Archiv

Geschichte des Geheimdienstes
Warum der Bundesnachrichtendienst so viele NS-Täter rekrutierte

In seiner Entstehungszeit war der Bundesnachrichtendienst ein Hort für NS-Täter. Wie Mitarbeiter immer weitere Personen mit NS-Vergangenheit in den Dienst holten, zeigt die letzte Untersuchung der Historikerkommission zur Geschichte des BND.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger |
Hauptsitz des Bundesnachrichtendienst (BND) in Berlin
Ehemalige NS-Täter wurden systematisch für den Bundesnachrichtendienst rekrutiert, so die neuen Ergebnisse der unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des Geheimdienstes (picture alliance / Christoph Hardt)
Es war gut ein Jahr vor Kriegsende, im März 1944, als die SS in den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms 335 Zivilisten erschoss. Mit dem Massaker rächten sich die Nationalsozialisten an der italienischen Widerstandsbewegung, die tags zuvor einen Bombenanschlag verübt hatte. Carl Schütz befehligte das Morden. Acht Jahre nach dem Massaker saß der frühere SS-Hauptsturmführer in leitender Position der Organisation Gehlen, dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes.

Erst jetzt ist klar geworden: In der Organisation Gehlen arbeiteten weit mehr schwer belastete NS-Täter als bislang vermutet. Herausgefunden hat das Gerhard Sälter. Während seiner Arbeit für die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte konnte er als einer der ersten die Akten aus der Entstehungszeit des Geheimdienstes bis 1968 einsehen. Am 11. Oktober erscheint dieser neue und zugleich letzte Band der Kommission. Und er birgt Zündstoff. 


Mitarbeiter aus SS-Einsatzgruppen im Inlandsgeheimdienst BND

„Die Spitze des Eisbergs sind die 33 Mitarbeiter aus den Einsatzgruppen, also die Institutionen des Dritten Reichs, die am massivsten das Mordprogramm exekutiert haben – mit zehntausenden, hunderttausenden von Toten. Das entsprach nicht meinen Erwartungen. Bei den ersten war ich immer noch sehr entsetzt, wo ich die gefunden habe. Die Mehrheit von ihnen hatte leitende Funktionen dort, also mindestens mittlere Offiziersgrade, Dienstgrade.“

Viele der Offiziere, die in sogenannten Einsatzgruppen der SS in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten gewaltsam Morde organisiert und befohlen hatten, machten nach dem Fall des Regimes also weiter Karriere. Seit ihrer Gründung 1946 durch den Chef der Wehrmachts-Abteilung Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen, ist die Organisation Gehlen immer wieder als Hort von Nazis aufgefallen. Das gilt auch für die zehn Jahre später daraus hervorgegangene Bundesbehörde, den BND.

Selten aber werde darüber gesprochen, was für Taten diese Männer tatsächlich verantworteten, sagt Gerhard Sälter. Und nennt als Beispiel Heinrich Schmitz, 1953 zunächst Agent der Organisation Gehlen, später Mitarbeiter beim BND. Als einer der Verantwortlichen in der Einsatzgruppe A hatte er im Baltikum kommunistische Funktionäre sowie jüdische Frauen, Männer und Kinder ermorden lassen.

„Wir haben Heinrich Schmitz, der dafür zuständig war, dass dieses Mordprogramm abgespult wurde, der die Kommandos befehligt hat, die dann die Juden geholt haben, in Ghettos zusammengepfercht und dann umgebracht haben.“

Bereits 2016 hatte die Historikerkommission eine Untersuchung zum sogenannten Sozialprofil des BND vorgelegt. Darin nannte der Historiker Christoph Rass auch die Anzahl NS-belasteter Mitarbeiter. Mitte der 1950er Jahre war etwa jeder zehnte BND-Mitarbeiter in der NS-Zeit Täter im engeren Sinne gewesen.

Nach Durchsicht mehrerer tausend Personalakten stellte Rass fest, dass die Zahl früherer Angehöriger etwa der Gestapo, des Sicherheitsdienstes SD und der Waffen-SS im BND bis in die 1960er Jahre hinein sogar noch stieg.


Systematisch Mitarbeiter mit NS-Vergangenheit rekrutiert

„Wie ist es dazu gekommen? Wie kommen sie rein? Was machen sie dann dort? Was bedeutet es für diesen BND?“ Anders als sein Kollege Rass wollte Gerhard Sälter wissen, wie jeder Einzelne nach dem Krieg vom NS-Apparat – über Zwischenstationen wie Internierungslager, Versteck oder Arbeit unter falscher Identität – zum BND gelangte. Welche individuelle Schuld hatten diese Täter auf sich geladen? Wer war verantwortlich gewesen für Folter und Mord?

Der abstrakte Begriff der „NS-Kontinuitäten“ werde dadurch lebendig, betont Klaus-Dietmar Henke von der BND-Historikerkommission: „Er führt uns ganz detailliert vor Augen, was die Männer aus Hitlers Exekutivapparaten – darauf hat sich der BND ja massenhaft gestützt – was diese Männer tatsächlich getan hatten, sei es als Militärs, als Spitzel, als Polizisten, als NS-Propagandisten oder eben auch als Holocaust-Mörder. Und diese Leute verschwinden bei Sälter nicht hinter Statistiken oder Prozentzahlen. Und erst wenn man sein Personal kennt, begreift man ja erst das Agieren des frühen BND.“

Wie also kamen Männer wie Carl Schütz und Heinrich Schmitz zur Organisation Gehlen, die 1946 zunächst der US Army, ab 1949 der CIA unterstand. Nach jahrelangem Ringen wurde sie 1956 dem Bundeskanzleramt unterstellt. Der BND wurde gegründet. Sälter: „Ich bin ja auch da hingegangen und hatte so ein bisschen die Vorstellung: Naja, die haben sich da so reingeschlichen. Da hat jemand nicht aufgepasst, so eine unbewachte Hintertür. Das ist natürlich völliger Unsinn. Die Leitung der Organisation Gehlen hat von Anfang an systematisch Leute mit einer Berufsbiografie im Dritten Reich rekrutiert  – und wollte auch genau diese Leute. Also auch Gestapo, auch SS, auch SD, auch Einsatzgruppen. Das war auch etwas, was mich sowohl überrascht als auch ziemlich schockiert hat: Die Leitung der Organisation Gehlen, auch später im BND um Reinhard Gehlen herum, die haben wirklich kein Bewusstsein davon entwickelt, was an Bluttaten vom Dritten Reich zu verantworten gewesen ist. Nicht mal ansatzweise, gar nicht.“


Abteilung Beschaffung hielt Ex-Gestapo-Kameraden für „ideologisch und menschlich geeignet“

Heute gehört der BND zu den vielen Behörden und Ministerien, die seit 2005 die NS-Kontinuitäten im eigenen Hause untersuchen ließen. Dadurch wurden Vergleiche möglich. Im Unterschied zu den anderen Institutionen handelte der Nachrichtendienst unter Reinhard Gehlen bei der Personalrekrutierung nicht nur geheim, sondern auch mit besonders fragwürdigen Methoden.
Die Präsidentvilla auf dem Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) im herbstlichen Park.
Kontinuitäten in Pullach: Der ehemalige Wohnsitz von Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und ein Vertrauter von Hitler, wurde ab 1947 von der Organisation Gehlen und später vom BND genutzt (picture alliance / Sven Hoppe)
Nicht die Zentrale im bayrischen Pullach wählte neue Mitarbeiter aus. Es waren die über ganz Deutschland und im Ausland verteilten Dienststellen, die sogenannten Außenorganisationen und Residenturen. Auf Wunsch der Zentrale praktizierten sie eine Art Kettenrekrutierung, bei der ein Mitarbeiter weitere nach sich zog. Die Abteilung Beschaffung hatte 1947 folgende Devise ausgegeben:

„In erster Linie sind bei den beabsichtigten Werbungen Personen in Betracht zu ziehen, die dem Bekanntenkreis bewährter Mitarbeiter entstammen und von diesen für ideologisch, menschlich und fachlich geeignet gehalten werden, an der großen Aufgabe mitzuwirken. Dafür hat der Vorschlagende die volle Garantie zu übernehmen.“

So hielt es auch der bereits erwähnte Carl Schütz, der für das Massaker an italienischen Zivilisten im März 1944 mitverantwortlich war: Nach und nach holte der Leiter einer BND-Dienststelle frühere Kameraden aus der Gestapo Trier in sein Büro.

„Gestapo-Fraktion“: ein dominantes Milieu aus Ehemaligen

„So dass das wirklich die stärkste Gestapo-Fraktion innerhalb des BND wird mit etwa einem Dutzend Leuten. Was ich ganz interessant daran finde ist einerseits, dass er die aus zum Teil prekären Verhältnissen herausholt. Da gibt es ein zufälliges Treffen auf der Straße, einer ist im Straßenbau beschäftigt, und das geht natürlich nicht. Da kann man auch wieder einen Weiße-Kragen-Job kriegen im sogenannten alten Geschäft, so heißt das bei denen. Man sieht daran auch sehr gut, dass diese Leute im Dienst sich vernetzen, die verkehren privat, da gibt es Stammtische, wo man sich regelmäßig trifft. Man sieht, dass die sich bei Dienstpostenwechseln gegenseitig nachziehen und wie da wirklich ein Milieu aus Ehemaligen im BND entsteht, was nach meinem Eindruck dort auch einfach dominant ist.2

Teile des Personals wurden aber auch systematisch aus dem früheren NS-Apparat rekrutiert. Diese Praxis habe der BND bis 1968 beibehalten, obwohl Skandale etwa um die Doppelagenten Felfe und Clemens oder Prozesse wegen NS-Verbrechen die Öffentlichkeit zunehmend aufrüttelten.

„Ende der 1950er Jahre, da läuft in Ulm schon der Einsatzgruppen-Prozess. Die Öffentlichkeit ist tatsächlich das erste Mal wieder schockiert. Also diese Prozesse laufen schon. Es gibt eine Initiative, die bis in die Leitung des BND mitgetragen wird 1959 bis 1961, leitende Kader des Reichssicherheitshauptamtes, also der Institution, wo Kripo, Gestapo und SD zusammengefasst waren, leitende Kader zu rekrutieren. Das ist eigentlich etwas, was ich – bevor ich mit diesen Studien angefangen habe – für unmöglich gehalten hätte.“
Norbert Frei, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Jena, ist davon nicht sonderlich überrascht. Interessant sei vor allem, die Lebensläufe dieser Mitarbeiter zu rekonstruieren, so der Autor des Buches „Vergangenheitspolitik“:


NS-Mentalitäten: Einfluss auf die Arbeit beim BND nach 1945?

„Aber dann geht es letzten Endes auch darum zu zeigen, wie die Beamtenschaft und der konkrete Mitarbeiter, für den man sich interessiert, sich dann unter den neuen politischen, den demokratischen Verhältnissen der Bundesrepublik in seiner Arbeit betätigt hat. Ob es da Mentalitäten gibt, die auf die Arbeit Einfluss nehmen, die aber aus der NS-Zeit stammen.“
Eine dieser Mentalitäten wird am Beispiel von Helmut Schreiber deutlich. Schreiber  war hauptberuflicher HJ-Führer, Mitglied in der NSDAP und bei der SS, außerdem Sturmbannführer der Waffen-SS – und mitverantwortlich für Massaker in Frankreich sowie Tötungen in Polen 1939.

Die Personalabteilung des BND reagierte 1957 positiv auf seine Einstellung: Schreiber hatte sich nach der Flucht aus einem Internierungslager unter dem Mädchennamen seiner Frau durchgeschlagen und in einer Gummersbacher Firma gearbeitet.

„Der Bewerber ist charakterlich stabil, er hat ein hohes Verantwortungsgefühl, er ist zuverlässig und in seiner Grundhaltung anständig. Konsequenz, Entschlossenheit und Realismus hat er durch die Illegalität, in der er bis 1953 lebte, bewiesen. Moral und Ethik sind ihm feste Begriffe; sie waren und sind mitentscheidend und richtungsweisend für den Verlauf seines Lebens.“

Als anständig galt beim BND nach 1945 nicht, wer sich dem Morden verweigert hatte, sondern wer frühere Kameraden nicht verpfiff und den alten Idealen – zumindest teilweise – noch anhing. Der BND sei vor allem in der Anfangszeit eher eine Überlebensgemeinschaft als ein Geheimdienst gewesen, schreibt Gerhard Sälter in seinem Buch.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.


Mitarbeiter ohne Entnazifizierung eingestellt

NS-Täter hätten dort Schutz vor staatlicher Verfolgung gesucht, geeint durch eine gemeinsame Kriegserfahrung und antikommunistische Haltung. Manche wurden eingestellt, ohne entnazifiziert zu sein, also ohne sich einer Befragung zu ihrer Mitverantwortung in der NS-Zeit unterzogen zu haben. Gegen andere liefen sogar noch Ermittlungen. Das Verwischen von Spuren und Kenntnissen sei mit viel Kraft und Energie betrieben worden, sagt Norbert Frei.

„Die zeitgeschichtliche Forschung etwa zu den Einsatzgruppen war in den 1950er Jahren noch nicht sehr weit. Das ist eine Sache, die sich erst in den 1960er, 1970er Jahren dann langsam wirklich voran arbeitet – aufgrund fehlender Akten. Da konnte man noch jede Menge Lügen und Legenden in die Welt setzen.“

Etwa um Verbeamtung zu erreichen – was in vielen Fällen auch gelang. So legte der frühere Gestapo-Beamte Carl Schütz der Personalabteilung ein Schreiben zur Orientierung vor:

„Schütz argumentierte, die Gestapo sei dem nationalsozialistischen Staat nicht in besonderer Weise verbunden gewesen. Deshalb habe das alliierte Gericht in Nürnberg sie zu Unrecht als 'verbrecherische Organisation' gebrandmarkt. Insbesondere habe sie mit den Konzentrationslagern 'beweisbar' nichts zu tun gehabt und sei an der Ermordung der Juden nicht beteiligt gewesen.“


Historiker: Kanzleramt fragte in den 60ern nicht nach NS-Belastung im BND

Norbert Frei: „Wenn man das liest, dann sieht man in der Tat, dass dieser BND also in einer gewissen Weise wie ein Monolith in diese Demokratie hinein ragt und letzten Endes auch randständig und überständig genau dadurch wird, dass es so lange dauert, bis diese NS-Mentalitäten und diese NS-Kontinuitäten und diese Vielzahl von schwer belasteten Personen dann am Ende, schließlich, ja, meistens nur pensioniert werden. Die werden ja nicht entfernt.“

Nach dem Wegschauen der Amerikaner überprüfte auch das Bundeskanzleramt bis Anfang der 1960er Jahre nicht genau, wer im BND ein und aus ging. Gehlen habe das Amt bei Anträgen auf Verbeamtung seiner Mitarbeiter lückenhaft oder gar falsch informiert. Und das Bundeskanzleramt fragte nicht nach, sagt Gerhard Sälter: „Das Kanzleramt ist ganz offensichtlich weder willens noch in der Lage, hinsichtlich der NS-Belastung des Personals durchzugreifen oder sich überhaupt nur Informationen, belastbare, zu beschaffen. Der Gehlen schickt denen immer irgendwelche Zusammenstellungen, eher zufällige Zusammenstellungen von Personenlisten und sagt: Wir haben so etwa ein Prozent Belastete. Das ist immer seine Größenordnung. Die sind aber entnazifiziert, die sind alle sieben Mal überprüft, wir sind uns sicher, dass die vor 1945 nichts getan haben, was wir heute nicht billigen würden." 


Verantwortlich: Kanzleramtschef Hans Globke

Die politische Verantwortung für den langen Verbleib von NS-Tätern im BND trug das Bundeskanzleramt, betont Klaus-Dietmar Henke von der Historikerkommission. Kanzleramtschef Hans Globke, Adenauers rechte Hand, hätte die verheerende Personalpolitik jederzeit beenden können, dies aber aus zwei Gründen nicht gewollt.

„Zum einen kam ja auch Globke, wie die meisten BND-Mitarbeiter, aus diesen Exekutivapparaten des NS-Regimes. Und obendrein war Globke selbst ein Mittäter des Holocaust. Er war ein Hauptarchitekt der juristischen Kulisse, hinter der dann die Verfolgung und Ermordung der Juden stattgefunden hat. Und ohne diese scheinrechtliche Bemäntelung hätte das Menschheitsverbrechen der Shoah ja niemals durchgeführt werden können.“
Globke selbst war nämlich in der NS-Zeit Kommentator der Nürnberger Rassegesetze gewesen. Der zweite Grund: Christdemokrat Globke musste sich den BND gewogen halten, weil er ihn für Parteizwecke einspannte, so Henke. Der Historiker hat in den BND-Akten zahlreiche Belege dafür gefunden, dass Globke mit Wissen von Adenauer den BND dafür instrumentalisierte, jahrelang den SPD-Parteivorstand auszuforschen.

„Hätte Globke nun dem BND-Präsidenten Gehlen damals vors Schienbein getreten und ihn wegen der NS-Mörder in der Pullacher Behörde zur Rede gestellt, dann hätte er sich diesen wichtigen Spionagekanal des Bundeskanzlers hinein in die sozialdemokratische Parteizentrale ja selbst verschüttet. Und so konnte dann das größte Demokratieverbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik ungestört seinen Lauf nehmen.“

Erst als der Druck auf den BND infolge öffentlicher Skandale stieg, richtete dieser 1963 eine besondere Dienststelle ein. Diese sollte möglichst schnell und geräuschlos nur einen kleinen Teil des stark belasteten Personals überprüfen, berichtet Gerhard Sälter. Von 167 früheren Angehörigen der Gestapo, des SD und der Waffen-SS wurde die Hälfte entlassen, darunter auch Carl Schütz.

Welche Folgen hatte die Integration von NS-Tätern im BND?

Forschungsergebnisse wie diese landen heute beim BND-Nachwuchs. Rüdiger Bergien ist Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Dort lehrt er unter anderem die Geschichte der Nachrichtendienste, vor ihm sitzen überwiegend Mitarbeiter von BND und Verfassungsschutz, die sich zu Führungskräften fortbilden – und analysieren die Lebensläufe von Bewerbern in der Nachkriegszeit:

„Was haben die da für Biographien? Da taucht dann vielleicht die biographische Station Wannsee-Institut auf, da war dieser oder jener ein paar Jahre Referent. Dann diskutieren wir: Was war das? Okay, ein Ostforschungsinstitut des Sicherheitsdienstes der SS. Wie kommt so jemand da rein? Wer saß eigentlich in der Personal-Abteilung des BND? Wie braun war der BND in seiner Gründungszeit, der Verfassungsschutz, auf dem rechten Auge blind. Das sind ja Themen, mit denen die sich auseinandersetzen.“ Im Mittelpunkt steht für den Historiker allerdings die Frage, welche Folgen die Integration von NS-Tätern für den späteren BND der 1970er und 1980er Jahre hatte.

„Vielleicht jetzt weniger, welche Biographien haben sich da noch bis in die späten 1980er hineingezogen. Als vielmehr was für organisationskulturelle Überbleibsel aus den 1950er, 1960er Jahren sind noch geblieben – mit bestimmten Denkmustern, Deutungsmustern, Mentalitäten. Die verfestigen sich ja zu einer Organisationskultur, eine bestimmte Art und Weise zu reden, zu denken, zu handeln, auf die Welt zu blicken. Also wie hat das sich noch fortgesetzt?“

Der Wandel kommt erst in den 80er-Jahren

Allerdings habe der BND sich immer mehr zu einer modernen Behörde entwickelt, betont Rüdiger Bergien. Forschungen zum Bundeskriminalamt und zum Verfassungsschutz etwa hätten gezeigt, dass der Generationswechsel in den 1960er Jahren die NS-Belastung in beiden Behörden reduzierte. 

Gerhard Sälter hingegen gibt zu bedenken, dass dieser Wandel beim Bundesnachrichtendienst in den 1970er Jahren nur langsam einsetzte. Vor allem die Leitung des BND habe sich erst spät verjüngt. Die Kriegsteilnehmer dominierten dort noch lange.  

„Moralische Probleme, dass man sagt: Wir wollen keinen haben, der ein Mörder ist, das gibt es in den 1970er Jahren auch noch nicht. Das kommt erst in den 1980ern. Es dauert tatsächlich im BND bis Ende der 1970er Jahre etwa, bis Mitarbeiter in der Lage sind, eine NS-Berufsbiographie so zu schildern, wie sie gewesen ist, ohne gleich beschönigende oder vertuschende Formulierungen anzuhängen. Das ist tatsächlich auch wahrscheinlich ein deutlicher Unterschied zu anderen Behörden.“