Vor dem beschrankten Bahnübergang steht eine altersschwache Lokomotive, ihre rot-grüne Lackierung schimmert trüb in der nasskalten Luft. Sie werde vorerst keinen Kilometer fahren, versichert ein junger Kerl, der sich Boguslaw nennt und am Bahndamm steht:
"Schauen Sie hin: Das Gleis hat schon Flugrost angesetzt. Meine Aufgabe hier ist es, dass diese Lok stehen bleibt. Wir sind fast alle ehemalige Soldaten, und das ist eigentlich keine militärische Aufgabe. Aber wir lernen dazu."
Ein gutes Dutzend Männer unter Boguslaws Kommando hat die Lok schon vor einigen Wochen gekapert. So können sie den Schienenverkehr hier, der nun auf ein Gleis beschränkt ist, besser kontrollieren. Denn Güterzüge dürfen nicht mehr durchfahren, für sie ist am Bahnhof in Bachmut Endstation. Ebenso wie an zwei anderen Eisenbahnstrecken in der Ostukraine.
Wertvolle Steinkohle aus dem Donezbecken
Ein Personenzug kommt vorbei, eine sogenannte "Elektritschka". Aus einem der Fenster lehnt sich ein Fahrgast: "Blockade!", ruft er den Männern begeistert zu. Inzwischen habe sich die staatliche Eisenbahngesellschaft auf die Situation eingestellt, sagt Boguslaw:
"Da gibt es keine Probleme. Die Fahrdienstleiter lassen die Personenzüge über das verbliebene Gleis laufen. Wir kennen den Fahrplan und lassen sie durch. Das hier ist eine Wirtschaftsblockade, Menschen blockieren wir nicht."
Vor allem geht es den Blockierern um wertvolle Steinkohle. Sie ist unterwegs aus den Separatistengebieten im Donezbecken - und bestimmt für Kraftwerke und Stahlwerke im übrigen Teil der Ukraine. Seit bald drei Jahren kämpft das Land gegen die prorussischen und von Russland unterstützten Separatisten, trotzdem blüht der Handel. Daran verdient vor allem der Stahl- und Kohlebaron Rinat Achmetow, der nachweislich Kontakte in die Separatistengebiete pflegt.
Ein Skandal, meinen die Blockierer. Wie Boguslaw sind die meisten von ihnen ehemalige Soldaten oder Mitglieder von Freiwilligenbataillonen. Die Separatisten hätten mit Granaten auf sie geschossen, bezahlt auch mit dem Geld, das sie für die Steinkohle bekommen.
Im Kommandozelt, direkt neben dem Bahnübergang, schürt Robert, 34 Jahre alt, den Ofen an:
"Die da oben schieben sich die Posten zu und tun nichts für unser Land, drei Jahre nach der Revolution. Ich frage mich schon, ob wir nicht schon wieder betrogen worden sind. So viele Oligarchen sitzen noch genau da, wo sie früher gesessen haben."
Oligarchen verdienen weiter kräftig an der Ukraine
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, selbst ein Multimillionär, hat Leute wie Boguslaw und Robert gegeißelt. Sie setzten die Zukunft der Ukraine aufs Spiel, so das Staatsoberhaupt. Tatsächlich stellt die Kohleblockade das Land vor erhebliche Probleme. Für die Kraftwerke reicht der Kohlevorrat noch vier Wochen, dann wird der Strom knapp. Zwei Stahlwerke haben schon die Fabriktore geschlossen.
Aber die Blockierer berühren einen wunden Punkt: Die Oligarchen verdienen weiter kräftig an der Ukraine, während solche wie sie für das Land alles geben. Boguslaw hat keinen Kontakt mehr zu seiner Frau, wie er sagt. Und Robert, der gerade frisches Holz für den Ofen hackt?
"Meine Familie ist zerbrochen, weil ich nicht besonders viel verdiene als Soldat. Ich bin meiner Frau nicht böse. Schon als Polizist war sie unzufrieden, weil ich kein Schmiergeld genommen habe. Sie hatte ja in gewisser Weise recht: Ich sollte doch meine Familie ernähren, und das geht mit einem Beamtengehalt eben kaum."
Dass die Ukraine zumindest einige Trippelschritte macht, um gegen die Korruption anzugehen, beruhigt die Gemüter kaum, im Gegenteil. Abgeordnete und hohe Beamte mussten im vergangenen Jahr zum ersten Mal das Vermögen ihrer ganzen Familie offenlegen. Das bringt manche der Blockierer erst recht in Rage, so Taras, der weiter oben steht, am Zelt mit den Feldbetten:
"Die Welt lacht doch über uns. Woher haben unsere Politiker so viel Geld? Sie verlangen von anderen Ländern Kredite. Dabei sind sie reich genug, dem Staat selbst Geld zu leihen. Die Regierung hat gerade den Mindestlohn angehoben, auf umgerechnet 90 Euro netto im Monat. Das ist, als wenn man einem hungrigen Hund einen Knochen hinschmeißt."
Kampf zwischen Regierung und Blockierern
Essen ist gekommen, Anwohner haben es vorbeigebracht. "Wer isst gern Wareniky?", ruft einer - die ukrainischen Teigtaschen.
Je näher der Energiekollaps rückt, desto heftiger wird der Kampf zwischen Regierung und Blockierern. Deshalb nagelt Dmytro, direkt neben dem Schlafzelt, Latten in Kreuzform aneinander. Später wird er sie mit Stacheldraht umwickeln:
"Wir stellen das um unser Zelt herum, damit wir ruhiger schlafen können. Ich traue den Machthabern zu, dass sie Provokateure sammeln, um uns zu vertreiben."
Nur in einem Fall soll die Blockade zumindest unterbrochen werden: Wenn es die Regierung schafft, dass die Separatisten alle Gefangenen freilassen. Deshalb ist auch Halina Pugatschowa aus der Millionenstadt Charkiw nach Bachmut gekommen. Ihr Sohn ist seit zweieinhalb Jahren vermisst, seit der blutigen Schlacht um Ilowajsk:
"Ich weiß, dass er in Gefangenschaft ist, es gab Informationen von Bewohnern aus Donezk. Außerdem hat ihn ein Kämpfer des Rechten Sektors, der freikam, in einem Kellergefängnis in Donezk gesehen. Aber die andere Seite will das einfach nicht bestätigen."
Zweieinhalb Jahre hat Halina ihren Sohn nicht gesehen. Fast ebenso schmerzt die 44-Jährige, dass viele Ukrainer so tun, als gebe es den Krieg im Osten nicht. Die Kohle-Blockade hat ihn wieder allen in Erinnerung gerufen.