Sascha Ziehn: Blueface aus Los Angeles ist die momentan umstrittenste Figur im amerikanischen Rap. Mit Anfang 20 ist er für die einen der große Innovator, für die anderen einfach nur ein Amateur, der weiß, wie man als Internet-Phänomen gut Geld verdienen kann. Das hier ist sein bisher größter Hit "Thotiana". Und jetzt erscheint sein offizielles Debütalbum "Find The Beat", und unser Mann für Hip-Hop, Axel Rahmlow, hat die Diskussion um Blueface verfolgt. Schönen guten Tag!
Axel Rahmlow: Hallo!
Neben dem Beat rappen
Ziehn: Was ist denn an dieser ganzen Diskussion und an dieser Figur Blueface so kontrovers?
Rahmlow: Wir haben das gerade ganz gut hören können. Blueface klingt immer so, als ob er den Takt eigentlich nicht richtig trifft. Also, als ob er nicht richtig mit dem Fluss des Beats nicht mithalten kann. Oder eben, ob er einfach nur viel zu schnell redet, fragt man sich manchmal, egal, welches Tempo die Musik hat. Am Ende ist der Eindruck, bei mir jedenfalls immer, dass er so ein bisschen über den Beat drüberstolpert. Das muss man sich so ein bisschen vorstellen wie auf einem Laufrad, das aber nicht zur eigenen Geschwindigkeit passt. Das ist aber in dem Fall hier volle Absicht und der Begriff dafür ist Off-Beat-Rap, also in etwa so neben dem Beat rappen. Das ist eigentlich eine Art Todsünde im Rap – der trifft den Takt nicht. Das ist ein vernichtendes Urteil schon immer gewesen.Ich merke das auch bei mir selber zum Beispiel. Das stört mich sehr oft, wenn da für mich keine Harmonie im Rap drin ist, wenn das holpert. Mein Begriff dafür ist immer Schlagloch-Rap.
Auf der anderen Seite muss man sagen, den Takt zu treffen, das ist so dermaßen Bestandteil von Rap, dass das fast schon etwas Dogmatisches hat, weil halt eben ganz klar vorgegeben ist, was gut ist und was nicht, was Harmonie hat und was nicht. Und Blueface der bricht mit dieser Grundregel ganz bewusst. Und weil er dann damit auch noch Erfolg hat, wird das so leidenschaftlich und so kontrovers diskutiert.
Ziehn: Ja, was würden Sie denn sagen? Ist er eher Innovator und hat wirklich etwas so was richtig Neues aus dem Hip-Hop rausgekitzelt oder doch nur ein Amateur, der nicht rappen kann?
Rahmlow: Also gerade an der amerikanischen Westküste hat es immer mal wieder Rapper gegeben, die Off-Beat gerappt haben, als eigenes Stilmittel. Aber niemand hat es bisher so konsequent und so dauerhaft wie Blueface gemacht. Und in dieser Konsequenz, als Stilmittel und nicht als Unfall, muss ich sagen, ist das wirklich innovativ. Und es ist auch mutig, weil er damit echt vielen Rapfans bewusst vor den Kopf stößt. Wenn zum Beispiel ich mich dann wirklich mal darauf einlassen kann, dann hat das schon was sehr Raues, was Ungeschliffenes, was Neues tatsächlich.
An der Grenze zur Karikatur
Wenn ich mir jetzt aber den Rest anschaue, dann ist Blueface im Großen und Ganzen schon ein ziemlich normaler Gangster-Rapper aus L.A.. Er rappt über sein Geld, über seine Autos, über Frauen, über Sex, über seine Gang. Er ist auch Mitglied bei einer Gang, bei den Crips. Das ist eine der größten Straßengangs in den USA; und übrigens, deren Erkennungsfarbe ist blau, deswegen auch der Name Blueface. Er rappt also über die Standard-Gangster-Sachen. Er ist überzogen, sexistisch, er ist überzogen materialistisch. Er zeigt das alles in seinen Videos, und das klingt natürlich erst mal nach ziemlich standardmäßigen Rap und ist in diesem Sinne überhaupt nicht innovativ.
Ziehn: Ist denn genau das seine Erfolgsformel, eben dieses Standard-Gangster-Klischees zu erfüllen? Oder ist schon dieses Off-Beat rappen für den Erfolg verantwortlich?
Rahmlow: Ich glaube, das sind zwei Teilfaktoren, und man muss dann zusammen schauen, dass es dahinter noch einen Menschen gibt hinter Blueface. Und das ist Jonathan Porter, und der macht in Interviews schon, finde ich, sehr klar, dass diese Figur Blueface eine inszenierte Überspitzung ist, und dazu kommt dann dieser Rap-Stil, der auch immer schon fast so etwas wie karikaturmäßig ist. Das ist immer an der Grenze zur Karikatur, aber nie drüber. Manchmal klingt er mit seiner hohen Stimme fast als ob er kreischen würde, also eher wie eine Cartoon-Figur. Das ist ein Punkt.
Der hat auch von Anfang an verstanden, über die sozialen Medien eine sehr enge Fan-Gemeinschaft aufzubauen, zum Beispiel durch Konzerte vor Schulen. Da war das Autodach dann seine Bühne. Und ein dritter wichtiger Punkt – er nimmt sich selber nicht zu ernst. Ein Beispiel: Das Album, was jetzt kommt, heißt "Find The Beat" – "Finde den Beat" – und das ist natürlich auch eine Referenz an die Vorwürfe, dass er nicht im Takt rappen kann. Auf dem Cover ist er übrigens dann auch als Zinnmann zu sehen, also wie bei "Der Zauberer von Oz", der unbedingt ein Herz haben möchte. Und für mich ist das so ein Symbol dafür, dass er die Kritik an sich schon wahrnimmt, aber sich auch über sein Image lustig machen kann. Und das alles zusammengenommen macht seine Musik weniger bedrohlich und macht ihn als Typen auch zugänglicher.
Ziehn: Wirkt das denn auf Sie echt? Oder doch auch so ein bisschen aufgesetzt?
Rahmlow: Also, wenn ich mir die Interviews anschaue, dann wirkt das auf mich wirklich sehr echt. Da ist ein schmaler, freundlicher Kerl, der in seinen Interviews viel lacht, er auch offen darüber erzählt, dass eben Marketing sehr wichtig ist, um eine Figur zu schaffen, die erfolgreich ist. Und ich glaube, dazu kommt noch, dass sich diese Echtheit an seiner Geschichte ableiten lässt, der rappt nämlich erst seit zwei Jahren. Blueface wollte erst Profifußballer werden, war in der Schule sehr gut darin, konnte sich dann aber an der Universität nicht durchsetzen, hat dann mal darüber nachgedacht, Friseur zu werden. Und dann, so erzählt sich jedenfalls die Geschichte, ist er im Tonstudio eines Freundes in L.A. gelandet, weil er dem ein Handy-Ladekabel zurückbringen musste. Und dort hat er einfach mal angefangen zu rappen und hat am Anfang natürlich erst mal nur die übriggebliebenen Beats bekommen. Das alles ist jetzt erst mal nur zwei Jahre her.
Virale Momente dank Gesichtstattoo
Das ist natürlich eine tolle Geschichte, und dazu gibt es noch ein Symbol, dass er ständig mit sich herumträgt, nämlich ein dickes Tattoo von Benjamin Franklin auf der rechten Gesichtshälfte. Das soll eine Verpflichtung sein, mit Rap Geld zu verdienen, so erzählt er es immer. Und Franklin ist natürlich ein großes Symbol in den USA für das Geld, weil er auf dem 100-Dollar-Schein ist. Das sieht bei Blueface wirklich nicht elegant aus. Aber dieses Tattoo hat auch schon für einige virale Momente im Netz gesorgt, und das passt dann natürlich auch noch mal perfekt zu dieser bewussten Überspitzung, die Blueface sein will.