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Bloß heiße Luft?

Die Sonne ist in Neu-Delhi auch an wolkenfreien Tagen nur schwach zu sehen: gelblicher Smog verstellt den freien Blick. Doch angeblich hat eine Studie der Regierung ergeben, dass der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 in Indiens Hauptstadt weitaus geringer sei als in Großstädten der Industrienationen.

Von Sascha Zastiral | 28.11.2009
    Über einer Hauptverkehrsstraße im Süden von Neu-Delhi liegt eine dichte Staub- und Rußwolke. Bereits nach wenigen Minuten fällt das Atmen schwer. Jetzt, im Winter, breitet sich der gelbliche Smog im gesamten Stadtgebiet aus. Die Sonne ist auch an wolkenfreien Tagen kaum zu sehen. Dennoch hat eine große Tageszeitung erst kürzlich auf der Titelseite verkündet: Indiens Hauptstadt ist eine der "grünsten" Großstädte der Welt! Eine Studie der Regierung habe ergeben, dass der "Pro-Kopf-Ausstoß" an CO2 in der 16-Millionen-Stadt Delhi weitaus geringer sei als in Großstädten in den Industrienationen.

    Rein rechnerisch verursacht jeder Inder tatsächlich nur einen CO2-Ausstoß von knapp mehr als einer Tonne pro Jahr – ein US-Amerikaner kommt im Durchschnitt auf das Zehnfache. Indien sei deswegen weitaus weniger zum Handeln gezwungen als die Industrieländer. Doch im überbevölkerten Indien den Grad an Verschmutzung durch pro-Kopf-Berechnungen festzulegen, das halten viele Kritiker für fragwürdig. Denn allein in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi ist die Luftverschmutzung die zweithöchste in der Welt.

    Achin Vanaik, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Delhi, gehört zu den Kritikern:

    "Pro-Kopf-Rechungen geben einen Hinweis darauf, wie viel CO2 im Verhältnis zur Bevölkerung weltweit ausgestoßen wird. Damit können wir darauf hinweisen, dass reichere Menschen in reicheren Ländern die Umwelt mehr schädigen als arme Menschen. Es ist die alte Geschichte, dass Konsumenten im Westen das Vielfache an Ressourcen verbrauchen. Doch es gibt in Indien ein grobes Missverhältnis, wenn man sich anschaut, was die indische Elite und die Mittelschicht an CO2 verbrauchen – nämlich sehr viel mehr als die arme Bevölkerung. Nur taucht dieses Missverhältnis in der Pro-Kopf-Rechnung nicht auf. Diese Art der Berechnung verschleiert die Tatsache, dass innerhalb Indiens die Reichen sehr viel stärker die Schuldigen sind als die Armen."

    Doch kurz vor dem Klimagipfel in Kopenhagen nutzt Indiens Regierung jetzt genau diese Pro-Kopf-Rechnung, um verbindliche Zusagen zu vermeiden und die eigene Wirtschaft vor Auflagen zu schützen. Statt dessen heißt es, Indiens Ausstoß an CO2 sei einer der geringsten in der Welt - pro Kopf gerechnet. Tatsächlich ist Indien einer der größten CO2-Verursacher. Premier Manmohan Singh sagte dazu bei seinem USA-Besuch diese Woche:

    "Wir sind gewillt, zur Lösung des Problems beizutragen. Wir beabsichtigen, an jeder Lösung mitzuarbeiten, die nicht das Recht von Entwicklungsländern in Frage stellt, sich zu entwickeln und ihre Menschen aus der Armut zu führen."

    Doch auf keinen Fall, heißt es aus Delhi immer wieder, werde Indien ein rechtlich bindendes Abkommen zur Senkung des CO2-Ausstoßes unterzeichnen. Stattdessen verweist die Regierung auf Klimaschutzinitiativen im eigenen Land. Khushal Yadav leitet das Klimaschutzprogramm des "Zentrums für Wissenschaft und Umwelt" ("Center for Science and Environemt") in Neu-Delhi. Die Organisation arbeitet eng mit Indiens Regierung zusammen. Yadav verteidigt die Herangehensweise der Regierung:

    "Indien hat eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel eingenommen. Wir haben schon ein spezielles Klimakomittee, dem der Premierminister vorsteht. Im eigenen Land tut Indien also eine Menge. Erst gestern hat die Regierung ein Solarstromprojekt beschlossen, eines der ambitioniertesten der Welt."

    Tatsächlich hat Indien erst vergangene Woche erklärt, das Land werde zukünftig massiv in Solaranlagen investieren. In den kommenden zwölf Jahren soll der Strom, den Indien aus Solarenergie gewinnt, vertausendfacht werden.

    Doch Beobachter sind skeptisch. Es sei vermutlich gar nicht möglich, so große Solarparks zu bauen, wie in der Erklärung angekündigt. Denn Land ist in Indien knapp. Immer wieder kommt es zu Bauern-Protesten, wenn die Regierung Land verstaatlichen möchte. Auch glauben Kritiker, der Solarstrom werde die unzähligen Kohlekraftwerke im Land nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen.

    Zumindest aber hat Indien mit dieser Ankündigung ein Zeichen für den Klimagipfel in Kopenhagen gesetzt.

    Kanada, Neuseeland und die Niederlande streben nun ein neues, rechtsverbindliches Abkommen an, das das Kyoto-Protokoll ersetzen soll. Darin würden auch die Schwellen- und Entwicklungsländer dazu verpflichtet, ihre CO2-Emissionen zu senken. Doch gerade Indien plädiert lieber für ein rein symbolisches Abkommen, denn die Schuld für die jetzige Situation trügen ja alleine die Industrienationen mit ihrem CO2-Ausstoß in der Vergangenheit. Indiens Chefunterhändler Shyan Saran sagte dazu kürzlich bei einer Konferenz in Neu-Delhi:

    "Wir haben kein Problem mit Kompromissen. Es gibt jedoch verschiedene Formen von Verpflichtungen. Unglücklicherweise geht es beim gesamten Diskurs zum Klimawandel immer nur um eine Frage: den gegenwärtigen CO2-Ausstoß. Erfolg und Misserfolg des Klimagipfels werden nun nur noch daran gemessen! Dabei ist doch der gegenwärtige CO2-Ausstoß nicht für den Klimawandel verantwortlich. Sondern die Emissionen, die sich längst in der Atmosphäre angesammelt haben - sie verursachen den Klimawandel."

    Saran spricht damit für die Mehrheit der Menschen in Indien. Denn das ganze Land ist geradezu berauscht von den hohen Wachstumszahlen und der Aussicht, innerhalb der kommenden Jahrzehnte zu den Industrienationen aufzurücken. Kritik an dem gegenwärtigen Wachstumsmodell mit all seinen Folgen gibt es nur wenig. Professor Vanaik erklärt, warum:

    "In Indien hat die Tatsache, dass das Land die Rezession weitaus besser überstanden hat als viele andere Länder, ironischer Weise dazu geführt, dass das Wirtschaftsmodell kaum noch in Frage gestellt wird. Somit machen wir weiter damit: Alles dreht sich um Profit. Und den kann es nicht geben ohne noch mehr Wachstum."

    Trotz Meinungsverschiedenheiten haben sich Premier Singh und US-Präsident Obama diese Woche immerhin darauf verständigt, in der Klimapolitik stärker zusammenzuarbeiten. Die USA kamen dabei Indiens Hauptforderung entgegen: Als Industrienation werden sie zukünftig Technologien liefern und Geld bereitstellen, damit Staaten wie Indien Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes ergreifen. Allem Anschein nach sieht Washington Indien als wichtigen Ansprechpartner unter den Schwellenländern.

    Eine völlige Blockadehaltung Indiens in Kopenhagen ist nach der gemeinsamen Ankündigung von Singh und Obama in Washington diese Woche jedenfalls nicht mehr zu befürchten. Denn nach China signalisiert nun auch Indien Zugeständnisse bei den Klimaverhandlungen. In einem Zeitungsinterview kündigte der indische Umweltminister Jairam Ramesh am Freitag an, sein Land werde noch mal über seine Klimastrategie nachdenken und sich um Flexibilität bemühen.

    An Indiens gründsätzlicher Haltung, nämlich einem klaren Nein zu einem rechtlich bindenden Abkommen ändere sich dadurch jedoch nichts.

    Der Erfolg in Kopenhagen könnte somit bescheiden bleiben, glaubt auch Professor Achin Vanaik von der Universität Delhi:

    "Die Inder oder die Chinesen sind nicht die alleinigen Schuldigen. Alle Regierungen verhalten sich derzeit wie Gauner. Doch es gibt größere Gauner und kleinere Gauner. Die größeren Gauner sind die Industrieländer. Aber das heißt nicht, dass man die kleineren Gauner einfach so davonkommen lassen sollte."