getroffen wird, so wird berichtet, gilt die bange Frage danach: Was wird wohl aus Friedmann und wie wirkt sich der ganze Wirbel auf das Befinden und Selbstverständnis der Juden in Deutschland aus? Ich möchte mich darüber unterhalten mit dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Rafael Seligmann. Herr Seligmann, wie reagieren die jüdischen Gemeinden in Deutschland auf die Vorwürfe gegen ihren stellvertretenden Präsidenten?

25.06.2003
    Seligmann: Also eine bange Frage ist das nicht. Wir schlottern nicht vor Angst. Das ist eine individuelle Frage zunächst von Herrn Friedmann und der Justiz. Was daran richtig ist und was daran übertrieben wird, werden die Ermittlungen ergeben. Aber natürlich fragt man sich, was die Auswirkungen sind. Manche fragen sich, sollten sich diese Vorwürfe bewahrheiten, ist ein solcher Mann an der Spitze des Zentralrats tragbar? Das ist unabhängig von strafwürdigen Beständen; die sind ja wohl sehr gering. Die Frage ist nur - und sie ist durchaus legal - was Herr Friedmann mit den Damen da gemacht hat, aber ist das der richtige Repräsentant? Und da gibt es verschiedene Meinungen. Die einen sagen, das ist seine Privatsache. Die anderen sagen, man könne sich jemanden vorstellen, der in seinem Privatleben vielleicht ein bisschen konservativer vorgeht.

    Meurer: Was überwiegt denn im Augenblick Ihrer Meinung nach?

    Seligmann: Das ist ein Gleichgewicht. Einerseits ist es ein Reflex, ein Jude möchte einen anderen Juden beschützen, einen anderen Menschen überhaupt. Wir haben ja nach der ersten hysterischen Welle gesehen, dass es als Staatsverbrechen beschrieben wurde, wenn jemand bei einer Hure ist. Da müsste wahrscheinlich halb Deutschland im Gefängnis sitzen. Das ist auch der Reflex gewesen, das ist ein armer Mensch, den man beschützen muss. Wenn das mal abgeklungen ist - und das hat Herr Korn angedeutet - dann sollte darüber geredet werden. Ich glaube, dann wird auch Herr Friedmann sich auf Dauer äußern müssen.

    Meurer: Herr Korn ist der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, zu der Michel Friedmann gehört. Was sagen Sie denn dazu, dass sich Michel Friedmann bisher nicht geäußert hat?

    Seligmann: Also ich finde das ein wenig merkwürdig. Wahrscheinlich hat ihm sein Anwalt dazu geraten, aber auf Dauer wird es ihm wie Christoph Daum gehen. Christoph Daum musste ja auch nicht ins Gefängnis gehen, und da sehen Sie, wie lächerlich es ist, egal ob man Jude, Katholik oder Protestant ist.

    Meurer: Aber ein Unterschied war, Daum hat sich am Anfang ganz klar festgelegt und den Unschuldsengel gespielt. Das tut Friedmann ja nicht.

    Seligmann: Friedmann hat gar nichts gesagt. Das ist juristisch vielleicht durchaus richtig, aber irgendwann wird er sich äußern müssen, schon allein wenn er weiter an der Spitze des Zentralrats bleibt. Da, finde ich, ist es schon notwendig, dass er sagt, ich meine, ich kann das mit meinem Amt verbinden, oder ich meine, ich kann es nicht verbinden. Die Vorwürfe, die ich bis jetzt gehört habe, finde ich lächerlich im Sinne von strafwürdig. Das Amt eines Vizepräsidenten des Zentralrats erfordert ein moralisches, ein wirkliches Renommee, und ob das miteinander zu verbinden ist, da habe ich meine Zweifel.

    Meurer: Nun war ja Michel Friedmann in der deutschen Öffentlichkeit, zumindest in Teilen umstritten. Er hat polarisiert, auch in der deutsch-jüdischen Öffentlichkeit und Gemeinde?

    Seligmann: Teilweise ja wie jeder andere Mensch. Er ist ja eine Figur, die polarisiert. Hinzu kommt, er hat einen unheimlich hohen Maßstab gesetzt. Er hatte sich praktisch als Musterjude gebärdet, als ein weiser Nathan, als jemand, der fast unfehlbar ist, und jetzt muss man sehen, ob er diesem Maßstab persönlich gerecht wird. Ich habe da meine Zweifel.

    Meurer: Es ist mit Sicherheit oder mit hoher Wahrscheinlichkeit ja ein unglaublicher Zufall, dass unmittelbar nachdem Jürgen Möllemann auf so tragische Weise ums Leben kommt, diese Vorwürfe gegen Michel Friedmann zu Tage treten. Was sagen Sie zu dieser merkwürdigen Gleichzeitigkeit?

    Seligmann: Also ich bin kein Anhänger von irgendwelchen Verschwörungstheorien, die da meinen, das könnte jetzt die Rache von Staatsanwälten und weiß Gott was sein. Man soll sehr vorsichtig sein mit irgendwelchen Verschwörungsgedanken. Weder sitzen die Juden zusammen und überlegen sich eine neue Verschwörung noch die Staatsanwälte. Jetzt ist der Fall da, und jetzt sollte man sich überlegen, wie man auf anständige Weise da rauskommt.

    Meurer: Ärgern Sie sich über die Berliner Staatsanwaltschaft oder auch über einzelne Politiker?

    Seligmann: Über die Staatsanwaltschaft habe ich vorläufig keinen Grund, mich zu ärgern. Womöglich, wenn es sich herausstellen sollte, dass an den Vorwürfen nicht mehr dran ist, dass das Anhaftungen von Kokain sind, dann ist es vielleicht übertrieben, aber ich bin da kein Fachmann. Es hat mich zum Beispiel bei Herrn Merz gewundert, zum Beispiel seine Sorgen über die Auswirkungen des Falles Friedmanns auf die jüdische Gemeinde. Diese Sorge ist wirklich rührend, was da Herr Merz meint, aber ich sehe das als total übertrieben, fast eine hysterische Reaktion. Ich meine, es werden ständig Menschen irgendwelche Straftaten vorgeworfen, und da fragt kein Mensch, ist der Betreffende katholisch wie Herr Merz oder ist er Protestant wie Frau Süssmuth oder ist er ein Jude wie Herr Friedmann. Aber Herr Merz soll ruhig schlafen und sich nicht zu viele Sorgen um die jüdische Gemeinde in Deutschland machen. Also wir sind inzwischen so stabil in der Öffentlichkeit und im Bewusstsein der Bevölkerung, dass man nicht Angst haben muss, dass mögliche Verfehlungen einzelner Mitglieder gleich einen Grund zur Sorge geben.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio