Eine Titelzeile wie "Das Internet muss weg" würde man im Internet vermutlich anklicken – weil man ja denkt, das kann doch keiner ernst meinen. Also geschickt gewählt von Schlecky Silberstein, beziehungsweise seinem Verlag, sein Buch über die Gefahren von Netz und Social Media so zu nennen. Schlecky Silberstein alias Christian Brandes ist Comedy-Autor und Blogger, lebt also selbst vom Internet, scheint es aber dennoch ernst zu meinen, wenn er es als "größte Verarschungsmaschine aller Zeiten" bezeichnet.
"Ich bin der beste Mitarbeiter von Facebook und Google"
Sigrid Fischer: Willkommen bei Corso, Herr Brandes, Herr Silberstein.
Schlecky Silberstein: Hallo.
Fischer: Ja, Sie haben ja selbst rund 130.000 Facebook-Follower. Sie füttern und ölen die Verarschungsmaschine also dann ja auch ganz schön, ne?
Silberstein: Auf jeden Fall. Also, ich bin, wenn man so will, auch der beste Mitarbeiter von Facebook und Google. Ich mache da fleißig mit, das stimmt schon.
Fischer: Sie haben ja ein Kapitel in Ihrem Buch, ja, das habe ich natürlich als erstes gelesen, über den Journalismus, der so schön mit Klick-Ködern arbeitet: Also, so eine schöne Schlagzeile, wo man erst mal klickt – und oft ist heiße Luft dahinter. Wie machen Sie das in Ihrem Blog? Setzen Sie etwa keine Klick-Köder? Doch!
Silberstein: Na, ich bin ja zum Glück mit meinem Blog unabhängig mittlerweile, also finanziell unabhängig. Ich mache das wirklich nur noch als Hobby. Ich verdiene mein Geld ganz normal öffentlich-rechtlich als Comedy-Autor. Das heißt, ich muss zugeben, als ich noch von meinem Blog gelebt habe, da bin ich eben genau auch in diese Reflexe reingefallen, dass man natürlich eine Headline so formuliert, dass sie in irgendeiner Form schon in den Artikel rein zieht. Zu einem gewissen Grade ist das ja auch legitim. Aber ich habe auch schon Dinge in einer Headline versprochen, die sich so im Artikel in keinster Weise wiedergefunden haben.
"Geld ist der Treibstoff des Internets"
Fischer: Ja, erlebt man häufig, finde ich. Ich nenne jetzt gar nicht das Medium, bei dem das ganz, ganz häufig passiert - egal. Sie schreiben in Ihrem Buch: Mit der Einführung des Facebook-Like-Buttons im Jahr 2009 beginnt die von Ihnen kritisierte Version des Internets. Warum mit diesem Facebook-Like-Button?
Silberstein: Na, wenn ich jetzt sage "Das Internet muss weg", dann meine ich vor allen Dingen ganz konkret das Social-Media-Internet, also dieses eine Internet, in dem eben jede einzelne Person ohne viel Geld selbst ihre eigene Online-Filiale aufmachen kann. Und dieser Like-Button, der hat für Facebook zufälligerweise einen ganz spannenden Effekt gehabt: Facebook hat gemerkt, als der eingeführt wurde, dass der irrsinnige soziale Dynamiken hervorruft und dass die Leute einfach unglaublich Lust haben, zu liken und zu liken und zu liken – und zu kommentieren. Da hat man erst gesagt: Na ja, gut, das ist ein normaler sozialer Reflex. Aber Facebook hat auch festgestellt: Wir kriegen im Rahmen dieser ganzen Likerei das Wertvollste, was es aktuell gibt auf der Welt, den wertvollsten Rohstoff: nämlich Daten. Und dann wurde das Ganze halt zugespitzt und gesagt, vereinfacht gesagt, wir müssen die Leute dazu bringen oder sie dazu zwingen, so viel wie möglich zu liken oder zu interagieren.
Fischer: Genau. Und die Daten werden zu Geld gemacht und das Geld ist der Treibstoff wiederum des Internets, das schreiben Sie so auch.
Silberstein: Genau.
Wir haben noch länger mit Schlecky Silberstein gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
"Suchtkranke Reflex-Klicker"
Fischer: Das ist natürlich nicht Neues. Wir leben im Kapitalismus. Der Automobilbranche ist im Moment auch relativ egal, ob unsere Gesundheit Schaden nimmt oder nicht. Warum ist es in der digitalen Welt doch vielleicht mehr bedenklich? Zumindest habe ich den Eindruck, wenn ich Ihr Buch lese, dass Sie das so sehen?
Silberstein: Das Problem ist, dass es halt einfach wirklich sehr skrupellos passiert. Also, natürlich muss man als Unternehmen schauen, dass man sich im Konkurrenzumfeld am Markt bewährt. Aber wenn das Ganze dann ungesund wird, also wenn man zum Beispiel bewusst mit Abhängigkeitsmechanismen arbeitet – und das machen eben Facebook und Google -, dann wird es halt kriminell. Es gibt halt so ein ganz neues … na, er ist nicht ganz so neu, der Begriff. Das nennt sich "Addictive Design". Und das ist so eine Sache, die jetzt gerade in den letzten Jahren im Silicon Valley ganz groß geschrieben wird. Und das sind Dinge, die man aus der Spielautomaten-Programmierung kennt. Und das bedeutet nichts anderes, als dass gerade Facebook und Google genau so arbeiten wie Hersteller von Spielautomaten. Und auf Spielautomaten wird immerhin gewarnt, dass es abhängig macht. Im Internet steht kein Warnhinweis.
Fischer: Ja, dieser Suchtfaktor. Sie sagen ja, "wir sind passive, suchtkranke Reflexklicker". Also offenbar ist dieses Angebot, was da in dem Netz auf uns wartet, zu verlockend – da kann man doch nichts gegen machen, dass uns das so reinzieht und hinlockt.
Silberstein: Man kann tatsächlich erst mal nur ein Bewusstsein dafür schärfen, wie das Ganze konkret funktioniert. Und das ist halt auch im Wesentlichen der Hauptgrund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Ich hatte am Anfang auch nur einen Verdacht. Und ich habe auch erst im Rahmen der Recherche ein ganzes Jahr über festgestellt, wie dramatisch es teilweise wirklich um unsere geistige Gesundheit steht. Aber es gibt ja zum Glück auch Zahlen. Es ist ja auf der einen Seite ein diffuses Gefühl, auf der anderen Seite sehen wir ja, dass gerade die Depressionszahlen und auch Teenager-Selbstmorde durch die Decke gehen. Und da sehe ich halt eben, dass das Internet verantwortlich, beziehungsweise Facebook und Google, die am Ende über unser Belohnungssystem, also eigentlich das Heiligtum des Menschen, uns über unser Belohnungssystem dazu mehr oder weniger zwingen oder nötigen, immer wieder mit den Servern in Kontakt zu treten. Und das ist ungesund.
"Es geht nicht nur um diffuse Gefühle"
Fischer: Jetzt habe ich aber so beim Lesen immer wieder gedacht: Ja, Mensch, das weiß ich doch alles. Ich bin jetzt nun wirklich auch so ein Durchschnitts-User, ich weiß nicht viel über die Technik und so weiter – aber natürlich weiß ich, dass nichts gratis ist, wie Sie schreiben, dass ich mit meinen Daten zahle, dass die zu Geld gemacht werden, dass das Netz Geldtreiberei ist, dass es diesen Suchtfaktor gibt, dass ich mich in Filterblasen bewege, dass der Mensch vielleicht mal von einer Superintelligenz verdrängt wird. Dann habe ich gedacht: Wer ist die Zielgruppe dieses Buches? An wen richten Sie sich da? Die Leute sagen: Egal, meine Daten kann doch jeder haben.
Silberstein: Genau, da geht es nämlich schon los. Also, es gibt ja …
Fischer: …Wollen Sie die überzeugen, diese Leute?
Silberstein: … Na, ich möchte etwas mehr in die Tiefe führen. Eine Sache, die mir oft aufgefallen ist, das ist: Datenkapitalismus ist ein Thema, da gab es viele wundervolle Dossiers. Aber ich hatte beim Lesen immer das Gefühl, der Kern des Problems ist ein ganz anderer. Ich finde, man sollte den Fokus darauf lenken: Was machen Facebook und Google eigentlich konkret – und was passiert dann neurologisch, beziehungsweise: Was ist eigentlich der neurologische Hintergrund? Also, wie verändert das Internet unser Gehirn? Und da bin ich aus zwei Gründen überzeugt davon, dass das noch nicht so bekannt ist. Zum Einen findet die Forschung dazu jetzt gerade erst statt. Also, wir haben jetzt beispielsweise eine oder zwei Generationen, die exklusiv mit dem Internet aufgewachsen sind, die die analoge Welt nicht mehr kennen. Und wir können gar nicht wissen, was eben diese ganzen Interaktionsreflexe mit jungen Gehirnen machen. Und darauf will ich hinführen. Und ich würde gerne da eine Diskussion schärfen, dass wir genau schauen, wie sich unsere Gehirne verändern – und das Ganze halt auch eben mit einem wissenschaftlichen Überbau, es geht also nicht nur um diffuse Gefühle, sondern es geht eben auch um Belege, die uns bedenklich stimmen sollten.
Fischer: Ich dachte so: Hätten Sie das Buch nicht vielleicht sehr gezielt auch in der Sprache und der Aufmachung dann mal an die Erst-User, so an ganz junge Jugendliche adressieren sollen?
Silberstein: Sicherlich hätte man das Ganze auch ein bisschen jünger gestalten können. Auf der anderen Seite sind am Ende die Eltern dafür verantwortlich, was ihre Kinder tun.
Fischer: Ja, Schlecky Silberstein, jetzt überlege ich, welchen Klick-Köder wir gleich auf unsere Homepage setzen, damit dieses Gespräch, was wir geführt haben, auch angeklickt wird. Haben Sie eine Idee?
Silberstein: Na, also ich würde sagen, wenn ich jetzt mal ganz perfide vorgehe: Wir haben mit Schlecky Silberstein über sein Buch "Das Internet muss weg" gesprochen – ab Sekunde 30 werden Sie weinen vor Ergriffenheit.
Fischer: Leider zu lang. Sonst wäre es wirklich schön. Wir bleiben wahrscheinlich bei dem Buchtitel "Das Internet muss weg". Vielen Dank!
Silberstein: Ich bedanke mich.
Schlecky Silberstein: "Das Internet muss weg"
Knaus Verlag, 260 Seiten, 16 Euro
Knaus Verlag, 260 Seiten, 16 Euro