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Blutiger Kampf um neue Märkte

Mit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches und dem Ende des Ost-West-Konflikts taten sich im Osten Europas und darüber hinaus riesige neue Märkte auf, die erobert werden wollten. Das organisierte Verbrechen gehört seidem zu den größten Gewinnern und Profiteuren dieses fundamentalen Umbruchs. Der britische Journalist Misha Glenny hat für sein Buch: "McMafia - die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens" jahrelang recherchiert. Mirko Smiljanic ist unser Rezensent.

    Irgendwann Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts erlebte die Welt einen dramatischen Wandel, der aber im vordergründigen Getöse des zusammenbrechenden Kommunismus fast unterging. In Jahrzehnten gewachsene Strukturen verloren binnen kurzer Zeit ihre Bedeutung, was sich aber nicht nur auf Staaten bezog sondern auch auf die Organisierte Kriminalität. Die alte Weltkarte der Mafia hatte ausgedient.

    "Es waren bestimmte Länder, es war Italien, es war die USA, es gab Kolumbien, aber es gab kein Russland, es gab kein China, es gab kein Kasachstan, und die Polizei hat damals den Handel sagen wir zwischen Italien und USA leicht verfolgen können. Sie haben die Grundhandelsstraßen vom Organisierten Verbrechen in der Welt ziemlich gut ausgezeichnet ... "

    ... und genau diese Wegweiser gibt es nicht mehr, sagt Misha Glenny, Autor des Buches "McMafia - Die grenzenlose Welt des Organisierten Verbrechens". Heute durchzieht ein chaotisches Geflecht breiter Straßen und schmaler Trampelpfade die Welt, auf denen Waffen und Frauen, Drogen und Diamanten, Zigaretten und Kaviar verschoben werden, hinzu kommen gewaltige Gewinne aus Korruption, Schutzgelderpressung und Cyberkriminalität - um nur einige illegale Aktivitäten zu nennen. Seit dem Fall der Mauer - so Misha Glenny - erwirtschaftet McMafia bis zu 20 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts.

    "In den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hatte niemand auch nur die geringste Vorstellung davon, was der plötzliche Zustrom gewaltiger Einnahmen aus kriminellen Geschäften für die legale Ökonomie und die Schattenwirtschaft tatsächlich bedeutete. Und diejenigen, die gewisse Veränderungen in der Funktionsweise der Welt bemerkten, waren einfach verblüfft."

    Verblüfft unter anderem darüber, wo die Mafia über Nacht das ebenso loyale wie brutale Personal rekrutiert hat. Es sind, sagt Glenny, ehemalige Geheimdienstler.

    "Zum Beispiel in Bulgarien zwischen 89 und 91 sind um 14.000 Mitglieder der Sicherheitskräfte, der Polizei eigentlich und der Geheimdienste entlassen worden. Das heißt, man hat 14.000 Leute, die wissen, wie man schmuggelt, wie man Untergrundnetze aufbaut, wie man tötet, die sind plötzlich ohne Arbeit, aber die haben diese wunderschönen Verbindungen zwischen sich selbst und zwischen, sagen wir dem DS in Bulgarien, das ist der Geheimdienst in Bulgarien, und dem KGB in Russland, und die haben ihr eigenes Netz aufgebaut, aber als kriminelles Unternehmen. "

    Natürlich gibt es keinen weltumspannenden Mafiaclan, die Organisierte Kriminalität ist zersplittert in große und kleine Einheiten, die sich bei überschneidenden Märkten nach altem Muster auch blutig bekämpfen. Neu ist etwas anderes. Verglichen mit der Nachkriegszeit ist das Organisierte Verbrechen in den Ländern des alten Ostblocks mit staatlichen Organisationen verbunden. Alte Seilschaften sind haltbar!

    "Wenn man als kriminelles Unternehmen die Unterstützung vom staatlichen Geheimdienst kriegt, dann hat man einen riesen Vorteil. Das sieht man vor allem bei den Waffenhändlern. Ein Waffenhändler wie Viktor Bout zum Beispiel, der jetzt im Knast sitzt in Thailand, aber der jahrelang vom russischen militärischen Geheimdienst unterstützt wurde, kann Milliarden machen ohne allzu viel Mühe."

    Weitere Beispiele sind der Zigarettenschmuggel, der nach Glennys Recherche teilweise über das chinesische Militär abgewickelt wird, und die kasachische Kaviarmafia, die für billige Schmuggelware europäischen Touristen statt einer Zollbescheinigung die Nummer des Polizeichefs am Flughafen zusteckt: Ein Anruf genügt, sagt Glenny, und er konnte ungeschoren ins Flugzeug steigen. Im gleichen Teil seines 528 Seiten starken Buches erläutert der ehemalige BBC-Korrespondent die verworrenen Wege von Prostituierten aus der ehemaligen Sowjetunion in den Nahen Osten, wobei Israel zu den "Hauptabnehmern" zählt. Den Frauenhandel steuern russische Einwanderer, die immer noch beste Kontakte in ihre ehemalige Heimat unterhalten. Den Frauen versprechen sie seriöse Arbeit, tatsächlich werden sie aber nach Tel Aviv in Bordelle verkauft.

    "Ludmilla wurde ab halb sieben morgens in einem Apartment eingeschlossen. Um halb sechs abends brachte man sie zu einem Bordell über einem Pizzalokal auf der Bugeschow-Straße, wo sie ab sechs Uhr zwölf Stunden in der besucherintensiven Nachtschicht arbeiten musste. Ich habe sieben Tage in der Woche gearbeitet und musste pro Nacht 20 Kunden bedienen, erklärte sie. Das ist Schönrednerei. Ludmilla wurde jede Nacht zwanzigmal vergewaltigt."

    Neben den klassischen Geschäften mit Drogen und Frauen, Schutzgelderpressung und Zigaretten erblüht zunehmend die Cyberkriminalität. Vom Abschöpfen privater Konten bis zur Wirtschaftsspionage - im ehemaligen Ostblock beschäftigen sich viele Fachleute mit nichts anderem.

    "Laut Statistiken in den USA, von der Regierung, aber auch von privaten Cybersicherheitsfirmen in den USA, steht das momentan um die 100 Milliarden Doller jährlich, aber es steigt am schnellsten verglichen mit Rauschgift oder verglichen mit Waffenhandel und so weiter und so fort."

    Ein gigantischer Markt, der sich da auftut. Vor allem aber ist es einer, der wirklich global ist, gleichzeitig aber die hässliche Seite der Organisierten Kriminalität vermeidet: Gewalt. Der Fünffachmord von Duisburg geht zwar auf das Konto der italienischen Mafia, fällt aber aus dem Rahmen, denn McMafia muss unauffällig agieren, wenn der Gewinn steigen soll. Die Organisierte Kriminalität hält zudem die Verbindung zur legalen Wirtschaft, um illegal erworbene Gelder in legale Projekte zu investieren. Ohnehin liegen für Misha Glenny die legale und illegale Wirtschaft nahe beieinander.

    "Die Schattenwirtschaft ist keineswegs völlig anders als ihr im Licht stehendes Gegenstück, das selbst ebenfalls häufig weniger transparent ist, als man vielleicht vermutet oder wünscht. Sowohl im Bankenwesen als auch im Warenhandel operiert der Kriminelle viel näher an der Legalität, als man glaubt."

    Misha Glenny hat ein hervorragend recherchiertes Buch über die Entwicklung der Organisierten Kriminalität geschrieben. Es ist gut lesbar, mit vielen Reportagen angereichert, voller Details und Namen. Wer die Globalisierung in ihrer gesamten Breite verstehen will, dem ist dieses Buch empfohlen.

    Mirko Smiljanic rezensierte Misha Glenny: McMafia - die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. Das Buch ist erschienen in der Deutschen Verlagsanstalt, hat 530 Seiten und kostet 24,95 Euro.