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Blockupy-Aktionstage in Frankfurt
Ein Theater als Herz des Protests

Aus ganz Europa sind zornige junge Leute nach Frankfurt am Main angereist, um anlässlich der Einweihung der neuen EZB-Zentrale gegen die Politik der europäischen Institutionen zu protestieren. Theatermann Willy Praml stellt ihnen sein Haus zur Verfügung - als Ruhepol, Küche und Ort der Begegnung.

Von Ludger Fittkau |
    Theaterchef Willy Praml steht vor einem Graffiti der Blockupy-Bewegung.
    Willy Praml ist Chef des nach ihm benannten freien Theaters, das in der Naxos-Halle in Frankfurt am Main residiert. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    180 Liter Kartoffelsuppe. Ein Küchenkollektiv aus Brandenburg hat sich stundenlang ins Zeug gelegt, damit alle satt werden. Alle, die während der Blockupy-Aktionstage in Frankfurt am Main das Theater Willy Praml zum Anlaufpunkt gewählt haben.
    "Wir sind Fläming Kitchen und noch zwei andere Küchen, die mithelfen. Wir versorgen die Leute hier während der Aktionszeit mit allem, was man zum Leben braucht."
    Die Suppe gibt es im Theaterhof, das Wetter meint es gut mit denen, die gekommen sind, um die Europäische Zentralbank zu blockieren. Die Brandenburger Suppenköche sind dankbar dafür, dass sie ihre "Volxküche" für hungrige Blockierer auf dem Gelände des bekannten freien Theaters in den Frankfurter Naxoshallen aufbauen durften.
    "Das ist sehr wichtig, weil wir ein autonomes Gelände brauchen, wo wir frei kochen können und nicht ganz so unter der Polizeiaufsicht sind."
    Willy Praml: Ein Theater, das sich als gesellschaftlich aktiv versteht
    Willi Praml ist ein bekannter Theatermann in Frankfurt am Main. Wie Heiner Goebbels oder die sogenannte Neue Frankfurter Schule um Robert Gernhardt und F.K .Wächter hat er den hoch dotierten Binding-Kulturpreis in der Mainmetropole verliehen bekommen. Der 73-Jährige hat seine lange weiße Mähne zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das ganze Ensemble, so betont er im Innenhof seines Theaters, hat beschlossen, den Kulturort zwei Tage lang den Blockupy-Aktivisten zur Verfügung zu stellen. Baulärm dröhnt von Nachbarbauten in den Theaterhof, als Willy Praml erklärt, dass dies schon eine Entscheidung war, die den normalen Bühnenbetrieb sprengt:
    "Wir hätten eigentlich übermorgen Premiere gehabt, wir haben dann die Premiere auf Bitten auch von Blockupy verschoben. Und wir selber sind ja auch ein Theater, das sich durchaus versteht als gesellschaftlich aktiv, politisch interessiert und so weiter. Wir haben auch schon Stücke gemacht über die Bankerwelt oder Karl Marx und das Kommunistische Manifest und so. Und als dann Blockupy fragte, wir brauchen Räume, um jetzt auch einen Versammlungsort zu haben, da haben wir gesagt, wir können jetzt nicht das Theater vorschieben."
    Ein wenig ist diese Entscheidung auch eine Kritik an der Stadtverwaltung von Frankfurt am Main. Die hatte nämlich den Blockupy-Aktivisten keine Turnhallen oder Jugendzentren für Übernachtungen zur Verfügung gestellt:
    "Wenn die Stadt als Gastgeber auftreten würde und würde sagen: Okay, das sind jetzt nicht nur irgendwelche unerwünschten Hergelaufenen, sondern die sind Gäste aus dem In-und Ausland und wir reden mit denen und sagen aber auch, was wir von denen erwarten. Dass man schon im Vorfeld versucht, die zugespitzte Lage durch gegenseitige Akzeptanz zu entspannen, das hätte ich mir gewünscht."
    Paula und Uriol: Die Wirtschaftskrise in Spanien ist nicht vorbei
    Ob das aber Paula und Uriol den Zorn genommen hätte, darf bezweifelt werden. Die beiden aus Barcelona haben sich im Theaterhof ein sonniges Plätzchen gesucht und löffeln ihre Kartoffelsuppe. Sie sind um die 30 Jahre alt und extra aus Katalonien nach Frankfurt am Main gekommen, um zu demonstrieren. Sie sind sehr zornig. Es sei falsch, wenn in deutschen Zeitungen geschrieben wird, die Wirtschaftskrise in Spanien sei überwunden. Die Arbeitslosigkeit sei gerade bei den jungen Spaniern weiterhin enorm hoch, immer noch wandern viele aus, betonen Paula und Uriol. Auch er müsse sich in Barcelona mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, erzählt Uriol:
    "Ich habe keine normale Arbeit. Manchmal arbeite ich schwarz. Ich habe keine Chance, normale Arbeit zu bekommen. Ich lebe auch mit 30 noch bei den Eltern, weil ich es mir nicht leisten kann, auszuziehen. Ich habe immer nur ein paar Monate Arbeit, dann nicht mehr. Wir können einfach nichts von der Zukunft erwarten."
    Deshalb wollen Paula und Uriol heute in Frankfurt am Main für ein sozialeres Europa demonstrieren. Ins Theater Willy Praml sind die beiden Katalanen gekommen, um andere Blockupy-Aktivistinnen und Aktivisten kennenzulernen.
    Ein Funke von Syriza zu Podemos
    Heinz Klein ist mit einem Rollstuhl aus dem rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach nach Frankfurt am Main gekommen. Sein linkes Bein ist geschient, sehr beweglich ist der Rentner nicht. Doch er wollte es sich nicht nehmen lassen, bei den Blockupy-Aktionen mitzumachen. Einen Teil seines Rentner-Lebens verbringt der Attac-Aktivist nämlich in Spanien. Die sozialen Probleme, die er dort in den letzten Jahren miterlebt hat, lassen ihn nicht kalt.
    Wie Paula und Uriol aus Barcelona freut es ihn, dass heute auch Mitglieder der "Podemos"- Bewegung in Frankfurt sprechen wollen. "Podemos" ist eine neue linke Bewegung in Spanien, die wie Syriza in Griechenland im Herbst dieses Jahres gute Chancen hat, in Spanien stärkste Partei zu werden:
    "Irgendwie muss die griechische Regierung das noch hinkriegen, bis zum Spätsommer irgendwie noch durchzuhalten, damit der Funke überspringt zu Podemos."
    Ein bisschen Sorge hat Heinz Klein schon, mit seinem Rollstuhl heute in Situationen zu kommen, in denen es zwischen Demonstranten und Polizei zu Handgreiflichkeiten kommt. Auch der alte Attac-Aktivist spürt den Zorn, der viele junge Europäer antreibt, die sich auf dem Theatergelände treffen.
    "Ein kleines Risiko ist mir schon bewusst, aber ich gehe es ein."
    Bühnenchef Willy Praml will aber verhindern, dass die Polizei auf der Suche nach möglichen Randalierern sein Theater betritt. Es soll ein Freiraum bleiben, auch wenn es an der EZB ruppig zugeht:
    "Ich werde natürlich am Eingang stehen und sagen, es gibt keinen Grund als Polizei aufzutreten, denn das sind Leute, die wollen was essen und trinken und wollen sich unterhalten, Informationen austauschen und da gibt es keinen Grund, dass die Polizei ihr wachsames Auge draufhält. Das können wir unter uns regeln."
    Diskutieren mit den Blockupy-Aktivisten
    Nach einer guten Stunde sind die 180 Liter Kartoffelsuppe der "Volxküche" am Theater ausgegeben. Im Theatersaal werden die Stuhlreihen für das nächste Plenum der Blockupy-Aktivisten gestellt. Noch bis morgen wird der Theaterbetrieb weiter ruhen. Willy Praml lädt seine Zuschauer ein, heute in sein Theater in den Naxos-Hallen zu kommen und mit den Blockupy-Aktivisten zu diskutieren:
    "Wenn schon die ganze Stadt verrücktspielt, dann habt mal die Gelegenheit, euch mal zu informieren und dass Blockupy ein Gesicht bekommt. Dass es hier Leute gibt, die Gründe haben, die Motive haben, sich zu engagieren. Mit denen könnt ihr ins Gespräch kommen."
    Etwa mit Paula und Uriol aus Barcelona. Zornige jungen Europäer, die sich im Augenblick auf der Verliererseite der politischen Entwicklung sehen. Das wollen sie heute lautstark zum Ausdruck bringen – in der Bankenmetropole des Kontinents.