Große Freude – der Schwangerschaftstest ist positiv. Die Gedanken überschlagen sich: Wem erzählen wir’s zuerst, wie gestalten wir das Kinderzimmer? Und: Ist unser Kind gesund? Die Medizin kann darauf immer genauere Antworten geben. Allerdings führen diese Antworten zu neuen Fragen und womöglich quälenden Überlegungen. Etwa beim Bluttest auf Trisomie, sagt der evangelische Theologe Reiner Anselm:
"Der Zweck dieser Tests besteht darin, Unregelmäßigkeiten festzustellen. Und dann auf dieser Grundlage eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung heißt im Klartext: Fortsetzen der Schwangerschaft oder nicht."
Von der zehnten Schwangerschaftswoche an kann man der werdenden Mutter Blut abnehmen und Spuren des kindlichen Erbguts herausfiltern. Anhand dieser DNA lässt sich im Labor bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Kind einen Gendefekt hat. Diese Chromosomenfehler – am häufigsten ist das Down-Syndrom – entstehen bei der Zellteilung und sind nicht heilbar. Der Trisomie-Test bringt also keinen unmittelbaren medizinischen Nutzen. Zudem bietet er keine echte Diagnose. Ein auffälliges Ergebnis muss bestätigt werden – etwa durch eine Fruchtwasseruntersuchung. Dennoch habe der pränatale Test seine Berechtigung, findet Reiner Anselm, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
"Ich glaube, es ist sehr natürlich, dass sich schwangere Frauen, aber auch werdende Väter Sorgen machen über den Gesundheitszustand des Kindes. Weil ich mich in einer bestimmten Hinsicht ja auf ein Kind freue, was ich – auch wenn es letztlich naiv ist – mit einer bestimmten Erwartung verbinde, mit einer bestimmten Vorstellung. Das scheint mir auch ganz menschlich zu sein."
Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima
Der Bluttest auf Trisomie ist in Deutschland seit sieben Jahren zugelassen, wird aber nicht regulär von den Kassen bezahlt. Das soll sich ändern: Der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen möchte die Mutterschafts-Richtlinien so fassen, dass die 200 bis 300 Euro künftig übernommen werden.
Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern um ethische Fragen, über die im Frühjahr auch der Bundestag debattierte. Hat mehr und früheres Wissen zur Folge, dass mehr Kinder mit Trisomie abgetrieben werden?
Zwei Normen stehen in Spannung zueinander: die individuelle Situation werdender Eltern – und wie die Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung umgeht.
Rainer Anselm sagt: "Ich glaube, dass man die Individualrechte stärker gewichten muss als die der Gesellschaft. Und zwar deswegen, weil die Individualrechte doch so gekennzeichnet sind, dass sie einzelne unmittelbar betreffen. Das andere sind Auswirkungen auf ein gesellschaftliches Klima, das natürlich auch auf Einzelne durchschlägt, aber doch in einer Weise, die relativ diffus sein kann, schwer artikulierbar."
Der Test erfasst drei verschiedene Chromosomen-Fehler: Kinder mit Trisomie 13 und 18 sterben häufig schon vor der Geburt oder leben anschließend nur wenige Tage. Menschen mit Trisomie 21 sind geistig und körperlich eingeschränkt, sie werden im Schnitt 60 bis 70 Jahre alt.
Selektion befürchtet
Behindertenverbände sowie Vertreter der katholischen Kirche meinen, der Trisomie-Test könne Menschen mit Behinderung diskriminieren – er führe zur Selektion. Medizinethiker Anselm widerspricht und bezieht sich dabei auf die Regensburger Philosophin Weyma Lübbe:
"Die Entscheidung, mit jemandem zusammen zu leben – und nichts anderes ist die Entscheidung für oder gegen ein Kind – hat keine Auswirkungen auf andere, die die gleichen Merkmale haben, aber mit denen, sage ich, möchte ich nicht zusammenleben. Weyma Lübbe diskutiert das an der Frage, ob es eigentlich eine Auswirkung auf Querschnittsgelähmte hat, wenn jemand entscheidet: Ich möchte keinen querschnittsgelähmten Partner. Und ich glaube, sie hat gute Gründe zu sagen: Das stimmt nicht. Trotz alledem gilt, dass wir aufgefordert sind, ein Klima zu erzeugen, in dem Leute, die von der Norm abweichen – aus welchen Gründen auch immer – nicht das Gefühl haben, dass sie gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden."
Während die evangelische Kirche den Test prinzipiell als Kassenleistung akzeptieren würde, weil sie die Entscheidungsfreiheit des einzelnen betont, steht die katholische Kirche dem Thema deutlich kritischer gegenüber. Mit Blick auf den Schutz des ungeborenen Lebens argumentiert der Tübinger katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann: Der menschliche Embryo werde quasi verdinglicht, wenn das Existenzrecht des Kindes von den Interessen der Eltern abhänge. Eine solche Tendenz sieht der evangelische Theologe Reiner Anselm nicht:
"Speziell bei den Fragen der Pränataldiagnostik handelt es sich um Schwangerschaften, in denen ein enorm starkes Bindungsverhältnis bereits aufgebaut ist. Und das bedingt überhaupt erst diese Konfliktsituation. Ich kann gar nicht erkennen – aus Gesprächen mit Betroffenen, aber auch aus den Berichten der Beratungsstellen – dass hier der Embryo als Ding, als Sache bezeichnet würde. Es ist das Kind, was man erwartet, und dementsprechend wird man auch vor ganz große Zweifel gestellt, wenn man eine solche Diagnose hat."
Keine Garantie für ein gesundes Kind
Indes wirft der Bluttest eine weitere ethische Frage auf – mit Blick aufs Gesundheitssystem. Die Münchner Humangenetikerin Elke Holinski-Feder leitet ein humangenetisches Beratungs- und Diagnostik-Zentrum. Sie hat den Gemeinsamen Bundesausschuss in der Frage der Kostenübernahme für den Bluttest beraten. Aus ihrer Sicht wäre das Geld der Krankenkassen in anderen Bereichen der Schwangerenversorgung besser aufgehoben. So würden etwa moderne DNA-Analysen mit medizinischem Nutzen nicht bezahlt.
Sie erklärt: "Unser Medizinsystem beruht auf Solidarität. Das Geld, das in diesem System vorhanden ist, ist zunächst mal für Menschen auszugeben, die krank sind. Eine unauffällige Schwangerschaft ist keine Krankheit. Wir haben aber in unserem System für schwangere Frauen wirkliche Versorgungslücken."
Holinski-Feder kritisiert, die Entscheidung zur Kassenerstattung sei durch wirtschaftliche Interessen beeinflusst:
"Ich sehe die Prioritätensetzung ein bisschen auch getrieben durch die Industrie. Und nicht so sehr orientiert an den Notwendigkeiten einer zeitgemäßen medizinischen Versorgung von Schwangeren mit auffälligen Ultraschallbefunden."
"Wer privat zahlt, entscheidet auch privat"
Pränataldiagnostik ist keine reine Privatsache, sie hat Folgen für die Gesellschaft, argumentiert Medizinethiker Anselm, der auch Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche ist:
"Wer privat zahlt, entscheidet auch privat. Ich glaube, dass wir solche Dinge, die – wie auch immer indirekt – auf die Gesellschaft einwirken, im gesellschaftlichen Kontext behalten sollten. Und deswegen sagen: Wir bezahlen das in unserem gesellschaftlichen System. Aber das bedeutet auch, wir kontrollieren das – es ist eine gesellschaftliche Aufgabe."
Was beim Trisomie-Test und in der gesamten Pränatalmedizin fehle: Werdende Eltern sollten sich eine fundierte Meinung bilden können, bevor sie mit den zahlreichen Möglichkeiten der Diagnostik konfrontiert sind. Denn es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen – das komme zu kurz. Deshalb fordert die Evangelische Kirche, Schwangere sollten eine ausführliche ethische Beratung zur Pränataldiagnostik bekommen – auch als Kassenleistung.
Rainer Anselm: "Es ist sehr wichtig, dass Schwangere vorab darüber informiert werden, mit welchen Konsequenzen sie möglicherweise konfrontiert werden und welche Entscheidungen auf sie zukommen. Das haben wir bislang nicht. In der Schwangerenvorsorge sind dafür bisher praktisch keine Mittel vorgesehen. Und ich denke, es ist auch wichtig, dass eine solche Beratung in Beratungsstellen von eigens geschulten Beraterinnen und Beratern durchgeführt wird."
Während Kirchen und Politik über das Für und Wider des Bluttests auf Trisomie diskutieren, geht der medizinische Fortschritt weiter. Die Humangenetikerin Elke Holinski-Feder sagt:
Holinski-Feder: "Diese Tests werden besser werden. Es wird ein immer breiteres diagnostisches Spektrum mit diesen Tests erfasst werden. Das wird sich auch nicht aufhalten lassen. Wir müssen lernen, damit umzugehen, und den Menschen eine schützende Struktur an die Hand geben, die ihnen hilft, sich da zu orientieren und für sich eine Entscheidung zu treffen, was sie wollen und was sie nicht wollen. Und was sich daraus ableiten lässt für ihr leben und gegebenenfalls für die Schwangerschaft."