Wie betrachtet man die Welt mit philosophischen Augen? Erkennt jemand mehr beim Blick auf die Politik, der sich von Aristoteles bis Habermas gut auskennt? Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des seit 2011 in Berlin erscheinenden Philosophie Magazins, sagt es uns:
"Die Welt mit philosophischen Augen zu betrachten, heißt zunächst einmal, sie nicht als etwas Selbstverständliches anzunehmen, sie als etwas Fragwürdiges zu erkennen. Ich glaube, der erste philosophische Impuls ist, es könnte auch ganz anders sein. Und warum ist es nicht ganz anders? Diese Fragwürdigkeit der Welt ernst zu nehmen, ihr nachzugehen und zu erkunden, was an unserem Leben, was an unserer Gemeinschaft besser und anders sein könnte. Ich glaube, das ist der mögliche Anfang des Philosophierens."
Neue Perspektiven auf Bekanntes zu entwickeln, ist für das Redaktionsquartett eine philosophische Tugend, die einer bloß hyperpragmatisch ausgerichteten Politik zugutekommen könnte.
"Unsere Fragen befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Politik, Soziologie, Psychologie und dem, was man den Alltag nennen könnte. Der Alltag ist der Ausgang des Philosophierens, so wie er uns interessiert."
Doch was fragt das im Zweimonatsrhythmus erscheinende Blatt, was andere politische Monatszeitschriften nicht fragen? Zum Beispiel, wie vernünftig Staatsschulden sind oder was von einem allerorts beschworenen Nachhaltigkeitsgebot grundsätzlich zu halten ist.
"Die Nachhaltigkeit ist beispielsweise ein Begriff, der in höchstem Maße fragwürdig erscheint. Wenn es nur darum geht, Ressourcen so schonend einzusetzen, dass wir sie in Zukunft auch nutzen könnten, dann steckt dahinter ja zumindest das Verständnis der Natur als Ressource, dass die Natur also etwas ist, das zu unserem Nutzen gebraucht werden darf. Hier sieht man also, dass hier ein gewisser blinder Blick in der Diskussion herrscht."
Ebenso fragt das Blatt, was sich wohl "Im Kopf von Putin" abspiele. Selbst das Handeln eines Menschen, das man nicht gut heiße, gelte es zunächst in seinen Wurzeln und Motiven verstehen zu wollen. Denn Leser würden häufig nicht ernst genommen, sondern mit einfachen Antworten kontrolliert unterfordert. Konstatiert Wolfram Eilenberger:
"Es geht hier nicht erst einmal, darum zu bewerten. Ich glaube, es ist überhaupt eine große Untugend in der Öffentlichkeit, dass die Bewertung vor dem Verstehen kommt. Und in unserem Magazin ist es oft so, dass wir kein Meinungsmagazin im strengen Sinne sind, sondern dass wir erst einmal die Hintergründe, auf denen die Meinungen, die geäußert werden, beruhen, darstellen."
Wie entstand dieses schnell agierende Zeitungsunternehmen, das mit seinem zutiefst postmodern durchwirkten, patchworkartigen Konzept den Beweis anzutreten sich bemüht, dass Philosophie in einem Blatt mehr sein kann als eine bloß zehn- bis zwölfseitige Bleiwüste.
"Zunächst einmal war es auffällig, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich und England das Land ist, das die stärkste philosophische Tradition hat in Europa und dass es in diesem Land kein populäres philosophisches Magazin gab. Wir sind ja kein Fachmagazin, das sich mit der Philosophie als akademischer Disziplin auseinandersetzt, sondern wir sind ein Gesellschaftsmagazin, das Fragen von allgemeiner Relevanz aus philosophischer Perspektive erkundet."
Markenkern des Blattes ist der Dreiklang aus einer Zeitgeist–Passage, einem Titeldossier von mehr als 25 Seiten sowie der Vermittlung philosophischer Klassiker über ein 16-seitiges Booklet mit Originaltexten. Zuletzt waren dies Spinoza, Epikur und Pascal. Das Ganze mit einem Bezug zur Aktualität, wie zum Beispiel Kants "Ewiger Frieden" und dessen Bedeutung für die heutige EU. Dabei versteht sich das Magazin auf verschiedene Textarten von Kurzmeldungen und Kolumnen, Essays, Reportagen und exklusive Dialoge - wie die zwischen einem Philosophen und einem Praktiker. Im aktuellen Heft sind dies die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und der Schriftsteller Martin Walser zum Thema "Gibt es ein gutes Vergessen?"
"Wir sind vom Alter her ganz breit aufgestellt von siebzehn bis wirklich siebzig, was auch der philosophischen Interessenlage entspricht. Generell haben wir Leser, die in Verantwortungspositionen stehen, die sich auch im konkreten Berufsalltag ethische, gesellschaftliche Fragen stellen müssen. Es kann eine Krankenschwester sein, es kann ein Oberstleutnant sein."
Der Markterfolg der Zeitschrift ist beachtlich, 25 bis 30.000 verkaufte Exemplare, obwohl der gleichnamige Mutterverlag in Paris keinem großen Medienunternehmen angeschlossen ist. Deshalb bewertet Chefredakteur Eilenberger die Zukunftsaussichten seines Blattes unter digitalen Bedingungen auch recht optimistisch:
"Ich denke, die Entwicklung zeigt, dass es für gewisse Segmente im Zeitungsmarkt eine sehr gute Zukunft gibt. Was die Digitalisierung angeht, - wir haben eine starke Facebook-Präsenz, wir sind in sozialen Netzwerken extrem aktiv. Aber Leser, die das Philosophie Magazin lesen, wollen auch ein wenig heraus aus diesem Strudel der Beschleunigung und des Schnelllesens. Und ich glaube, dass gerade Magazine wie unsere als Printmedien eine große und gute Zukunft haben."
Das "Philosophie Magazin" erscheint alle zwei Monate in Berlin und kostet 8 Euro.