Christoph Reimann: Das neue Album "Get Tragic" behandelt eine Zeit, in der Sie zwei sich nicht mehr verstanden haben. Das war, nachdem Sie Ihr viertes Album aufgenommen haben. Was genau war passiert?
Steven Ansell: Ich glaube, man nennt es Burn-out.
Laura-Mary Carter: Ja. Wir waren einfach non-stop auf Tour, seitdem wir Teenager waren. Wir haben dieses vierte Album aufgenommen, sind auf Tour gegangen – und dann gab es ein paar Dinge, die uns frustriert haben. Am Ende haben wir uns gegenseitig frustriert.
Ansell: Ja, das stimmt. Wenn etwas schiefläuft im Leben, tendiert man dazu, es an den Menschen auszulassen, die einem am nächsten sind. Und das waren in dem Fall eben wir zwei.
Reimann: Also sind Sie auf Abstand voneinander gegangen. Laura-Mary Carter, Sie sind nach Los Angeles gegangen, und Sie, Steven Ansell, blieben in Brighton.
Carter: Ja, wir haben immer schon in anderen Städten gewohnt – ich in London, Steve in Brighton. Aber ich hatte den Entschluss gefasst, für ein paar Monate ganz woanders hinzugehen, mit niemandem zu sprechen. Dann bin ich in Los Angeles gelandet, weil ich davon ausging, da auch Musik machen zu können.
Verloren und wiedergefunden in Amerika
Reimann: Und das haben Sie ja auch. Und Sie sind geblieben. Sie leben immer noch in Los Angeles.
Ansell: Ja, ich habe Laura an Amerika verloren …
Carter: Genau, ich bin da geblieben.
Ansell: Und dann bin ich gekommen und habe dich gefunden.
Reimann: In der Zeit des Alleinseins – was haben Sie getan, um wieder Kraft zu tanken?
Carter: Ich habe mit anderen Leuten Musik gemacht. Und dadurch habe ich unser Projekt, die Blood Red Shoes, wertschätzen gelernt. Ich bin so sehr daran gewöhnt, mit Steve zu spielen, wir kennen uns so gut, wir können ganz instinktiv zusammenarbeiten. Als ich mit anderen Musikern gespielt habe, habe ich verstanden, dass man nicht immer einen Draht zueinander findet.
Ansell: So nett warst du noch nie zu mir. Wir beide haben weiter Musik gemacht, nur eben nicht zusammen. Laura hat mehr gejammt und Songs geschrieben. Und mich hat schon immer die Arbeit im Studio gereizt. Also bin ich mehr in diese Richtung gegangen, habe andere Bands produziert. Am Ende waren wir beide bei ganz neuen Stilen angekommen.
Von Rihanna lernen
Reimann: Ja. Ich habe gelesen, dass Sie, Laura-Mary Carter, Songs für Rihanna geschrieben haben. Stimmt das?
Carter: Ja.
Reimann: Was für Songs? Was hat sie gesagt?
Carter: Es war für ihr letztes Album, eine Kollaboration mit einem DJ. Mein Job war es, eine Melodie und einen Text zu finden. Das für jemanden wie Rihanna zu tun, ist eine totale Herausforderung. Man muss da erst mal den richtigen Vibe finden. Gute Popsongs sind echt schwer. Aber ich habe daraus gelernt, es hat unserem neuen Album geholfen.
Reimann: Was konnten Sie von Rihanna lernen?
Carter: Im Grunde habe ich gelernt, anders zu singen. Lyrics zu schreiben, mit denen auch andere Leute etwas anfangen können.
Ansell: Die weniger vage sind. Die weniger poetisch sind. Manchmal schaut man ja zurück auf das, was man gemacht hat, und denkt: gar nicht mal so gut. Man versteckt sich nur hinter seinen Worten. Im Pop kann man das nicht so gut.
Carter: Yeah.
Ansell: In "Eye to Eye", deine Phrasierungen, deine Art zu singen, das ist neu. Das ist fast ein bisschen R'n'B. Das fand ich super. Weil es etwas anderes war als sonst. Ich weiß nicht, ob das auch passiert wäre, wenn du nicht mit diesen Stilen herumexperimentiert hättest.
Carter: Totally.
Von missglückten Schönheitsoperationen und pinken Pudeln
Reimann: Die Beinahe-Trennung ist schon tragisch an sich. Aber es war Ihr Umgang damit, der zu dem Titel des Albums geführt hat, "Get Tragic".
Ansell: Ja. Der Titel hat viele Bedeutungen. Als die Dinge anfingen, aus dem Ruder zu laufen, haben wir am Anfang noch dagegen gesteuert. Aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Wir haben fast alle Leute gefeuert, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Dann haben wir unseren Plattenvertrag nicht verlängert. Dann haben wir neue Leute engagiert, die schlimmer waren als alles andere. So ging es weiter, bis wir dachten: Meine Güte, wir sind echt tragisch!
Und irgendwann hat Laura mich dann angerufen und gesagt: Komm nach L. A., hier ist alles anders, super viele kreative Leute, hier können wir ein paar Songs schreiben. Also bin ich rübergeflogen. Und die Phrase "get tragic": Es gibt diese total tolle und kreative Seite an L. A., aber dann gibt es auch das andere L. A. - die Leute mit missglückten Schönheitsoperationen und pinken Pudeln, die glauben, sie sind Gottes Geschenk an die Welt. Und wenn wir solche Leute gesehen haben, dachten wir: oh, wie tragisch.
Und dann – die dritte Erklärung – ist uns aufgefallen, dass wir ja auch echt tragisch sind. Dem Klischee einer englischen Band entsprechen, die in die USA geht, um sich selbst zu finden. Aber es ist eben die Wahrheit. So war es. Und mit der Namensgebung wollen wir das auch annehmen. Das ist also halbwitzig gemeint, halbernst.
Reimann: Und wie genau haben Sie dann wieder zusammengefunden?
Ansell: Slowly.
Carter: Ja Langsam. Als es mit anderen Leuten nicht geklappt hat, da haben wir uns entschlossen, es wieder gemeinsam zu versuchen. Dann hieß es wieder: Steven und ich gegen den Rest der Welt. So war es eigentlich immer. Wir dachten uns: Wenn jemand die Band kaputt macht, dann wir, nicht jemand von außen, der uns fertig machen will.
Ein Bandalbum nur zu zweit
Reimann: Reden wir über den Sound des neuen Albums. Ich höre viele Overdubs, mehr elektronische Spielereien als je zuvor. Sogar Keyboards. Was war die Sound-Idee?
Carter: Ich glaube, es ging uns darum, ein richtiges Bandalbum aufzunehmen. Nur dass wir alles darauf zu zweit gespielt haben. Wir wollten uns nicht beschränken.
Ansell: Das mit den elektronischen Instrumenten kam von mir. Als wir getrennt waren, habe ich mich intensiv mit Hip-Hop und elektronischer Musik beschäftigt. Ich wollte einfach mal was Frisches, Neues ausprobieren. Also habe ich angefangen, mit Loops und Synthesizern zu arbeiten. Es hat eine Weile gedauert, bis wir eine Vorstellung hatten, wie wir das unterbringen sollten. Aber unser Produzent Nick Launy hat uns da stark unterstützt.
Reimann: Als wir uns vor zehn Jahren zum ersten Mal getroffen haben, sagten Sie, Laura-Mary Carter, dass Sie viele E-Mails kriegen: Leute, die Ihnen schreiben, dass Sie nicht spielen können, die Sie fragen, warum Sie sich wie ein Mann verhalten, warum Sie kein hübsches Mädchen in einem Kleid sein wollen. Ist das jetzt besser geworden? Vielleicht hat es sich jetzt, zehn Jahre später, auch verschlimmert - durch Social Media?
Ansell: Diese bescheuerten Nachrichten kriegst du immer noch.
Carter: Ja. Was sich geändert hat: Heute findet man viel leichter Gehör, wenn man über dieses Thema sprechen möchte. Als ich das früher versucht habe, hat man mir gesagt, ich solle nicht so einen Aufstand machen. Das ist noch gar nicht so lange her. Heute ist das Sprechen darüber viel akzeptierter.
Gewachsenes Selbstbewusstsein
Ansell: Beyoncé hat das Wort Feminismus in großen Lettern auf ihre Bühne gestellt. Wenn man jetzt darüber sprechen kann, hat es fast schon etwas mit einer Mode zu tun.
Carter: Zurückkommend auf Ihre Frage: Ich bin heute auch viel selbstbewusster als früher. Als wir angefangen haben mit der Band, wusste ich ja gar nicht richtig, wie man Gitarre spielt. Das habe ich mir selbst beigebracht.
Ansell: Machst Du immer noch.
Carter: Das Selbstbewusstsein beim Spielen tut jedenfalls gut. Und Steven, Du konntest auch kein Schlagzeug spielen.
Ansell: Nein, das haben wir erst gemeinsam gelernt.
Reimann: Ja, aber Sie hat wohl niemand kritisiert, Steven Ansell, oder?
Ansell: Nein. Das kam nie vor. Das passiert Männern in der Musik einfach nicht. Mittlerweile machen wir uns drüber lustig. Wenn wir ein neues Video hochladen, wissen wir schon vorher, dass die Leute Lauras Look kommentieren werden, und dass es bei mir darum gehen wird, wie ich Drums spiele. Aber, was Laura eigentlich will, ist jemand, der sie als Gitarristin ernst nimmt. Und alles, wonach ich mich sehne, ist jemand, der mir sagt, dass ich hübsch bin.
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