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BND-Aufrüstung
"Geheimdienste dürfen öffentliche Kommunikation überwachen"

Wenn der Bundesnachrichtendienst (BND) künftig soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter systematisch auswerte, sei dagegen nichts einzuwenden, sagte Christian Flisek im Deutschlandfunk. Die digitale Aufrüstung zur Ausspähung geschützter Kommunikation durch den BND lehnt der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss jedoch vehement ab.

Christian Flisek im Gespräch mit Bettina Klein |
    Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss
    Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    "Wenn es darum geht, dass wir dasselbe machen, was wir der NSA vorwerfen, dann glaube ich, müssen wir ein deutliches Stoppschild setzen", sagte Flisek weiter. Schließlich könne man "nicht mit dem Finger auf andere zeigen und selbst geheimdienstliche Aufrüstungspolitik aufbauen. Das wäre in der Tat eine Bigotterie", die mit dem NSA-Untersuchungsausschuss nicht zu machen sei, sagte er weiter.
    Die Einrichtung eines weiteren BND-Untersuchungsausschusses lehnt er jedoch ab, da bereits im NSA-Untersuchungsausschuss die Arbeit des deutschen Geheimdienstes in den Fokus genommen werde. Flisek betonte, es werde vor allem untersucht, ob die Arbeit des BND die Grundrechte verletze, da die gesamte Kommunikationsüberwachung des BND auf "fragwürdigen Rechtsgrundlagen" basiere. Die klaren Grenzen der Ausspähung seien "unsere Grundrechte nach unserem Grundgesetz". In der Auslandstätigkeit des Bundesnachrichtendienstes seien die Befugnisse nicht klar geregelt. Hier müsse nachgebessert werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Der Bundesnachrichtendienst will sich im Wettbewerb nicht komplett abhängen lassen. Schon länger ist ein Programm zur technischen Aufrüstung im Gespräch. Nun sind am Wochenende Details durchgesickert. Wie Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR zunächst berichteten, will der BND an verschiedenen Stellen digital aufholen. Unter anderem möchte der deutsche Auslandsgeheimdienst künftig in Echtzeit, wie es heißt, soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter überwachen, während dort die Netzer online sind. Stimmungen in der Bevölkerung anderer Länder, so heißt es, sollen so schneller erfasst werden und direkt in BND-Lagebilder einfließen. Insgesamt 300 Millionen Euro soll der Bundestag in den nächsten Wochen dafür locker machen.
    Hans-Christian Ströbele: "Eine ganze Reihe dieser Punkte waren mir bekannt, lange nicht alles. Neu daran ist, dass der Bundesnachrichtendienst ganz offensichtlich seine Kapazitäten ausbauen will, gerade in dem Bereich, den wir bei der NSA und bei dem NSA-Skandal immer wieder kritisiert haben."
    Klein: So reagierte direkt der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele und meinte weiter:
    Hans-Christian Ströbele: "In den USA und gegenüber der NSA kritisieren wir das heftig und stellen sogar die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter einen gewissen Schatten, und hier wird das ganz lustig weiterbetrieben."
    Klein: Anders hat das am Samstag bei uns im Deutschlandfunk der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer. Er ist ebenfalls Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste.
    Stephan Mayer: "Ich glaube, es ist im nationalen Interesse, dass wir moderne, effektive und zeitgemäß arbeitende Nachrichtendienste haben, und da gehört es natürlich auch dazu, dass man diese Nachrichtendienste entsprechend der technologischen Entwicklung auch immer wieder aufwertet und entsprechend natürlich auch neu ausstattet."
    Klein: Soweit der CSU-Politiker Stephan Mayer, der durchaus Verständnis äußerte, und ich habe darüber vor einer guten Stunde gesprochen mit Christian Flisek. Er ist der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Und ich habe ihn zunächst gefragt, ob auch er die Pläne bestätigen kann.
    Christian Flisek: Das kann ich bestätigen. Das ist der Fall. Ich weise jedoch nur darauf hin, dass man bei dieser ganzen Thematik jetzt nicht mit Schaum vorm Mund agieren soll, sondern man muss wirklich differenziert das Ganze betrachten.
    Wenn der BND vorhat, Informationen, die bei Facebook oder Twitter veröffentlicht werden, die öffentlich sind, wenn er vorhat, die systematisch automatisiert auszuwerten, dann habe ich persönlich überhaupt dagegen gar nichts einzuwenden, weil das ein Teil der originären Arbeit des BND ist und das uns gute Lagebilder über die Situation im Ausland vermittelt.
    Wenn es dann allerdings darum geht, dass man geschützte Kommunikation überwacht, beispielsweise wenn wir eine E-Mail schreiben, oder wenn wir in geschützten Diskussionsräumen sind, dann wird es problematisch, weil damit sind massive Grundrechtsverletzungen verbunden, und da gilt es, genau hinzuschauen.
    Klein: Und wissen Sie, ob genau das geplant ist?
    Ein deutliches Stoppschild setzen
    Flisek: Das ist derzeit, sage ich Ihnen ganz offen, in der Diskussion. Ich selber habe jetzt noch keine wirklich validen Informationen darüber, was dort genau geplant ist. Es wird uns auch immer wieder gesagt, dass der BND mit geeigneter Filter-Software und geeigneten Filterprogrammen in der Lage ist, solche Dinge auszuschließen, auch die Kommunikation zwischen Deutschen auszuschließen, auch wenn sie über Auslandsberührung erfasst ist. Ich werde mir das jetzt auch im Untersuchungsausschuss in dieser Arbeit genau anschauen und werde mir dann auf der Grundlage auch erst ein Urteil bilden.
    Ich sage nur eines: Wenn es darum geht, dass wir genau dasselbe machen, was wir der NSA und anderen Geheimdiensten vorwerfen und was jetzt gerade Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist, dann, glaube ich, müssen wir hier ein deutliches Stoppschild setzen.
    Klein: Ja eben! Brauchen wir dann vielleicht nicht nur einen NSA-, sondern auch noch einen BND-Untersuchungsausschuss?
    Flisek: Rechtsgrundlagen für Geheimdienste nachbessern
    Flisek: Ich denke, das brauchen wir deswegen nicht, weil wir in unserem Untersuchungsauftrag im NSA-Untersuchungsausschuss deutlich ja im zweiten Teil die Arbeit der eigenen, der deutschen Dienste in den Fokus nehmen und uns anschauen, inwieweit diese Dienste auf der Basis deutschen Rechts operieren, oder inwieweit sie hier auch mit ihrer Tätigkeit eventuell Grundrechte verletzen. Und ich weise ja nur darauf hin, dass wir bereits mit unserer ersten Sachverständigen-Anhörung bei der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses erste Ergebnisse hatten, nämlich dahin gehend, dass die gesamte Kommunikationsüberwachung des BND im Ausland durchaus auf fragwürdigen Rechtsgrundlagen basiert. Und wir haben jetzt bereits im Ausschuss angemahnt, dass die Regierung hier sehr schnell nachbessern muss.
    Klein: Herr Flisek, Ihre Partei war vor allen Dingen gerade im vergangenen Sommer, bevor sie der Bundesregierung angehörte, äußerst kritisch mit Blick auf Geheimdienst-Aktivitäten wie der der NSA. Werden Sie sich jetzt mit gleicher Kraft auch den Planungen des BND entgegenstellen, wenn das zutrifft, was Sie gerade angedeutet haben, was noch nicht klar ist?
    Geheimdienstliche Tätigkeiten nicht generell verwerfen
    Flisek: Noch mal: Wir werden uns hier genau anschauen müssen, was geplant ist und wie das Ganze dann umgesetzt wird. Es geht nicht darum, geheimdienstliche Tätigkeit pauschal zu verwerfen. Darum geht es nicht, darum geht es mir nicht, darum geht es auch nicht der SPD. Weil wir brauchen geheimdienstliche Tätigkeiten, wir brauchen Aufklärungsarbeit über Lagebilder im Ausland, und dazu gehört eben auch, dass man öffentliche Kommunikation in Netzwerken wie Facebook oder Twitter beobachten kann.
    Was wir allerdings nicht zulassen dürfen ist, dass wir mit dem Finger auf andere zeigen, wie beispielsweise die NSA, und gleichzeitig sehenden Auges in ähnlicher Weise hier Steuergelder ausgeben, um eine geheimdienstliche Aufrüstungspolitik zu betreiben und im Endeffekt dasselbe zu machen wie die auch.
    Klein: Eben! Kommt da nicht auch eine gewisse Bigotterie zum Tragen, die in der Debatte hierzulande möglicherweise unterbelichtet war, jeder Geheimdienst spioniert außer im eigenen Land und jeder Geheimdienst macht sich überall dort strafbar?
    Flisek: Deswegen, glaube ich, ist die Arbeit dieses NSA-Untersuchungsausschusses auch so wertvoll, weil wir hiermit wirklich einen Themenbereich in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung und der Diskussion rücken, der jahrelang vielleicht völlig unbeachtet geblieben ist, dass nämlich sozusagen nicht nur aufgrund geheimdienstlicher Tätigkeit, sondern eben auch aufgrund von kommerziellen Verwertungsinteressen großer Internet-Konzerne persönliche Daten von Nutzern systematisch erfasst und ausgewertet werden, und das ist im Endeffekt genau der Punkt, an dem wir ansetzen, und ich sage immer wieder, wir befinden uns hier erst am Anfang einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. Da leistet der Untersuchungsausschuss einen wertvollen Beitrag für.
    Klein: Aber noch mal, Herr Flisek: Die NSA wurde bisher als das große Feindbild betrachtet seit den Snowden-Enthüllungen. Nun stellt sich heraus, dass der BND dem sogenannten Feindbild nacheifern will und das eher als Vorbild nimmt. Nachrüsten, wie es heißt, um in Teilen auf ein ähnliches Niveau zu kommen, denn realistischerweise betrachtet braucht auch Deutschland Tätigkeit von Geheimdiensten. Kommt jetzt ein Aspekt zum Tragen, der bisher in der Debatte etwas vernachlässigt wurde?
    Flisek: Das kann durchaus möglich sein, aber immerhin: Er kommt jetzt zum Tragen. Und wir werden als deutsche Parlamentarier im Untersuchungsausschuss strengstens darauf achten, dass wir nicht grünes Licht für Geheimdienstaktivitäten geben, für unsere eigenen Dienste, die wir gleichzeitig im Ausland anprangern. Das wäre in der Tat eine Bigotterie, und die ist mit mir persönlich nicht zu machen.
    Klein: Eine Kooperation mit befreundeten Nachrichtendiensten sei notwendig für unsere Sicherheit. Das hat am Samstag Stephan Mayer von der CSU bei uns im Deutschlandfunk gesagt. Er ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. Und er hat deutlich darauf hingewiesen, wir befinden uns auch technologisch im Wettbewerb mit anderen Geheimdiensten. Bis wohin soll dieser Wettbewerb verfolgt werden? Wo genau läuft da in diesem Bereich die Grenze zwischen empörend und völlig normal?
    Flisek: Nicht alles umsetzen, was technisch möglich ist
    Flisek: Es geht nicht um die Grenze zwischen empörend und völlig normal, sondern man muss deutlich sagen: Man darf nicht alles, was technisch möglich ist, auch tatsächlich umsetzen. Das wäre etwas, was mit meinem Verständnis von einer freien, offenen, auch demokratischen Gesellschaft nicht mehr zu vereinbaren ist. Und die klare Grenze sind hier unsere Grundrechte nach dem Grundgesetz und es ist auch die europäische Grundrechte-Charta, und wir haben immerhin hier jedes Mal in der Vergangenheit auch Gerichte gehabt, das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof, siehe Vorratsdatenspeicherung, die deutlich die Grenzen gezogen haben. Ich würde mir wünschen, dass wir auch mal in der Politik in der Lage sind, selber diese Grenzen zu erkennen und nicht jedes Mal die Gerichte bemühen zu müssen, damit sie uns zeigen, wo die Grenzen liegen. Ich glaube, es liegt mittlerweile aufgrund der Rechtsprechung auch auf der Hand, wo diese Grenze zu ziehen ist.
    Klein: Aber Grenzen, die eben nicht gelten für Bürger im Ausland, so wie das umgekehrt ja auch der Fall ist.
    Flisek: Das ist nur bedingt richtig, weil wir haben gerade zum Beispiel auch wieder in der Sachverständigen-Anhörung von führenden Verfassungsrechtlern gehört, dass gerade Artikel zehn, der ja die Kommunikation schützt, Artikel zehn Grundgesetz, dass der im Prinzip auch Ausstrahlungswirkungen hat auf Kommunikation zwischen Ausländern. Also man kann sich das Ganze hier nicht so einfach machen. Wir brauchen auf jeden Fall klare Befugnisnormen in den einschlägigen Gesetzen.
    Das ist momentan für einen wesentlichen Teil der Auslandstätigkeit des BND offensichtlich nicht der Fall. Hier muss strengstens nachgebessert werden. Und ich sage, machen wir bitte erst mal unsere Hausaufgaben, bevor wir über weitere Schritte nachdenken.
    Klein: Herr Flisek, diese Faktoren, über die wir gerade gesprochen haben, nämlich Erfordernisse der Geheimdienste, Zusammenarbeit, möglicherweise Wettbewerb, ist all das auch ein möglicher Grund für die Bundesregierung gewesen, sich zurückzuhalten, wie man ihr vorgeworfen hat, beim Aufklären der NSA-Aktivitäten, weil man erstens weiß, man will und muss es selbst tun in gewissem Umfang, und weil man zweitens so lange davon profitiert, solange es eben nicht selber tut?
    Flisek: Ich kann nur für den Ausschuss sprechen. Wir sind an unseren Auftrag gebunden und wir haben die Aufgabe, zunächst einmal die massiven Grundrechtsverletzungen deutscher Staatsbürger durch ausländische Geheimdienste zu bilanzieren, dort einmal zu zeigen, um was ging es hier eigentlich in der Vergangenheit. Das ist schwierig genug und wir müssen zeigen und schauen, inwieweit deutsche Dienste hieran beteiligt waren. Das sind zwei ganz wesentliche Punkte. Dass natürlich im Prinzip hier jede Bundesregierung schauen wird und sagen wird, wir gehen da nicht mit wehenden Fahnen in die Öffentlichkeit, das ist Teil geheimdienstlicher Tätigkeit, das war in der Vergangenheit so und wird immer so sein.
    Nicht zuletzt deswegen haben wir natürlich dort auch sehr restriktive Kontrollgremien. Das ist ja alles ein eigener Bereich, ein eigenes Metier, in dem wir da unterwegs sind, und das ist entsprechend auch so zu bewerten.
    Klein: Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek - er ist Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss – zu den Plänen des Bundesnachrichtendienstes, die eigenen digitalen Fähigkeiten weiter auszubauen. Das Gespräch haben wir heute Morgen aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.