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BND-Datenweitergabe an die NSA
Sensburg wartet auf Aufklärung der Vorwürfe

Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg, lehnt personelle Konsequenzen aus der jüngsten NSA-Affäre ab. Der CDU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, zuerst müssten alle Vorwürfe aufgeklärt werden. Entscheidend sei die Frage, welche Daten der Bundesnachrichtendienst an den US-Geheimdienst NSA übermittelt habe.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Dirk Müller |
    Sensburg sagte im Deutschlandfunk, es gebe eine Liste mit 40.000 Suchkriterien, die der BND aussortiert habe. 2.000 sogenannte Selektoren seien aber offenbar weitergegeben worden. Nun müsse geklärt werden, ob dazu auch Handynummern oder Mailadressen von Unternehmen und Privatpersonen zählten.
    Mitte der Woche war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst NSA möglicherweise jahrelang mit Hilfe des BND Unternehmen und Politiker in Deutschland ausspähte. Grüne und Linkspartei forderten den Rücktritt von BND-Präsident Schindler. Auch die SPD schloss personelle Konsequenzen nicht aus.
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    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon ist nun der CDU-Politiker Patrick Sensburg, Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
    Patrick Sensburg: Ich grüße Sie, guten Morgen!
    Müller: Herr Sensburg, reden wir über Landesverrat?
    Sensburg: Ich glaube, das ist jetzt noch gar nicht zu beurteilen, und es wäre eine Frage, die der Generalbundesanwalt klären müsste. Er hat die Möglichkeit, unsere Akten einzusehen, kann dann selbst beurteilen, ob er einen derartigen Verdacht sieht. Aber das ist erstrangig erst mal seine Aufgabe. Wir haben politisch zu entscheiden, welche Konsequenzen wird es geben, wenn wir die notwendigen Erkenntnisse haben, auch, welche Empfehlungen können wir möglicherweise geben, damit Dinge nicht weiter passieren oder noch mal passieren.
    Müller: Sind Sie denn der Meinung, dass der Generalbundesanwalt jetzt aktiv werden soll so schnell wie möglich?
    Sensburg: Ich hatte es ja schon gesagt, der Generalbundesanwalt prüft schon lange den gesamten NSA-Komplex. Ob er möglicherweise ein formelles Ermittlungsverfahren einleitet, da gibt es bestimmte Themenunterkomplexe, zum Beispiel das Abhören des Mobiltelefons der Kanzlerin war so ein Unterkomplex. Er wird auch in diesem Fall sicherlich sich die Aktenlage anschauen. Er wird sicherlich auch sich das anschauen, was in unseren Protokollen in den nächsten Wochen verhandelt wird. Und dann trifft er eine unabhängige Entscheidung. Ihm da Ratschläge zu geben, würde ich für falsch halten.
    Müller: Ja, da müssen Sie uns noch mal weiterhelfen. Sie haben ja gestern in einem Interview gesagt, wonach der Generalbundesanwalt auch in diesem Bereich, in diesem neuen Komplex jetzt schon ermittelt, wenn wir das richtig verstanden haben, wenn es richtig wiedergegeben worden war. Und dann gab es ein Dementi der Bundesanwaltschaft. Wie ist denn jetzt der Stand der Dinge? Wissen Sie das?
    Sensburg: Ja, die Bundesanwaltschaft ist gefragt worden, ob sie gegen den BND ermittelt. Und das hat sie dementiert. Sie hat auch kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie ich es gesagt habe. Sie prüft den gesamten Komplex, ob da Tatbestände erfüllt sein könnten, für die sie dann ein förmliches Ermittlungsverfahren einleitet. Der Generalbundesanwalt hat uns am 25. März sein dementsprechendes Konzept vorgestellt, nach welchen Kriterien er entscheidet und, nach welchen Tatkomplexen er möglicherweise einteilt. Aber das ist seine Entscheidung, ob er genügend Informationen, Details und, sagen wir mal, Fundstücke in Akten hat, wo er sagt, jetzt habe ich genug Kenntnisse, um ein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.
    "Deutsche genießen den dementsprechenden Grundrechtsschutz"
    Müller: Ist er da ein bisschen zu zurückhaltend oder macht er seine Arbeit?
    Sensburg: Auch da würde ich Kritik weder in die eine noch die andere Richtung üben. Er hat seine eigenen Erkenntnisquellen auch. Deswegen haben wir gesagt, wenn wir ihm unsere Protokolle zur Verfügung stellen, dann würden wir auch sehr gern seine Erkenntnisse laufend erhalten, sodass wir natürlich auch unsere Untersuchung dementsprechend auf das stützen können, was er möglicherweise selbst ermittelt hat.
    Müller: Kann denn der Generalbundesanwalt mehr wissen als Sie?
    Sensburg: Das weiß ich nicht. Eigentlich sind wir sehr tief am Ermitteln und am Untersuchen, das zeigt ja auch, dass wir durch einen Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses jetzt diese Dokumente anscheinend zutage gebracht haben, die wir, Sie haben es richtig eben gesagt, selbst ja noch gar nicht gesehen haben, aber es war ein Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses vom Februar, die den BND veranlasst haben, Akten zusammenzustellen, wo anscheinend auch eine dieser Listen mit dabei war.
    Müller: Sagen Sie uns doch, Stand der Dinge, was Sie jetzt genau wissen, was problematisch ist für den BND.
    Sensburg: Sie haben auch das eben sehr genau in Ihrem Bericht gesagt. Wir haben mitgeteilt bekommen, und so stand es dann ja auch schon in verschiedenen Presseberichten, dass - und da gingen unsere Fragen jetzt ein Jahr lang nach - Selektoren von ausländischen Nachrichtendiensten uns übergeben werden. Das beinhaltet E-Mail-Adressen, das beinhaltet Handynummern, das beinhaltet IP-Adressen, die benutzt werden sollen, um nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu gewinnen.
    Müller: Also bestimmte Suchkriterien, wenn man das so übersetzen kann.
    Sensburg: Ganz genau. Das ist nachrichtendienstliche Praxis, dass man sagt, schau doch mal diese Handynummer gehört zum Beispiel einem Terrorverdächtigen, da möchten wir mehr wissen. So tauschen sich Nachrichtendienste aus, das ist bekannt gewesen.
    Müller: Bis hierher hört sich das ja noch vernünftig an.
    Sensburg: Genau. Und dann haben wir natürlich kontinuierlich gefragt, sind da möglicherweise deutsche E-Mail-Adressen, Handynummern et cetera eingesteuert worden, weil das geht nicht. Deutsche genießen natürlich den dementsprechenden Grundrechtsschutz, insbesondere von Artikel zehn, Post- und Briefgeheimnis. Das schließt natürlich auch die digitale Kommunikation ein, und von daher war das ein wesentliches Anliegen, dass wir wissen wollten, ist sichergestellt, dass der Bundesnachrichtendienst das nicht macht. Er darf auch übrigens nicht im Inland spionieren, dafür haben wir den Verfassungsschutz.
    Müller: Man könnte auch ja sagen, um das noch - Entschuldigung, Herr Sensburg - um das nach außen noch mal klarer zu machen, das ist der Auslandsgeheimdienst, der mit den inneren Dimensionen möglicherweise auch von Antiterrorgefahr und -politik nichts zu tun hat?
    Sensburg: Ja, da gibt es geringe Überschneidungsmengen, aber grundsätzlich haben wir die Trennung, Verfassungsschutz für das Innere, die innere Sicherheit dementsprechend zu prüfen, und der BND als Auslandsgeheimdienst nach außen gerichtet.
    "Jetzt interessiert mich, was sind das denn für Selektoren?"
    Müller: Aber bei Antiterror gibt es eine Schnittmenge.
    Sensburg: Da gibt es eine Schnittmenge. Und deswegen ist jetzt auch so interessant, dass der BND aus den mitgeteilten Selektoren eine nicht unerhebliche Zahl aussortiert hat und gesagt hat, die prüfen wir nicht, da geben wir keine Erkenntnisse an ausländische Nachrichtendienste weiter. Jetzt interessiert mich natürlich, was sind das denn für Selektoren? Sind das deutsche Unternehmen? Wenn ja, sind das Unternehmen, die vielleicht im Bereich von Waffenproliferation sensibel sein könnten? Dann kann ich das immer noch nachvollziehen, muss es nicht gutheißen. Geht es um den Bereich des sogenannten Dual Use, dass also Produkte, die einen zivilen Nutzen haben können, aber auch militärisch eingesetzt werden können? Dann kann ich nachrichtendienstliche Tätigkeit auch wieder erklären. Oder geht es um den allgemeinen Mittelständler, der im Bereich von Wirtschaftsspionage höchstens interessant sein könnte. Das müssen wir jetzt klären, um die Dimension dieses Vorfalls wirklich einordnen zu können.
    Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, insgesamt gibt es ja Zehntausende von Datensätzen, 40.000, haben wir eben gehört, die aussortiert worden sind. Und 2.000 sind jetzt relevant, die Sie genauer prüfen müssen.
    Sensburg: Also, ich sehe den Umfang größer. Wenn die Zahl 40.000 stimmt, auch das habe ich jetzt eigentlich hauptsächlich aus der Presse gelesen, noch nicht selber gesehen, deswegen wollen wir diese Listen einsehen. Wir haben sofort am Donnerstag den Beweisbeschluss gefasst, die entsprechenden Akten inklusive der Listen beizuziehen. Da möchte ich einmal diese Liste, wenn sie denn 40.000 Selektoren enthält, sehen, was aussortiert worden ist. Und ich möchte diese Liste sehen, wo immer gesagt wird, da wären 2.000 Selektoren noch drauf, die im Jahr 2013 aufgefallen sind. Weil wenn es so stimmt, was auch die Medien berichten, dann sind diese 2.000 Selektoren bis 2013 noch aktiv gewesen, haben also nachrichtendienstliche Erkenntnisse geliefert. Und von daher muss man dann schauen, ob da nicht wirklich ein Fehler passiert ist.
    Müller: Ein Fehler. Haben Sie mit Gerhard Schindler schon sprechen können?
    Sensburg: Nein, habe ich nicht. Das ist auch nicht meine Aufgabe, dass ich privat oder als Einzelperson mit Gerhard Schindler spreche.
    Müller: Als Politiker, in Ihrer Funktion als Vorsitzender.
    Sensburg: Ja, dann würde ich das aber dem gesamten Ausschuss raten, dass er Gerhard Schindler lädt. Das mache ich nicht alleine als Ausschussvorsitzender.
    Müller: Wie kann das sein, dass Gerhard Schindler jetzt nichts dazu sagt, keine Stellung bezieht?
    Sensburg: Ja, wir haben ihn auch nicht direkt befragt. Wir würden ihn als Zeugen laden. Wir haben am vergangenen Donnerstag Zeugen sofort geladen, aber auf der Arbeitsebene, die sich mit der Erstellung dieser Selektorenlisten beschäftigen im Bundesnachrichtendienst. Und die werden wir zuerst vernehmen, bevor wir weitere Zeugen, gegebenenfalls den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, vernehmen.
    Müller: Und nach dieser Sitzung, Herr Sensburg, am Donnerstag haben sich diese Hinweise, dass da etwas schiefgelaufen sein könnte, verdichtet?
    Sensburg: Es hat seit dieser Sitzung nichts Neues gegeben, weil die Qualität dieser Information für mich das Entscheidende ist. 40.000 Selektoren kann ich erst mal schwer einordnen – das kann viel, das kann wenig sein. Das Entscheidende ist, was sind es denn für Selektoren? Sind das unser beider Telefonnummern, sind das die Handynummern von Privatpersonen in Deutschland oder von mittelständischen Unternehmen, oder sind das zum Beispiel digital automatisiert generierte E-Mail-Adressen, was es auch wieder gibt, die dann, weil sie eine de-Endung zum Beispiel haben, vom BND automatisch aussortiert worden sind. Aber das sind Unterschiede, die auch die Reichweite dieses Vorfalls deutlich machen, die wir erst klären müssen, bevor man Konsequenzen fordert nach meiner Meinung.
    Müller: Herr Sensburg, jetzt fragen sich doch viele Bürger, wie kann das sein, dass der BND jetzt unter die Lupe genommen werden muss, wieder einmal, dass er wieder untersucht werden muss, dass auch Gerhard Schindler als Verantwortlicher, als BND-Präsident dabei natürlich die entscheidende Rolle spielt, wie auch das Kanzleramt, zuständig für die Geheimdienstkontrolle und auch für die Koordination - dass wir den eigenen Geheimdienst im Grunde ausforschen müssen, dass wir den eigenen Geheimdienst jetzt in der Art detaillierterweise kontrollieren müssen. Macht dieser BND, was er will?
    "Wir müssen jetzt genau schauen, wie denn das abgelaufen ist"
    Sensburg: Jetzt könnte man erst mal sagen, so ist das System angelegt, dass wir bei Diensten, die eine intensive Eingriffsbefugnis in Rechte ja haben, natürlich auch die dementsprechende parlamentarische Kontrolle brauchen, nicht nur beim Kanzleramt im Wege der Dienst- und Fachaufsicht, sondern auch im Wege der parlamentarischen Kontrolle, grundsätzlich durch das sogenannte parlamentarische Kontrollgremium und die G10-Kommission. Aber in diesem Falle eben auch durch uns, durch einen Untersuchungsausschuss. So ist es systemisch angelegt, und das System scheint ja zu funktionieren, indem wir durch den Untersuchungsausschuss, wenn es sich so bewahrheitet, Lücken im System und möglicherweise auch Fehler aufzeigen.
    Müller: Indem Sie Jahre brauchen, mit harter, akribischer Arbeit, um nachzuweisen, gegebenenfalls, das ist jetzt im Konjunktiv, dass der BND illegal gearbeitet hat und vorgegangen ist.
    Sensburg: Ja, wir müssen jetzt, wie gesagt, genau schauen, wie denn das abgelaufen ist. Wenn der BND Selektoren kriegt, was, wie wir ja auch gerade gesagt haben, nachrichtendienstliche Praxis ist, und sondert die Dinge aus, die da nicht rein gehören, dann sage ich, hat er erst mal richtig gehandelt.
    Müller: Ja, aber das kann Herr Schindler Ihnen doch sagen. Der kann doch anrufen und sagen, wir haben es so und so gemacht, gucken Sie nach, hier sind die Unterlagen, zack, wir helfen Ihnen bei der Auswertung.
    Sensburg: Da gehen wir ja gerade in die Richtung. Aber eben den Satz noch zu Ende: Wenn aber diese Praxis über mehrere Jahre gedauert hat, dann frage ich mich zum Beispiel, warum haben unsere amerikanischen Partner, Jahr für Jahr, Monat für Monat gegebenenfalls, Selektoren da rein gesteuert, die da doch gar nicht reingehören? Dann muss man doch irgendwann mal sagen, jetzt müssen wir damit mal aufhören. Das macht Arbeit, ist auch anscheinend nicht besonders klug, immer wieder das Gleiche zu machen über einen längeren Zeitraum, dann muss doch mal zumindest diese Information hoch gegeben werden, und man muss mit den amerikanischen Partnern kommunizieren, dass das keinen großen Sinn macht, deutsche E-Mail-Adressen, IP-Adressen, Handynummern immer wieder einzusteuern. Und von daher...
    Müller: Herr Sensburg, jetzt haben wir noch zehn Sekunden. Ich muss Sie das doch noch fragen. Gerhard Schindler muss doch jetzt zurücktreten?
    Sensburg: Ich halte das für verfrüht. Ich halte es schon für sehr klug, erst mal einen Sachverhalt auszuermitteln, bevor ich einen Rücktritt fordere. Ich glaube, das ist nicht seriös, wenn man sich kaum mit den Themen beschäftigen konnte, ohne die Akten gelesen zu haben.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Patrick Sensburg. Danke für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das vollständige Gespräch können Sie als Audio-on-Demand nachhören.