Er würde gern wissen, was im Detail mit den Amerikanern damals verabredet wurde, als Außenminister Frank-Walter Steinmeier Chef des Bundeskanzleramts war, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach.
Die Parlamentarier müssten darauf vertrauen können, dass sie die Unterlagen mit den Listen von Suchbegriffen des US-Geheimdienstes NSA erhielten. Er habe den Eindruck, sie bekämen nur die Informationen, die man ihnen geben möchte und nicht die Informationen, die man ihnen geben müsste.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Die Affäre um die mögliche langjährige Zusammenarbeit von BND und NSA, die zieht jeden Tag weitere Kreise. Einige große Fragen tun sich auf, unter anderem die, wie intensiv die Kooperation der beiden Geheimdienste war, und auch, wie gut das Kanzleramt darüber informiert war. Für Streit sorgt vor allem eine geheime Liste mit Suchkriterien, die im Kanzleramt liegt. Sigmar Gabriel fordert Einsicht in diesen Ordner, zumindest für die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Am Telefon ist jetzt Wolfgang Bosbach von der CDU. Er ist der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Bosbach.
Am Telefon ist jetzt Wolfgang Bosbach von der CDU. Er ist der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Bosbach.
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Bosbach, wir reden jetzt viel über diese Selektorenliste heute Morgen. Was sagen Sie denn? Muss Frau Merkel diese Liste rausgeben?
Bosbach: Diese Liste müssen wir kennen, den Inhalt der Liste, um unserer parlamentarischen Kontrolltätigkeit nachgehen zu können, denn eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste kann ja nur dann stattfinden, wenn wir den Sachverhalt komplett kennen. Im Moment stützen wir uns auf die einschlägige Medienberichterstattung, aber wir brauchen natürlich auch die Original-Unterlagen.
Ob diese Liste herausgegeben werden kann, hängt natürlich auch davon ab, welche Vereinbarungen denn mit den Vereinigten Staaten von Amerika durch die damalige rot-grüne Bundesregierung nach den dramatischen Geschehnissen vom 11. September geschlossen worden sind. Es gibt ein Memorandum of Agreement und das ressortiert noch in der Verantwortung des damaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier, und dieses Agreement regelt die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste. Aber wir müssen uns darauf verlassen können, wir müssen darauf vertrauen können, dass wir als Parlamentarier die Informationen und Unterlagen bekommen, die wir bekommen müssen, damit die Kontrolltätigkeit ausgeübt werden kann.
"Nachrichtendienste operieren nicht im rechtsfreien Raum"
Armbrüster: Das heißt aber auch, wenn ich Sie da richtig verstehe, Sie sagen: Egal was die Amerikaner sagen, letztendlich müssen wir Einsicht haben in diese Liste?
Bosbach: Nein. Ich möchte gerne wissen, was im Detail mit den Amerikanern da eigentlich verhandelt, besprochen und verabredet worden ist. Das ist doch ein wichtiger Punkt. Hier geht es ja um die Beantwortung der Frage, ob auch der Bundesnachrichtendienst nach Recht und Gesetz gehandelt hat, und auch eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten von Amerika kann an dieser rechtlichen Bindung der Arbeit der Nachrichtendienste nichts ändern. Nachrichtendienste operieren nicht im öffentlichen Raum, das stimmt, also unter der ständigen Beobachtung der Öffentlichkeit. Aber sie operieren nicht im rechtsfreien Raum. Ich verweise hier einmal auf die einschlägigen Regelungen im G10-Gesetz. Dort gibt es ja auch Bestimmungen, die ganz präzise darlegen, unter welchen Voraussetzungen personenbezogene Daten erhoben und auch weitergegeben werden dürfen. Das heißt, die Kooperation mit anderen Nachrichtendiensten, die ist ja nicht verboten, aber sie muss rechtskonform geschehen.
"Zur Aufklärung des Sachverhaltes brauchen wir alle Informationen und Unterlagen"
Armbrüster: Und das würde dann heißen, wenn es eine solche Regelung gebe, dass hier letztendlich auch das Parlamentarische Kontrollgremium nicht mehr weiterarbeiten könnte, dass dort die Kontrolle enden würde.
Bosbach: Wissen Sie, über die Möglichkeiten und Grenzen der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste sprechen wir ja schon seit Jahren. Ich habe schon seit Jahren die Befürchtung, dass wir im Zuge dieser Arbeit, obwohl ich dem edlen Gremium persönlich noch nie angehört habe, nur die Informationen bekommen, die man uns geben möchte, und nicht die Informationen, die man uns eigentlich geben müsste, damit wir den Sachverhalt komplett und abschließend beurteilen können. Es wird ja immer und zurecht gesagt, erst den Sachverhalt aufklären, dann eine Bewertung vornehmen und möglicherweise Konsequenzen ziehen. Das ist die richtige Reihenfolge. Aber zur Aufklärung des Sachverhaltes brauchen wir alle Informationen und Unterlagen, die wir haben müssen, um eine vollständige Bewertung vornehmen zu können.
Armbrüster: Sie haben jetzt gesagt, man gibt Ihnen nicht die richtigen Unterlagen. Wer ist man?
Bosbach: Man sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Zugang zu diesen Unterlagen haben. Das ist in erster Linie der Bundesnachrichtendienst und dann haben wir eine ganze Fülle von Verantwortlichen darüber. Das gilt für den Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, das gilt für den zuständigen Staatssekretär, das gilt für den Chef des Bundeskanzleramtes, all diejenigen, die die Fachaufsicht über den BND haben.
Armbrüster: Höre ich da jetzt deutliche Kritik an den Mitarbeitern des Kanzleramtes heraus?
Bosbach: Nein, die hören Sie deshalb schon nicht heraus, weil sich das Kanzleramt ja redlich darum bemüht abzuklären, was heute - der Punkt steht beim Parlamentarischen Kontrollgremium auf der Tagesordnung, auch im Innenausschuss des Bundestages - den Abgeordneten an Informationen erteilt werden kann.
"Das ist ja kein Zwei-Mann-Betrieb, wo jeder genau weiß, was der Kollege macht"
Armbrüster: Lassen Sie uns mal auf den BND blicken. Wie hilfreich war denn BND-Chef Gerhard Schindler bislang bei der Aufklärung dieses ganzen Sachverhaltes?
Bosbach: Ich bin gar nicht sicher, ob auch Herr Schindler alles weiß, was er wissen müsste. Wahrscheinlich wird auch er sich zunächst einmal darum bemüht haben, alle Unterlagen aus seinem Hause zu bekommen, alle Vermerke, die angelegt worden sind, alle Aktenstücke, um sich einen kompletten Überblick verschaffen zu können.
Armbrüster: Dann ist er möglicherweise auch aus dem Schneider.
Bosbach: Das sind ja riesige Behörden. Das ist ja kein Zwei-Mann-Betrieb, wo jeder genau weiß, was der Kollege macht. Das sind Behörden mit mehreren Tausend Mitarbeitern im In- und Ausland und für mich ist immer entscheidend, dass keiner in diesen Behörden erstens denkt, ich weiß etwas, was Du nicht weißt - so kann man nicht arbeiten -, oder zweitens, wir müssen alles tun, damit das, was möglicherweise oder tatsächlich schiefgelaufen ist, nicht herauskommt. Wenn so gedacht wird, dann können wir Parlamentarier unserer Kontrollpflicht nicht nachkommen.
Armbrüster: Was schlagen Sie dann vor? Da müsste ja grundsätzlich etwas reformiert werden.
Bosbach: Unabhängig jetzt von den aktuellen Ereignissen, die rückhaltlos aufgeklärt werden müssen, stellt sich die ganz grundsätzliche Frage, ob die Kolleginnen und Kollegen, die im Parlamentarischen Kontrollgremium tätig sind und die diese Tätigkeit ausüben neben ihren üblichen parlamentarischen Aufgaben, diese Arbeit wirklich erfüllen können, oder ob wir nicht eine Art Beauftragten für die Nachrichtendienste bekommen müssen, der mit einem eigenen Mitarbeiterstab andere Möglichkeiten hat, zum Beispiel kontinuierlich Akten beim BND einzusehen, und nicht darauf angewiesen zu sein, was man uns von dort berichtet.
"Mitarbeiter sind an Recht und Gesetz gebunden"
Armbrüster: Brauchen wir möglicherweise auch härtere Sanktionen für beispielsweise BND-Mitarbeiter, die in diesem Ausschuss, sagen wir mal, nicht ganz mit der Wahrheit rausrücken?
Bosbach: Wissen Sie, wir haben ja auch einen NSA-Untersuchungsausschuss. Da gilt das Strafprozessrecht. An strafrechtlichen Sanktionen, wenn dort nicht die Wahrheit gesagt wird, fehlt es nun wirklich nicht. Wir haben auf der einen Seite ja die Dienstbeziehung und selbstverständlich gilt da nicht Freistil, sondern die Mitarbeiter sind an Recht und Gesetz gebunden und sie müssen ihre Dienstpflichten erfüllen. Und vor dem NSA-Untersuchungsausschuss gilt ohnehin die Wahrheitspflicht. Übrigens für mich gilt die Wahrheitspflicht auch dann, wenn nicht nach den Regeln der Strafprozessordnung verhandelt wird.
Armbrüster: Sie haben jetzt gerade schon gesagt, dass möglicherweise die Spitzen dieser Behörden, also sowohl beim BND als auch im Kanzleramt, nicht immer ganz genau informiert werden darüber, was die einzelnen Mitarbeiter da machen. Ist das nicht verwunderlich bei einer so bedeutenden Sache wie dem Ausspionieren von EU-Partnern und von großen Wirtschaftsunternehmen?
Bosbach: Das unterstellen Sie jetzt und mit dieser Unterstellung wäre ich vorsichtig, denn ich habe vorhin gesagt, die richtige Reihenfolge ist Sachverhalt komplett kennen, dann eine Bewertung vorzunehmen. Vor einigen Tagen hat es ein Interview gegeben mit dem Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, der zunächst massive Vorwürfe erhoben hat und dann gesagt hat im selben Interview, wenn der BND Suchbegriffe ohne Prüfung eingespeist hat. Das heißt, erst hat er behauptet, es sind massive Fehler gemacht worden, und dann hat er gesagt, das müssen wir mal prüfen, ob es tatsächlich so war. Das gilt übrigens für uns Parlamentarier generell. Wenn es um einen formalen Prozess geht, sagen wir immer, erst Beweisaufnahme, dann Plädoyer, Würdigung und dann das Urteil. In der politischen Debatte wird es oft umgekehrt gemacht. Da kommt der Ruf nach Konsequenzen und der Ruf "Skandal", dann kommt im Nebensatz, aber jetzt müssen wir uns mal um die Aufklärung des Sachverhaltes bemühen. Umgekehrt wäre besser.
Armbrüster: Wolfgang Bosbach, der CDU-Innenpolitiker und Vorsitzende im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Vielen Dank für das Interview heute Morgen.
Bosbach: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.