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Blur
Ein großes Comeback mit "The Magic Whip"

In den frühen 90ern gehörten Blur zu den Pionieren des Britpop. Jetzt, zwölf Jahre später, sind sie wieder da und legen mit "The Magic Whip" ein Album vor, das im wahrsten Sinne des Wortes "made in China" ist. Gitarrist Graham Coxon erklärt die Geschichte eines ungewöhnlichen Comebacks.

Von Marcel Anders |
    Graham Coxon auf dem Reeperbahnfestival 2012 in Hamburg.
    Graham Coxon auf dem Reeperbahnfestival 2012 in Hamburg. (Imago / Future Image)
    "Wir sollten auf einem Festival in Japan spielen, und waren schon in Hongkong, als es abgesagt wurde. Da unser nächster Auftritt in Jakarta stattfand, hat es sich nicht gelohnt, nach Hause zu fliegen. Stattdessen entschieden wir uns, ein Studio zu mieten und zu jammen. Wir sind da morgens mit der U-Bahn hin, haben uns durch den Berufsverkehr gekämpft, mussten noch durch eine Glastür in einen Auszug - und waren im Studio. Da haben wir fünf Tage gearbeitet und jede Menge grünen Tee getrunken."
    Dabei entstanden allerdings keine vollständigen Songs, sondern lediglich Skizzen, mit denen man zunächst nicht viel anzufangen wusste. Also wanderten sie ins Archiv, die Band beendete ihre Welttournee und ging getrennter Wege. Sprich: Das Thema Blur schien endgültige passé. Doch während Mastermind Damon Albarn an seinem Solo-Album bastelte, erinnerte sich Graham Coxon an die verschmähten Sessions aus Fernost. Und machte sich - fast 18 Monate nach ihrer Entstehung – an die Arbeit.
    "Ich habe ein paar Gitarren und ein bisschen Gesang hinzugefügt – und ein paar neue Sektionen dafür geschrieben. Aber all die Sachen aus Hongkong – die merkwürdigen Straßengeräusche, die aufgebrochenen Rhythmen, die seltsamen, defekten russischen Keyboards und Omnichords aber auch das Schlagzeug – habe ich so gelassen, wie es war."
    Ein Album, das textlich Maßstäbe setzt
    Genauso spannend wie die Entstehungsgeschichte ist auch das Ergebnis: Das 8. Album seit 1991 ist eines der stärksten, das Blur je gemacht haben. Einfach, weil die Band reif und erwachsen wirkt, ohne gleichzeitig ihren kauzigen, naiven Charme einzubüßen. Weil die Songs ganz leichtfüßig zwischen experimentellem Krautrock, melancholischen Balladen, TripHop und einer ordentlichen Portion Krach pendeln. Und weil sie auch textlich Maßstäbe setzen. Da geht es um die Studentenproteste von 2014, die Regime in Peking, Pjöngjang und Riad - sowie weitere Themen aus der aktuellen Weltpolitik. Zusammengefasst unter dem Titel "The Magic Whip", die magische Peitsche.
    "Eigentlich sind das Feuerwerkskörper, die Damon zuerst auf Island begegnet sind, wo er mal über Silvester war. Als es ans Schreiben der neuen Texte ging, hat er die Verpackung davon zufällig in seinem Notizbuch wiedergefunden. Darauf stand "Magic Whip". Und dieser Begriff kann auch für staatliche Kontrolle, Sadomasochismus oder Saudi Arabien stehen - aber halt genauso gut für ein nettes Eis an einem schönen, sonnigen Tag."
    Trotz der offenkundigen Qualität des Comebacks: Die Zukunft von Blur scheint ungewiss. Sei es, weil die einzelnen Bandmitglieder mit Ende 40 keine Lust mehr auf lange Tourneen haben, weil sie Solo-Karrieren oder seriöse Berufe anstreben oder sich nicht die Blöße geben wollen, in Zukunft vielleicht doch ein schlechtes Album aufzunehmen. Gedankengänge, die "The Magic Whip" zum einmaligen Rückfall und würdigen Schlusspunkt einer bemerkenswerten Karriere machen könnten. Doch Coxon will sich nicht festlegen - noch nicht.
    Im Sommer nur fünf Konzerte
    "Ich bin einfach froh, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe, unserer Geschichte ein weiteres und auch noch positives Kapitel hinzuzufügen – selbst, wenn es das Letzte ist. Denn ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Und es ist mir auch egal. Es gibt wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen sollte."
    Was wie eine Abschiedserklärung klingt. Und auch die Live-Aktivitäten zu "The Magic Whip" halten sich im Rahmen: Blur geben in diesem Sommer gerade mal fünf Konzerte auf europäischen Festivals. Mehr ist nicht geplant. Dafür denkt Coxon laut darüber nach, Solo-Gigs auf seinem heimlichen Lieblingsinstrument, dem Saxofon, zu bestreiten - und seine verwaiste Karriere als Maler zu reanimieren. Schließlich hat er einst zusammen mit einem gewissen Damien Hirst studiert und verfolgt auch in diesem Metier einen ähnlich ausgefallenen Ansatz wie in der Musik.
    "Ich habe in letzter Zeit wieder öfter gemalt und könnte mir auch mal wieder eine Ausstellung vorstellen. Meine aktuellen Sachen basieren auf eher schmutzigen und blutigen Geschichten der alten, englischen Folkmusik – also ziemlich heftige Sache. Und die beende ich gerade. Oder besser: Ich suche ein passendes Zeitfenster dafür."