Mitten im Sumpf liegt der Strommast, abgeknickt auf einer Höhe von ein Meter fünfzig. Offenbar hat ihn jemand angesägt, im Zickzack und wenig präzise - und dann umgestoßen.
Er wisse nicht, wer den Anschlag verübt hat, sagt Leonid Schypko, der sich auf der Pritsche eines Transportautos, vorne an der Straße, ausruht.
"Natürlich freuen wir uns darüber und nutzen es. Die Regierung bleibt tatenlos, jetzt wollen wir sie zum Handeln zwingen. Wir lassen nicht zu, dass sie die Strommasten repariert. Kiew soll erst offiziell erklären: kein Strom mehr für die okkupierte Krim."
Leonid Schypko, ein 43-jähriger Elektriker, gehört der Gruppe an, die nicht nur die Reparatur der Stromleitungen auf die Krim verhindert. Sie kontrolliert außerdem den Verkehr auf die Halbinsel. Immer für jeweils acht Stunden steht Leonid auf der Straße. Lastwagen dürfen gar nicht durch und auch Personenwagen werden überprüft, erzählt Dmytro Haydutzkyj aus dem westukrainischen Ternopil, der auch im Transportauto sitzt:
Blockierer im Niemandsland
"Wir lassen nur einen Generator pro Auto durch, mit einer Leistung bis zu drei Kilowatt. Auch die Menge an Kerzen und Lampen, die mitgeführt werden dürfen, ist begrenzt. Wir wollen verhindern, dass die Leute damit Handel treiben und an der Blockade verdienen."
Leonid und Dmytro waren als freiwillige Helfer schon etliche Male im Kampfgebiet in der Ostukraine unterwegs. Aber die zehn Tage, die sie jetzt hier sind, empfinden sie als viel härter.
"Zehn Tage in dieser Steppe, bei diesem Wind und Temperaturen um die null Grad, das ist eine ernste Angelegenheit. Wir schlafen in Armeezelten, es gibt hier kaum Brennholz für den Ofen. Die meisten Lebensmittel bringen wir von Zuhause mit."
Die Blockierer haben sich im Niemandsland niedergelassen, zwischen den letzten ukrainischen Stellungen und der von Russland okkupierten Krim. Einsamer könnte ihre Lage kaum sein. Denn auch die Menschen auf der Festland-Seite unterstützen sie nicht. Das nächste Dorf Tschaplynka lebte vom Handel mit der Krim, die Straßensperre hat den Umschlag auf dem örtlichen Großmarkt für Fleisch und Gemüse radikal einbrechen lassen.
Ein Taxifahrer, der über die Grenze fährt und kontrolliert wird, schimpft:
"Man hat das Gefühl, dass bei uns Gesetzlosigkeit herrscht. Unsere Polizei unternimmt nichts gegen die Blockade. Diese Nationalisten tun, was sie wollen. Das ist doch Anarchie."
Auch die ukrainische Regierung unterstützt die Blockade nicht, sie lässt die Blockierer nur gewähren. Gleichzeitig benutzt sie den Stromausfall als Pfand in den Verhandlungen mit Russland.
Die meisten der Blockierer gehören Freiwilligenverbänden an, von den gemäßigt patriotischen sogenannten Automaidan-Gruppen bis zu radikal nationalistischen Organisationen wie der Nationalen Allianz. Initiiert haben die Blockade allerdings Krimtataren, einer von ihnen ist der Kommandeur der Aktion, aber sie wollen sich der Presse nicht gern zeigen.
Ein kleiner, gedrungener Mann mit Vollbart, der im Versorgungszelt essen kocht, sagt warum.
"Jagd auf politisch aktive Krimtataren"
"Seit wir die Blockade begonnen haben, machen die Behörden auf der Krim Jagd auf politisch aktive Krimtataren und ihre Familien. Jeden Tag werden Wohnungen durchsucht. Mein Sohn hat gerade den Einberufungsbefehl in die russische Armee bekommen, in die Armee der Okkupanten! Ich fürchte, dass Russland ihn und andere Tataren in Syrien einsetzt - oder am Ende sogar in einem Kampf gegen die Ukraine. Dann stehen er und ich uns mit Waffen gegenüber."
Der Mann dreht sich weg, er kann nicht weitersprechen.
Zu Mittag gibt es gekochte Kartoffeln mit Fleisch, dazu Sauerkraut und die scharfe abchasische Soße Adschika. An der Wand des Zelts hängt eine Karte von Europa und Asien - Russland ist auf ihr schon in Einzelteile zerfallen. Die Ukraine dagegen zieht sich bis an die Ostsee und nimmt auch einen Teil Polens ein. Ein Scherz sei das, sagen die Männer. Sie verweisen auf die krimtatarische Flagge gegenüber, auf der "Allah mit uns" zu lesen ist, nicht unbedingt eine Losung ukrainischer Nationalisten.
Die Krim gehöre vor allem den Krimtataren, sagt Oleh Bondaruk, ein 34-jähriger Unternehmer aus dem westukrainischen Luzk. Und die Mehrheit auf der Halbinsel, die aus ethnischen Russen besteht?
"Ihr Kaiser und ihr Gott ist doch die Tourismus-Saison. Wenn die ausfällt, dann werden sie auf jede Regierung böse, auch auf Putin. Wenn sie nun auch noch einen schwierigen Winter durchmachen, dann werden sie sich überlegen, ob sie wirklich in Russland bleiben wollen."
Und deshalb müssen die Krimbewohner im Dunkeln sitzen, in der Kälte? Laut der Genfer Konvention habe ein Okkupant die Pflicht, die Einwohner zu versorgen, sagt Oleh Bondaruk. Außerdem gebe es auf der Krim genug Generatoren für die lebenswichtigen Einrichtungen - für Krankenhäuser etwa. Und nicht nur d wirft Leonid Schypko ein:
"Die Behörden auf der Krim geben den trotz der Blockade vorhandenen Strom lieber den Militärbasen als den Haushalten. Auch die Fabriken sind versorgt: Das Chemiewerk "Krimskij Titan" direkt hinter der Grenze, das dem ukrainischen Oligarchen Firtasch gehört, leuchtet jede Nacht wie ein Christbaum."
Die Gruppe aus dem westukrainischen Luzk tritt am Nachmittag die Heimreise an - knapp 1.000 Kilometer. Die Stimmung im Transporter ist gedrückt. Denn Kiew macht weiterhin keine Anstalten, die Stromblockade offiziell zu verhängen. Im Gegenteil: Eine der vier Leitungen soll nun wieder in Betrieb genommen werden. Auch die Krimtataren haben dem inzwischen zugestimmt. Der Stopp der russischen Kohlelieferungen in die Ukraine - als Antwort auf die Stromblockade - zeigt offenbar Wirkung.