Sandra Schulz (DLF): Was müssen, was wollen, was dürfen Eltern wissen über ihr ungeborenes Kind? Um diese Frage zirkelt die Diskussion um die Pränataldiagnostik, speziell die Diskussion um vorgeburtliche Bluttests zur Erkennung von Trisomie21. Bei den Betroffenen ist das Chromosom 21 dreifach vorhanden. Diese genetische Veranlagung führt zu unterschiedlich stark ausgeprägten körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Ein relativ neu entwickelter Bluttest auf diese Trisomien sorgt jetzt für Streit, genauer die Frage, ob dieser Bluttest künftig eine Kassenleistung werden soll. Darüber konnte ich gestern sprechen - mit einer Frau, die zufällig genauso heißt wie ich. Sandra Schulz ist Journalistin beim "Spiegel", Mutter einer vierjährigen Tochter mit Trisomie21. Sie hat den Bluttest in der Schwangerschaft machen lassen, die Trisomie21-Diagnose bekommen, und unter anderem ihre Erfahrungen danach, ihre Entscheidung gegen eine Abtreibung wie auch nach einem frühen Kaiserschnitt. Den Kampf um das Leben ihrer Tochter schildert sie in dem Buch "Das ganze Kind hat so viele Fehler". Ich habe Sandra Schulz gefragt, warum sie damals sich entschieden hat, diesen Bluttest machen zu lassen.
Sandra Schulz: Mir ging es um die Trisomie13 und 18. Davor hatte ich große Angst. Ich hatte auch die Vorstellung - ich weiß nicht, ob ich das heute so machen würde, aber damals hatte ich die Vorstellung, dass ich dann auch einen Abbruch machen würde. Deswegen habe ich diesen Bluttest gemacht und tatsächlich kam bei diesem Bluttest dann raus, dass es Trisomie21, das Down-Syndrom ist.
"Man überschätzt sich in seiner Entscheidungsfähigkeit"
Schulz (DLF): Und was hat diese Diagnose mit Ihnen gemacht?
Schulz: Es hat mich in eine große Not gestürzt, in eine Not, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Ich glaube, das ist generell so, dass man sich überschätzt in seiner Entscheidungsfähigkeit.
Ich hatte mir durchaus Gedanken gemacht, wie würde ich damit umgehen, mit so einem Ergebnis. Und doch ist es was anderes, wenn man es dann hat. Ich habe viel Begleitung gesucht, psychologische Begleitung, bin zu Schwangerschaftsberatungsstellen gegangen. Aber es war eine so fürchterliche Situation, wie ich sie mir niemals hätte vorstellen können. Ich glaube, das ist das, was wir leicht vergessen in unserer Wissensgesellschaft, dass Wissen nicht per se gut ist, sondern dass Wissen einen auch vor Entscheidungen stellt, von denen man gar nicht weiß, wie man sie jetzt treffen soll.
"Unglaubliche Sprengkraft auch für eine Beziehung"
Schulz (DLF): Das heißt, wenn Sie jetzt eine Freundin fragen würde, eine schwangere Freundin, dann würden Sie von diesem Bluttest inzwischen abraten?
Schulz: Ich würde ihr zumindest sagen, hast Du mit Deinem Mann gesprochen, mit Deinem Partner gesprochen, wie würdet ihr denn beide damit umgehen. So ein Ergebnis, ein auffälliges Ergebnis hat eine unglaubliche Sprengkraft auch für eine Beziehung, und das sind die entscheidenden Fragen, finde ich, die man sich vorher stellen sollte: Was bedeutet das für unsere Partnerschaft? Können wir das als Familie schaffen? Haben wir Unterstützung in der Familie? Haben wir Geschwister? Wie sieht es finanziell aus? Das sind alles solche Fragen, die für mich viel entscheidender sind als jetzt diese rein medizinisch-sachlichen Fragen. Auf diese medizinisch-sachlichen Gegebenheiten wird man hingewiesen, aber diese psychosoziale Beratung, die ist oft noch im Argen, und das würde ich auf jeden Fall einer Freundin raten, dass man sich diese Fragen vorher stellt.
"Nicht richtig, wenn das Kassenleistung werden würde"
Schulz (DLF): Und wie verfolgen Sie jetzt die Diskussion um diesen Bluttest als Kassenleistung?
Schulz: Ich habe mich lange schwer damit getan, dazu eine Haltung zu entwickeln, weil ich diesen Bluttest ja selber gemacht habe. Ich verstehe die Motive, warum Frauen den Bluttest machen. Es ist trotzdem so, dass ich heute zu der Einstellung gekommen bin, dass ich es nicht richtig finde, wenn das Kassenleistung werden würde, weil ich finde, dass es eine individuelle Entscheidung bleiben sollte. Damit ist dann auch klar: Ich als Schwangere, ich möchte das wissen, und mir ist klar, dass dieses Wissen Konsequenzen haben wird.
Wenn es ein Automatismus ist, dann dreht sich das um. Dann wird es irgendwann so sein, dass Schwangere sich dafür rechtfertigen müssen, warum sie nicht jedes Angebot wahrgenommen haben, und ich finde, das sendet ein falsches Signal. Das sendet das Signal, wir als Gesellschaft finden es richtig und vernünftig, wenn es jetzt Kassenleistung wäre, dass wir unsere Kinder testen, dass wir sie durchleuchten, dass wir sie mustern und dass wir erst dann, wenn dieser Check bestanden ist, entscheiden, dass sie dann auf die Welt kommen dürfen.
"Der Bluttest ist sehr verführerisch"
Schulz (DLF): Wobei, falls ich da einhaken darf, wir haben ja jetzt schon die Situation und die Möglichkeit für Schwangere, die Trisomie als Kassenleistung testen zu lassen, nämlich mit der Fruchtwasseruntersuchung, die dann aber wiederum das Risiko der Fehlgeburt erhöht. Ist es da nicht medizinisch geboten, einen schonenderen Test dann auch zur Kassenleistung zu machen und so einen Test nicht denen vorzubehalten, die ihn sich leisten können?
Schulz: Mittlerweile ist der Test ja sehr viel billiger geworden. Er ist so viel billiger, als ich ihn damals noch gemacht habe, und diese Entwicklung wird weitergehen. Ich glaube auch, dass Ärzten es möglich ist, in bestimmten Fällen dann auch eine Kassenleistung zu erbitten. Es ist jetzt schon so, dass man Antragsformulare stellen kann, die vorformuliert sind. Trotzdem bleibt es für mich ein entscheidender Schritt, ob man selber sagt, ich möchte das wissen, oder ob man als Gesellschaft sagt, das finden wir richtig. Es gibt auch noch einen Unterschied zwischen der Fruchtwasseruntersuchung und dem Bluttest. Der Bluttest ist sehr verführerisch, gerade weil er so einfach ist, weil er sich so nebenbei erledigen lässt. Es ist ja nur ein Picks in den Arm. Eine Fruchtwasseruntersuchung setzt immer voraus, dass man vorher einen Reflexionsprozess gestartet hat, dass man gewichtet, dass man sich überlegt, ist mir es das wert. Ich nehme etwas in Kauf dafür, dass ich weiß. Das hat der Bluttest nicht und das macht ihn verführerisch einfach, aber auch sehr schwierig.
"Empfinde Verantwortung auch als Last"
Schulz (DLF): Können Sie Eltern verstehen, die mit der Diagnose Trisomie21 sich für eine Abtreibung entscheiden?
Schulz: Ich würde niemals eine Frau verurteilen, die sich anders entscheidet, als ich das getan habe. Ich glaube, auch das ist tatsächlich eine sehr individuelle Entscheidung. Wo ich vielleicht heute ein bisschen härter geworden bin als früher ist, dass ich denke, zu so einer ehrlichen Befragung sich selbst gegenüber gehört auch, dass man sich fragt, will ich das schaffen, oder schaffe ich das. Das sind zwei verschiedene Fragen. Tatsächlich kann es Situationen geben, wo man das Gefühl hat, man schafft es nicht, und ich glaube, es wäre auch falsch, es klein zu reden, dass es nicht eine besondere Verantwortung wäre, die man da trägt. Auch ich empfinde diese Verantwortung für mein Kind mit Behinderung auch als Last, als Sorge, die mich umtreibt: Wie kann ich das sicherstellen, dass es ihr gut gehen wird, auch nach meinem Tod? Das ist sicherlich eine Verantwortung, die man zu tragen hat, und insofern verstehe ich das, wenn Menschen sich auch anders entscheiden. Trotzdem ist es ein Unterschied: Bin ich bereit, mein Leben umzukrempeln? Bin ich bereit, vielleicht auch Sachen anders zu gestalten, mich von Erwartungen zu verabschieden? Dieser Unterschied zwischen der Frage, will ich das schaffen, oder schaffe ich das, der gehört für mich zu so einer ehrlichen Selbstbefragung dazu.
"Mit welchem Blick gucken Menschen auf meine Tochter"
Schulz (DLF): Jetzt wird immer gesagt, wenn dieser Bluttest eine Kassenleistung wird, dann haben wir eine schiefe Ebene. Dann wird es normal, Menschen auszusortieren. Ist das denn Ihre Erfahrung? Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Menschen, dass Freunde, dass Fremde auf Ihr Kind reagieren im Sinne von "musste das denn unbedingt sein"?
Schulz: Diesen Satz habe ich Gott sei Dank noch nie gehört. Ich glaube auch, dass es subtiler ist. Natürlich kriege ich mit, dass Freundinnen, Bekannte, Mütter im Kindergarten, die schwanger sind, dass die Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen, auch konkret den Bluttest. Aber es gibt da, glaube ich, eine große Schere. Es wird einerseits viel für Inklusion getan und auf der anderen Seite redet aber niemand darüber, dass mit dem Fortschreiten der Pränataldiagnostik und dem Massenscreening eines Bluttestes Inklusion irgendwann gar nicht mehr nötig sein wird, weil immer weniger Menschen mit Behinderung geboren werden. Insofern empfinde ich das schon als Stich, wenn ich das höre, dass jemand getestet hat, kann es gleichzeitig verstehen, und natürlich stellt sich dann einem auch die Frage, wie passt das so zusammen, mit welchem Blick gucken Menschen auf meine Tochter, die gleichzeitig sagen, ich für mich möchte aber nicht so ein Kind.
Kein Garant für ein gutes Leben des Kindes
Schulz (DLF): Aber was macht Sie da so skeptisch, dass es nicht auch künftig Menschen, Familien, Eltern geben wird, die diese Entscheidung treffen, die Sie mit Ihrem Partner getroffen haben, gegen eine Abtreibung?
Schulz: Ich glaube und hoffe, dass es diese Menschen auch weiterhin geben wird. Aber wir setzen zunehmend Normen, an denen wir unsere Kinder messen, und dieser Bluttest geht eindeutig in diese Richtung, zumal es ja auch nur ein Anfang einer Entwicklung ist. Es wird künftig möglich sein, noch andere Krankheiten oder Chromosomstörungen schon im Blut zu erkennen. Wie sollen diese Abwägungsprozesse laufen? Nach welchen Kriterien? Wann ist ein Leben lebenswert oder gut? Muss es eine bestimmte Dauer haben? Darf es keine Schmerzen beinhalten? Wie viel Schmerzen sind zumutbar? Das sind alles Fragen. Ich glaube, dass Menschen gar nicht dafür gemacht sind, all diese Fragen, zumal in so einer Ausnahmesituation für sich selbstabzuwägen. Es bürdet den Menschen auch eine sehr große Verantwortung auf, diese Entscheidung plötzlich treffen zu müssen. Das Schicksal ist quasi ausgeschaltet. Und es macht gleichzeitig auch die Mütter verantwortlich für die Güte des Lebens ihrer Kinder. Ich hätte mich zum Beispiel immer schuldig gefühlt, wenn es meiner Tochter sehr schlecht gehen würde heute, obwohl ich weiß, dass es gar nicht in meiner Hand liegt, aber ich hätte das Gefühl, ich hätte ihr ein Leben angetan, und das meine ich mit dieser Umkehrung der Rechtfertigung. Es kann nicht sein! Kein Mensch, keine Mutter kann dafür garantieren, dass ihr Kind später ein gutes Leben haben wird. Abgesehen davon glaube ich, dass meine Tochter ein sehr gutes Leben hat.
Öffentliche Pränataldiagnostik-Debatte nötig
Schulz (DLF): Jetzt haben wir diese großen Fragen angetippt. Die werden alle auf großer politischer Bühne verhandelt werden. Im Bundestag gibt es im April eine Orientierungsdebatte zum Thema. Was erhoffen Sie sich davon?
Schulz: Ich finde es ganz wichtig, dass das jetzt öffentlich geführt wird, sowohl in den Medien als auch im Bundestag, weil Pränataldiagnostik und was man davon in Anspruch nimmt bisher so ein privates Thema war. Man hat kaum in der Familie richtig darüber gesprochen, oder im Freundeskreis, was genau man testet, ob man vielleicht dann einen Abbruch auch gemacht hat. Das wird ja interessanterweise oft auch mit einem Euphemismus verschleiert, wenn man sich für einen Abbruch entschieden hat, dass man sagt, man habe das Kind verloren. Das ist ganz seltsam, dass da einerseits ein Tabu besteht, das so offen zu sagen, ich habe mich gegen ein behindertes Kind entschieden, und auf der anderen Seite aber die Erwartung doch so gestellt wird an die Schwangere, doch irgendwie zu verhindern oder zumindest zu testen, ob das Kind behindert sein wird. Insofern finde ich das gut, dass diese ganzen ethischen Implikationen, die da mit dranhängen, jetzt einmal öffentlich diskutiert werden.
Schulz (DLF): Die Journalistin Sandra Schulz, Mutter einer vierjährigen Tochter mit Down-Syndrom und heute bei uns im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.