"Mit dem neuen BND-Gesetz wird das Ausspähen unter Freunden auch ganz offiziell erlaubt", sagte der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums im DLF. Als Beispiel nannte er den Zugriff auf den Kabelknotenpunkt in Frankfurt.
Kritik äußerte Hahn auch an der vorgesehenen Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes. Das "sogenannte unabhängige Gremium" aus drei Richtern solle die Suchbegriffe, also den Einsatz sogenannter Selektoren, kontrollieren. Dem Bundestag seien diese Suchbegriffe nicht zur Verfügung gestellt werden. Dem Parlament unterliege aber die Kontrolle der Geheimdienste, betonte Hahn. Es könne nicht wahr sein, dass die Bundesregierung jetzt ihre eigenen Kontrolleure wähle.
"Die Koalition weiß, dass dieses Gesetz nicht halten wird in Karlsruhe", meinte der Linken-Politiker. Sie wisse aber auch, dass Grüne und Linke zusammen in dieser Legislatur nicht das notwendige Quorum für eine Normenkontrollklage erreichen würden.
Mit dem BND-Gesetz reagiert die Große Koalition auf die Geheimdienst-Skandale der vergangenen Jahre. Es regelt die strategische Fernmeldeaufklärung von Ausländern im Ausland - also die Überwachung von Datenverbindungen, um Bedrohungen zu erkennen und die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Dazu kann der Geheimdienst beispielsweise Internetknotenpunkte in Deutschland anzapfen, über die weltweiter Datenverkehr abgewickelt wird. Ausdrücklich erlaubt wird die Spionage gegen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten, wenn es um Gefahren für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands geht.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Es steht nicht gut um den Ruf des deutschen Auslandsdienstes, des Bundesnachrichtendienstes, kurz BND. Sein enger Austausch mit der amerikanischen NSA hat Zweifel genährt, ob dabei noch alles rechtlich in Ordnung war. Dazu kamen die Abhöraktionen, die das Vertrauen weiter schwinden ließen. Die Bundesregierung sah die Notwendigkeit für eine Reform, die die Aktivitäten des BND auf eine rechtliche Grundlage stellt.
Dabei spielen in Zeiten des Terrors dessen weitreichende Befugnisse eine große Rolle.
Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Andre Hahn von der Linken. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, eine der Instanzen für die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes. Guten Morgen.
Andre Hahn: Ja, guten Morgen.
"Auch Nachrichtendienste müssen sich an Recht und Gesetz halten"
Kaess: Herr Hahn, der Fall Jaber al-Bakr, der in Leipzig verhaftete Syrer, der belegt ja, dass bei vielen Informationen Geheimdienste Anschläge verhindern können. Brauchen die Dienste größt möglichen Freiraum?
Hahn: Nein, das sehe ich nicht so. Auch Nachrichtendienste müssen sich an Recht und Gesetz halten und mit dem neuen BND-Gesetz wird das Ausspähen unter Freunden auch ganz offiziell erlaubt. Die anderslautende Aussage der Bundeskanzlerin von 2013, als herauskam, dass amerikanische Geheimdienste auch ihr Handy abhörten, wird nun ins Gegenteil verkehrt.
Ich habe den Eindruck, die Hardliner in der Union haben sich damit durchgesetzt, denn alles, was sich im NSA-BND-Untersuchungsausschuss als rechts- oder gar verfassungswidrig herausgestellt hat, mindestens aber als fragwürdig galt, soll nun gesetzlich legitimiert werden. Es gibt mehr Geld und zusätzliche Stellen. Manche in der Koalition, so scheint es mir, wollen aus dem BND eine Mini-NSA entwickeln, und das werden wir als Linke definitiv nicht mitmachen.
"Für Überwachung fehlt eine klare Grenzziehung"
Kaess: Aber, Herr Hahn, es geht bei dieser Reform ganz konkret um Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. Wieso haben Sie kein Vertrauen, dass das diesen Rahmen nicht überschreiten wird?
Hahn: Wir wissen ja, was der BND in den letzten Jahren schon gemacht hat. Sie haben darauf hingewiesen, dass man an den Kabelknotenpunkt in Frankfurt jetzt rangehen kann, den größten Kabelknotenpunkt der Welt. Dort haben wir gesehen, dass unter Umgehung der Bundestagsgremien rechtswidrig über Jahre Millionen Telefonate, SMS dort abgehört worden sind. Da fehlt natürlich das Vertrauen.
Und wenn man sich den Gesetzestext ansieht, dann fehlt für die Überwachung eine klare Grenzziehung. Als Begründung reicht aus, dass man frühzeitig Gefahren erkennen, die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik wahren oder sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung gewinnen will. Mit solchen wachsweichen Formulierungen kann man nahezu alles rechtfertigen und genau das wollen wir nicht. Der Bundesnachrichtendienst ist ein Auslandsdienst und soll nicht im Inland eingesetzt werden. Genau das wird aber mit dem Gesetz jetzt legitimiert.
Kaess: Aber gerade was Sie sagen, die Kontrolle wird ja eigentlich ausgeweitet. Es gibt jetzt zum Beispiel noch zusätzlich ein unabhängiges Gremium, das die Rechtmäßigkeit der Überwachung kontrolliert, von zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt. Damit werden doch die Grenzen gesichert.
Hahn: Nein, die Grenzen werden damit überhaupt nicht gesichert. Dieses sogenannte unabhängige Gremium soll die Suchbegriffe, den Einsatz der Selektoren prüfen, und wir sind der Auffassung, ...
Kaess: Was ja schon mal eine gute Sache ist im Gedanken der Kontrolle, denn bisher gab es das ja nicht.
Hahn: Diese Kontrolle wäre, wenn sie denn funktionieren würde, sicherlich mehr, als bisher der Fall ist. Aber wir haben bereits drei parlamentarische Gremien, die sich mit den Sachen beschäftigen: Das Vertrauensgremium, was über die Haushalte befindet, die G10-Kommission, die jetzt schon die Telefonabhöraktionen genehmigen muss, und das Parlamentarische Kontrollgremium als obere parlamentarische Institution, die die Nachrichtendienste kontrollieren soll. Das reicht völlig aus.
Kaess: Aber das hat offenbar, Herr Hahn, bisher nicht funktioniert. Das sagen Sie ja selber. Was haben Sie dagegen, wenn zwei Bundesrichter und ein Bundesanwalt jetzt zusätzlich für die Kontrolle mit eingeschaltet werden?
Hahn: Es hat deshalb nicht funktioniert, weil man uns die Suchbegriffe nicht zur Verfügung gestellt hat, beispielsweise jene der NSA, die der BND eingesteuert hat in seine Systeme. Da gibt es eine Klage in Karlsruhe. Die Bundesregierung
verweigert bis zum heutigen Tag uns als Abgeordnete die Einsicht in diese Unterlagen, und genau das ist das Problem. Wenn jetzt ein Gremium in Karlsruhe sich das ansehen soll, alle drei Monate einmal guckt, dann sind diese Begriffe schon lange im Einsatz und haben schon auch wieder zig Tausende Treffer erzielt und entsprechende Daten gesammelt. Wenn es dann noch ein Gremium ist, das die Bundesregierung sich selbst aussucht, sie wählt ihre eigenen Kontrolleure, das kann doch nicht ernst gemeint sein. Selbst der frühere BND-Chef Schindler hat in der Anhörung ganz klar gesagt, dass diese Prüfung dem Kontrollgremium übertragen werden muss, also dem Parlament, und nicht einer Gruppe, die die Bundesregierung selbst eingesetzt hat.
"Wir wollen diese Kontrolle selbst durchführen können"
Kaess: Aber, Herr Hahn, es geht hier um zwei Bundesrichter und einen Bundesanwalt, und normalerweise ist die Justiz in Deutschland unabhängig.
Hahn: Die Justiz in Deutschland sollte unabhängig sein. Das ist völlig richtig. Trotzdem sucht sich die Bundesregierung die Leute aus, die sie damit beauftragt, und wir haben keine Rückkopplung im wirklichen Sinne, was dort passiert. Das ist für uns nicht akzeptabel. Die Kontrolle über die Bundesregierung und ihr Handeln in Bezug auf die Geheimdienste obliegt dem Parlament und deshalb ist das für uns kein akzeptabler Weg. Wir wollen diese Kontrolle selbst durchführen können und das wird mit dem Gesetz verwehrt.
"Wir brauchen Unterstützung für das Parlament und nicht eine weitere Hürde"
Kaess: Und das dürfen Sie aber auch weiter, Herr Hahn, wenn ich das richtig verstehe. Das Parlamentarische Kontrollgremium bekommt jetzt im Zuge des Gesetzes über das Parlamentarische Kontrollgremium, das heute auch im Bundestag ist, sogar noch 20 Mitarbeiter dazu. Sie haben noch viel mehr Ressourcen als bisher.
Hahn: Ja auch das ist auf den ersten Blick vielleicht ganz vernünftig und verlockend. Wenn man sich das genauer ansieht, wird es problematisch. Erstens soll es einen neuen ständigen Bevollmächtigten geben. Auch der wird von der Koalition eingesetzt, also von den Fraktionen, die die Regierung tragen. Die Mitarbeiter werden auch nicht von den Oppositionsfraktionen bestimmt.
Wir haben keinen Einfluss darauf, keine Mitarbeiter, die für uns gezielt auch Recherchen durchführen können. Wir haben eher den Eindruck, dass man dort eine zusätzliche Institution schafft, ein Nadelöhr, das bestimmte Dinge zu sehen bekommt, wie Herr Graulich zum Beispiel die NSA-Selektoren, und sie dem Parlament trotzdem weiter vorenthalten werden. Das kann doch nicht richtig sein! Wir brauchen Unterstützung für das Parlament und nicht eine weitere Hürde.
Kaess: Herr Hahn, darf ich da noch mal einhaken?
Hahn: Aber natürlich!
Kaess: Warum sollte denn die Koalition ein anderes Interesse haben als die Geheimdienstkontrolle?
Hahn: Wir wissen doch aber, wenn bei den Geheimdiensten etwas schief läuft, dass es dann auch Probleme gibt, und zwar natürlich beim Chef der Nachrichtendienste oder bei den Chefs - es sind ja drei, die wir in Deutschland haben -, da gibt es dann auch Rücktritte oder Entlassungen, und wenn bestimmte Dinge ganz schief laufen, dann sind wir natürlich ganz schnell beim Kanzleramt.
Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass es in erster Linie darum geht, die eigenen Minister zu schützen und auch die Kanzlerin vor Ungemach zu bewahren, und da ist sich dann die Koalition sehr schnell einig, dass bestimmte Dinge nicht an die Öffentlichkeit kommen. Wir haben doch eine Situation, dass wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit in diesem Gremium brauchen, um bestimmte Vorgänge überhaupt öffentlich zu bewerten. Das heißt im Klartext: Wenn ich die Regierung kritisieren will zu einem bestimmten Fall, wo etwas schief gelaufen ist, brauche ich dazu vorher die Genehmigung der Koalition. Das ist doch überhaupt nicht realistisch und deshalb muss sich natürlich an der Kontrolle der Nachrichtendienste etwas ändern, aber nicht mit dem vorgelegten Gesetzentwurf und auch nicht mit dem neuen PKGr-Gesetz, wie es jetzt von der Koalition präsentiert wird.
Kaess: Und warum, noch mal, zweifeln Sie an dieser Selbstkontrolle? Es sind ja jetzt da noch mehr Linien eingezogen. Der BND-Präsident muss die Überwachung beantragen und in bestimmten Fällen muss sogar das Kanzleramt informiert werden. Warum haben Sie da so ein Misstrauen?
Hahn: Wir haben ja nun extrem schlechte Erfahrungen gemacht in den letzten Jahren.
Kaess: Da gab es ja auch diese Kontrollinstanzen oder Kontrollregeln, so wie sie jetzt eingeführt werden sollen, noch nicht.
Hahn: Ich habe ja nichts dagegen, wenn wir in einem Jahr oder in zwei Jahren wieder ein Interview führen und ich dann sagen kann, das ist alles prima gelaufen und ich habe mich geirrt. Dann hätte ich nichts dagegen. Ich stelle nur fest, dass in der Anhörung, die es zu dem Gesetz gegeben hat, die Mehrheit der Sachverständigen, also auch jene, die von der Koalition benannt worden sind, klar gesagt haben, dass das Gesetz in der vorliegenden Form schlichtweg verfassungswidrig ist, weil es den Grundrechtsschutz nicht gewährleistet, weil kein Hinweis auf den Artikel zehn des Grundgesetzes im Gesetz zu finden ist.
Und wenn man künftig Journalisten, wenn man künftig Abgeordnete anderer Länder, wenn man Geistliche, kirchliche Würdenträger abhören kann, all das ist nicht ausgeschlossen in diesem Gesetz, dann weiß ich nicht, was man noch machen muss. Die Koalition weiß, dass dieses Gesetz nicht halten wird in Karlsruhe beim Verfassungsgericht. Sie weiß, dass die Opposition ...
"Eine Klage ist dringend notwendig"
Kaess: Werden Sie klagen, Herr Hahn?
Hahn: Wir möchten gerne klagen. Die Koalition weiß aber, dass im Moment Grüne und Linke zusammen nicht das notwendige Quorum nach dem Grundgesetz haben. Wir brauchen 25 Prozent der Stimmen im Bundestag, wir haben nur 20 Prozent zum jetzigen Zeitpunkt. Das heißt, eine Klage wird frühestens in der nächsten Legislaturperiode möglich sein. Sie ist dringend notwendig. Das Gesetz wird kassiert werden von den Verfassungsrichtern. Aber bis dahin wird es angewandt und die Koalition hat nach der Anhörung gesagt, egal was die Sachverständigen uns hier gesagt haben, wir ziehen das durch. So sollte man mit dieser sensiblen Materie nicht umgehen. Und wer das macht, der hat aus den Enthüllungen von Edward Snowden wirklich nichts gelernt, denn wir brauchen nicht mehr Überwachung, sondern wir brauchen mehr Bürgerrechte und eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste.
"Wir brauchen dieses Amt überhaupt nicht in deser Form"
Kaess: Es ist ja die Frage, ob es tatsächlich um mehr Überwachung geht. Ich möchte da noch mal nachfragen bei Ihrer Kritik an den zusätzlichen Kontrollinstanzen. Da haben Sie sich auch auf den ständigen Bevollmächtigten bezogen. Der ist jetzt von der Union vorgeschlagen worden. Es ist der Jurist und CDU-Politiker Arne Schlatmann, bisher im Bundesinnenministerium für Terrorismusbekämpfung zuständig. Warum sollte der verkehrt sein in diesem Amt?
Hahn: Wir brauchen dieses Amt überhaupt nicht in dieser Form und da geht es mir gar nicht um die Person. Ich kann ihn nicht persönlich beurteilen. Das ist für mich auch gar nicht die Frage. Aber glauben Sie ernsthaft, dass ein Beamter aus dem Innenministerium, wo beispielsweise sein Vorgesetzter Herr de Maizière ist, dass der künftig aufdecken wird, wenn die Regierung Fehler macht und sein früherer Dienstherr möglicherweise dann den Hut nehmen muss, weil dort gravierende Pannen passieren? Das wird nicht geschehen. Das sagt alle Erfahrung und von daher ist diese zusätzliche Instanz aus unserer Sicht nicht nötig.
Und es gibt auch keine Kapazitätsbegrenzung mehr für abgehörte Telekommunikationsleitungen.
Früher gab es Grenzen, die gesetzt worden sind, die auch im G10-Gesetz stehen. Die gelten jetzt nicht für den BND und da sehe ich einfach nicht, dass da eine Stärkung erfolgt.
Kaess: Die Kritik war das am neuen BND-Gesetz von Andre Hahn von der Linken. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages. Danke schön für dieses Interview heute Morgen, Herr Hahn.
Hahn: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.