Mit einem ersten Schuss Koffein im Blut und besagtem Übermut, der Knochen zu brechen vermag, lassen wir uns im "Grand Théâtre Lumière" nieder und versinken in den folgenden zwei Stunden tiefer und tiefer in den Sesseln. Auf der gigantischen Leinwand vor uns sehen wir eine Mischung aus Louis de Funès-Humor, Monty Python-Körperlichkeit und Downton Abbey-Setting. Die Familie Van Peteghem aus Lille verbringt im Jahr 1910 die Sommerfrische an der Nordküste Frankreichs. "We know what to do, but we do not do”, sagt der Bruder-Schwager-Cousin Christian in holprigem Englisch. Jeder in dieser Familie ist doppelt und dreifach miteinander verwandt. Und man mag daran zweifeln, dass sie alle wirklich wissen, was zu tun ist. Fakt ist, dass sie nichts tun. Die Muschelpflücker-Familie Brufort weiß dagegen, womit man sein eigenes Leben verbringt und wie man das Leben anderer beendet. Hoffnungslos überspannt ist alles an diesem Film: Charaktere, Gesichter, Bewegungen – selbst die Tonspur: Hebt der kugelrunde Polizeiinspektor Machin nur den Arm, knarzt er wie ein alter Lederkoffer.
Soviel "hystérie" macht müde. Der eine oder andere Kopf nickt nach vorne. Ganz leise weht von irgendwoher ein sanftes Schnarchen herüber. Die Erschöpfung des dritten Tages schlägt durch. Auch bei einem Fotojournalisten, der eingenickt ist, während er auf das Filmteam von "I, Daniel Blake" wartet. Er wacht auch nicht auf, als sich Regisseur Ken Loach und seine Schauspieler längst vor den Kameras präsentieren. Der fast 80jährige Loach lässt es sich nicht nehmen und kniet sich neben den schlummernden Fotografen. Da schreckt er hoch: Loaches Präsenz ist offensichtlich ein Wachmacher – so wie sein neuer Film.