"Die Bundesregierung gibt immer das zu, was bereits bekannt ist", so das Fazit von Bernd Riexinger. Deshalb sei jetzt eine völlig lückenlose Aufklärung und die Offenlegung der Selektoren notwendig. "Es muss endlich aufhören, dass sich der BND benimmt wie eine Unterabteilung der NSA."
Er habe von Anfang an den Rücktritt von BND-Chef Gerhard Schindler gefordert, unterstrich Riexinger. Außerdem sei das Bundeskanzleramt betroffen. Wenn Innenminister Thomas de Maizère die Unwahrheit gesagt habe, dann sei er nicht länger tragbar. Die offenen Fragen müssten vor dem NSA-Untersuchungsausschuss geklärt werden. Dabei müssten die Befragten unter Eid aussagen - auch die Bundeskanzlerin.
"Es kann ja nicht sein, dass wir hier den größten Geheimdienstskandal der letzten Jahre, vielleicht sogar der letzten Jahrzehnte haben, und die Kanzlerin schweigt", sagte Riexinger. Wenn sich der Verdacht bestätige, dass de Maizière gelogen habe, dann müsse er den Hut nehmen.
Offensichtlich gebe es auch eine gewisse Kumpanei zwischen Bundeskanzleramt und BND oder der BND halte es nicht für notwendig, das Bundeskanzleramt richtig zu informieren. Deshalb müsse der Geheimdienst erheblich eingeschränkt werden. Riexinger forderte auch, die parlamentarische Kontrolle personell besser aufzustellen. Ein Bundesgeheimdienstbeauftragter sei nötig.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Immer neue Details zeigen, wie unbeobachtet der Bundesnachrichtendienst jahrelang seine Freundschaft zur NSA pflegen konnte. Im Auftrag der Amerikaner soll der BND die Kommunikation europäischer Politiker, Institutionen und gar Firmen wie Airbus bespitzelt und die Daten regelmäßig über den Atlantik geschickt haben. Dafür gab es eine Art Bestellliste, eine Liste mit Stichworten, den sogenannten Selektoren. Doch nicht nur das: Waren die Daten erst einmal gesammelt, sollen die Agenten des BND sie angeblich auch selbst genutzt haben. Geheimsache Geheimdienste - wusste das Kanzleramt davon, oder wusste es nichts? In beiden Fällen dürfte es allmählich ungemütlich für die Bundesregierung werden, die seit Monaten Aufklärung und Verbesserungen verspricht. Selbst die eigenen Fraktionen werden ungeduldig, wie hier Patrick Sensburg von der CDU und der Sozialdemokrat Christian Flisek aus dem NSA-Untersuchungsausschuss.
O-Ton Patrick Sensburg: "Wir müssen jetzt genau hinschauen, ob wirklich mehrere Jahre eine größere Zahl von Selektoren mit aktiv waren, die deutsche Interessen betreffen. Dann muss gefragt werden, wenn das so ist, wer hat zu welchem Zeitpunkt davon gewusst. Das werden wir bereits am Donnerstag versuchen, herauszubekommen."
O-Ton Christian Flisek: "Und deswegen darf sich die Kanzlerin auch nicht wegducken, sondern sie muss ein sehr klares Wort mit den Amerikanern hier führen und sie muss vor allen Dingen sicherstellen, dass die Aufsicht über die Geheimdienste funktioniert. Alles andere wäre gegen deutsche Interessen und das ist nicht hinzunehmen."
Dobovisek: Am Telefon begrüße ich jetzt Bernd Riexinger, den Bundesvorsitzenden der Linkspartei. Guten Morgen, Herr Riexinger.
Bernd Riexinger: Guten Morgen.
"Das glaube ich nicht, dass das eine legale Handlung war"
Dobovisek: Gegen deutsche Interessen, hören wir als Stichwort, politische und Wirtschaftsspionage unter Freunden in Europa. Hat der Bundesnachrichtendienst Landesverrat begangen?
Riexinger: Ja, das ist zu vermuten. Ich meine, man spioniert nicht die eigenen Firmen aus für den Geheimdienst eines anderen Landes und man spioniert auch nicht Firmen und Politiker befreundeter Staaten aus. Das glaube ich nicht, dass das eine legale Handlung war, sondern dass das in hohem Maße eine Strafhandlung war.
Riexinger: Eine Strafhandlung, ein schweres Vergehen, ein Verbrechen. Wer muss dafür bezahlen?
Riexinger: Es müssen erst mal einerseits die Verantwortlichen im BND geklärt werden. Ich habe ja schon von Anfang an den Rücktritt von Herrn Schindler gefordert, weil es kann ja nicht sein, dass er entweder nicht Bescheid weiß, was sein Geheimdienst macht. Dann ist er überfordert, den BND zu leiten. Oder er weiß Bescheid, dann wurden mit seinem Wissen illegale Dinge getan und beides muss personelle Konsequenzen haben. Aber inzwischen ist natürlich in hohem Maße das Bundeskanzleramt betroffen.
Dobovisek: Dort auch personelle Konsequenzen, Herr Riexinger?
Riexinger: Ich glaube, wenn sich bestätigt, dass Herr de Maizière die Unwahrheit gesagt hat - es gab ja mehrere Anfragen vor dem Parlament, wo deutlich gesagt wurde von Regierungsseite, es hat kein Ausspionieren von Firmen und Politikern stattgefunden, also es wurde nicht spioniert. Wenn ein Politiker vor dem Parlament die Unwahrheit sagt und die Verantwortung hat, die politische Verantwortung hat, dann ist er nicht länger tragbar. Das muss jetzt geklärt werden vor dem NSA-Untersuchungsausschuss und da müssen alle Kanzleramtsminister der letzten Jahre unseres Erachtens unter Eid aussagen.
Dobovisek: Auch die Kanzlerin?
Riexinger: Die Kanzlerin muss auch aussagen. Ja, sie muss zumindest auch mal eine Regierungserklärung abgeben. Es kann ja nicht sein, dass wir hier den größten Geheimdienstskandal der letzten Jahre, vielleicht sogar der letzten Jahrzehnte haben, und die Kanzlerin schweigt.
"Es besteht der erhebliche Verdacht, dass Herr de Maizière gelogen hat"
Dobovisek: Wenn Sie wollen, dass die Kanzleramtsminister und auch die Kanzlerin unter Eid im Untersuchungsausschuss aussagen, heißt das, Sie gehen davon aus, dass die Regierung bisher gelogen hat?
Riexinger: Na ja. Es besteht zumindest der erhebliche Verdacht, dass Herr de Maizière gelogen hat, wenn sich die Mutmaßungen bestätigen sollten. Es scheint mir ja völlig sicher zu sein, dass Firmen ausspioniert wurden, dass Politiker ausspioniert wurden, dass hier dem NSA die entsprechenden Daten mithilfe des BND zur Verfügung gestellt wurden. Wenn sich das als wahr herausstellt, dann muss auch Herr de Maizière die Konsequenzen tragen.
Dobovisek: Die Linkspartei droht mit einer Klage, habe ich am Wochenende gelesen. Dabei will die Bundesregierung, so sagt sie es jedenfalls, aufklären und Konsequenzen ziehen, die Kontrolle der Geheimdienste verbessern. Was muss sie am Mittwoch im parlamentarischen Kontrollgremium und am Donnerstag dann im Untersuchungsausschuss auf den Tisch legen, damit Sie nicht klagen, Herr Riexinger?
Riexinger: Ob sie wirklich will, wird sich erst noch zeigen. Bisher haben wir ja gesehen, dass die Bundesregierung immer das zugibt, was bereits öffentlich bekannt ist, aber für eine lückenlose Aufklärung bisher nicht gesorgt hat. Es muss natürlich eine völlig lückenlose Aufklärung erfolgen. Es müssen auch die Selektoren offengelegt werden. Da habe ich ja jetzt bisher nur gelesen, dass man vorher den NSA fragen will, ob man das darf. Es muss endlich aufhören, dass sich der BND benimmt wie eine Unterabteilung des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes.
Dobovisek: Was würden Ihnen diese Selektoren bringen? Es geht doch ums Prinzip, und das ist ja sehr eindeutig.
Riexinger: Da haben Sie vollkommen recht. Es würde bringen, dass man das Ausmaß des Ausspionierens sehen könnte, dass man nachvollziehen könnte, wer überhaupt unter diese ganzen Bespitzelungen gefallen ist. Aber Sie haben vollkommen recht: Das Prinzip geht nicht. Es geht nicht, dass eigene Firmen ausspioniert werden. Es geht nicht, dass Politiker ausspioniert werden. Und ich glaube auch, dass wir uns keinen Gefallen in der Europäischen Union damit getan haben, befreundete Staaten auszuspionieren. Frankreich hält sich bisher vornehm zurück, aber ich kann mir vorstellen, dass hinter den Kulissen die Politiker dort nicht besonders erfreut sein werden über diesen Vorfall.
"Es ist völlig offensichtlich, dass der BND ein Eigenleben führt"
Dobovisek: Ganz offensichtlich reicht die Kontrolle der Geheimdienste durch Kanzleramt und Parlamentarisches Kontrollgremium nicht aus. Wie muss sich diese Kontrolle verbessern?
Riexinger: Ich glaube ja sowieso, dass die Geheimdienste erheblich eingeschränkt werden müssen, man dort genauer definieren muss, was man überhaupt benötigt. Aber es ist völlig offensichtlich, dass der BND ein Eigenleben führt, das sich der politischen Kontrolle entzieht, dort der Geheimdienst meint, er kann machen was er will, er muss sich nicht mehr politisch rechtfertigen.
Dobovisek: Das haben wir verstanden. Aber wie muss sich das verbessern?
Riexinger: Na ja. Es muss erst mal alles offengelegt werden. Der Ausschuss oder die Kontrolle, die parlamentarische Kontrolle muss personell besser ausgestattet werden, damit es überhaupt möglich ist, die vielen Dinge, die dort gemacht werden, nachzuvollziehen. Und es muss natürlich auch dort dem Parlament offengelegt werden, was getan wird, wo eben nicht ganz elementare Geheimnisse betroffen sind.
Dobovisek: Wie kann ein Geheimdienst ein Geheimdienst sein, wenn er seine Geheimnisse mit dem Parlament immer teilen muss?
Riexinger: Na ja, das kann er nicht immer. Dafür haben wir ja die entsprechenden Ausschüsse. Aber offensichtlich reichen denen ihre personellen und sonstigen Möglichkeiten nicht aus, den Geheimdienst tatsächlich zu beaufsichtigen.
"Offensichtlich gibt es ja auch eine gewisse Kumpanei"
Dobovisek: Was brächte dann mehr Personal, Herr Riexinger, wenn das Personal die Ohren zumachen muss?
Riexinger: Ich habe ja gesagt, es müssen hier personelle Konsequenzen erfolgen. Wenn jeder Präsident des BND machen kann was er will und das hat keine Konsequenzen oder hat keine Folgen für ihn, dann werden wir an diesem Zustand nie was ändern. Offensichtlich gibt es ja auch eine gewisse Kumpanei, entweder zwischen dem Bundeskanzleramt und dem BND und der BND-Führung, oder die BND-Führung findet es für völlig normal, dass sie das Bundeskanzleramt nicht richtig informiert und abdeckt, personell verheimlicht, dass hier Dinge passieren, die nicht legal sind. Und ich glaube, wenn das keine personellen Konsequenzen hat, dann wird es ewig so weitergehen.
Dobovisek: Braucht der Bundestag einen Geheimdienstbeauftragten, der alles und auch wirklich alles erfahren darf?
Riexinger: Das glaube ich auf alle Fälle, dass man das braucht. Wir müssen praktisch alle Möglichkeiten erwägen, den Geheimdienst besser zu kontrollieren.
Dobovisek: Linksparteichef Bernd Riexinger bei uns im Deutschlandfunk-Interview über den Geheimdienstskandal um BND und NSA. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Riexinger.
Riexinger: Ich bedanke mich auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.