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Blitzschutz mit Fernwirkung

Technik. - Bei Gewittern den Stecker ziehen: Das ist eine altbekannte Verhaltensregel für den Schutz der heimischen Elektrogeräte. Forscher an der Fachhochschule Kiel haben zusammen mit der Industrie jetzt ein neues Schutzsystem entwickelt, das Blitze abwehrt, bevor sie den Fernseher oder Videorecorder erreichen. In ihrem eigenen Versuchslabor haben die Wissenschaftler ihr neues System getestet.

Von Jens Wellhöner |
    In der Fachhochschule Kiel: Forscher stellen elektrische Entladungen nach, so wie sie auch in der Natur vorkommen. Zwischen zwei Elektroden haben sie eine Glasscheibe montiert. Wenn der Strom fließt, zucken kleine Blitze über die Glasscheibe und tauchen die Wände im abgedunkelten Raum in blaues Licht.

    Noch spektakulärer wird es aber, wenn im Labor nebenan ein neues Blitzschutzsystem getestet wird, im Auftrag der Industrie. Das Versuchslabor ist eines der wenigen seiner Art in Deutschland. In ihm stehen Geräte, die so aussehen wie ein kleines Umspannwerk: Das sind Kondensatorbänke, erklärt Energietechniker Professor Klaus Scheibe:

    " Die Kondensatorbänke stellen eigentlich das Herzstück des Blitzstromgenerators dar. Sie werden vor dem Versuch geladen, bis auf eine Spannung von 100 kV. Dann können, nach einer Zündung, die Kondensatorbänke die gesamte Ladung abgeben, an den Prüfling. So dass ein Strom zum Fließen kommt.
    "

    Der Prüfling: Das ist ein neues Blitzschutzsystem. Es soll verhindern, dass in Zukunft Elektrogeräte kaputt gehen, wenn der Blitz ins Haus einschlägt. Oder ins Haus des Nachbarn. Denn Klaus Scheibe hat nachgewiesen, dass Blitze auch noch in größerer Entfernung vom Einschlagsort Elektrogeräte zerstören können.

    " Es kann durchaus sein, dass diese Überspannung, die sich jetzt fortpflanzt, über Installationsleitungen oder Wasserleitungen, noch in Gebäuden von Nachbarn, die 200 oder 300 Meter entfernt sind, die Telefonanlagen oder die Videorecorder einen Schaden bekommen, wenn sie nicht mit Schutzeinrichtungen versehen sind. "

    Schlägt ein Blitz ein, entsteht sofort ein Kurzschluss mit dem Strom in der Hausinstallation. Klaus Scheibe:

    " Und jetzt hat man zwei Möglichkeiten: Entweder toleriert man das und lässt durch eine vorgeschaltete Sicherung den Kurzschlussstrom unterbrechen. Dann aber hätte Ihr Gebäude keine Spannungsversorgung mehr. Alles Zappenduster. Dann ist es besser, man kümmert sich um eine Komponente, die diesen Strom ableiten kann, ihn aber gleichzeitig auch unterbrechen kann wie ein normaler Schalter. "

    Und genau das soll das neue Schutzsystem leisten. Es besteht aus zwei Teilen. Der erste wirkt wie ein Schutzschild und leitet einen Teil des Blitzstroms ab, sodass nicht die volle Blitzenergie die Hausinstallation trifft. Die Spannung ist dann aber immer noch so groß, dass sie Computer oder Fernseher zerstören könnte. Darum tritt automatisch die zweite Stufe in Aktion:
    " Stellen Sie sich diese Komponente so vor wie zwei Euro- oder Cent-große Elektroden, die im bestimmten Abstand hintereinander angeordnet sind. Um diese Elektroden herum ist eine zylindrische Ummantelung, sodass ohnehin nur ein gewisses Volumen darin vorhanden ist. "

    Und der Blitzstrom darin quasi eingeklemmt wird. Die geladenen Teilchen im Blitzstrom werden dadurch so weit zusammengedrückt, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Der Strom wird so gebremst und kommt schließlich ganz zum Stillstand. Zumindest in der Theorie. Klaus Scheibe will das im Versuchslabor der Fachhochschule Kiel jetzt überprüfen. Dafür wird ein Blitz simuliert. Das heißt, das neue Blitzschutzsystem muss einer enorm großen elektrischen Stromstärke standhalten. Laboringenieur Jörg Kohlmorgen:
    " Die maximale Blitzamplitude, die wir in unserer Anlage erzeugen können, beträgt 230.000 Ampere. "

    Ein Strom dieser Stärke könnte 700 Elektroloks antreiben. Im Labor fließt er aber nur für die Dauer einer Millisekunde. Dabei entsteht ein lauter Knall. Jörg Kohlmorgen fährt die Anlage hoch.

    Die beiden Stufen des Blitzschutzsystems treten in Aktion und bestehen den Test. In einer Wohnung hätten sie Elektrogeräte vor Überspannung wirksam geschützt. Professor Scheibe kann dem Hersteller des Schutzsystems jetzt grünes Licht geben. Nach einer endgültigen Sicherheitsprüfung kann der den neuen Zwei-Stufen-Schutz verkaufen:

    " Diese Komponenten können sie im normalen Handel erwerben. Am besten Sie gehen zu Ihrem Hauselektromeister und sagen: Ich möchte einen Überspannungs- und Blitzschutz für mein Haus. Und dann kann er ihnen das besorgen. "

    In ihrem Testlabor prüfen die Kieler Forscher jede Woche neue Elektrogeräte und Sicherungen. Damit bei Gewitter keine Gefahr droht, für Computer oder Fernseher. Auch wenn man nicht vorher den Stecker zieht.