Archiv

BND-Reform
"Das ist nur eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit"

Die jetzt von der Koalition beschlossene Reform der Geheimdienste sei nur eine Scheinreform, sagte der frühere BGH-Richter Wolfgang Neskovic im DLF. Es fehlten klare gesetzliche Regelungen, was der BND dürfe und was nicht. "Die haben zurzeit einen Freifahrtschein."

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Christine Heuer |
    Wolfgang Neskovic, ehem. Bundesrichter und Rechtspolitiker der Linkspartei
    Wolfgang Neskovic, ehem. Bundesrichter und Rechtspolitiker der Linkspartei (Katja-Julia Fischer)
    Christine Heuer: Eine peinliche Affäre kam dieser Tage ans Licht, der jüngste, kaum der letzte in einer langen Reihe von BND-Skandalen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst soll den französischen Außenminister ausgespäht haben. Fabius' deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier musste dafür heute bei einer Paris-Visite Abbitte leisten. Das war selbstverständlich alles vor den Anschlägen in der französischen Hauptstadt. Zuhause in Berlin einigen sich derweil die Koalitionsparteien darauf, die Regeln für den Bundesnachrichtendienst zu verschärfen.
    Am Telefon ist Wolfgang Neskovic, ehemaliger Bundesrichter, mittlerweile parteiloser deutscher Politiker. Er hat viele Jahre für die Linken im Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste im Bundestag gesessen. Guten Abend, Herr Neskovic.
    Wolfgang Neskovic: Schönen guten Abend.
    Heuer: Reicht aus, was die Koalition jetzt beschlossen hat?
    Neskovic: Nein, das reicht nicht aus. Das ist nach meinem Dafürhalten eine Scheinreform ohne substanziellen Wert, eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Mit diesen Vorschlägen gleicht die Koalition einem Arzt, der einem schwerkranken Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern Linderung oder Heilung verspricht, sich in der Therapie aber darauf beschränkt, die Symptome einer gleichzeitig vorliegenden Erkältung zu behandeln.
    Was erforderlich ist, ist nicht im Gesetz geregelt
    Heuer: Also ein vernichtendes Urteil. Aber immerhin: Es gibt ja klare Verbote. Es soll keine politische Spionage mehr in Europa geben, keine Wirtschaftsspionage, EU-Bürger sollen nur bei Terrorverdacht oder organisierter Kriminalität ausgespäht werden. Das ist doch schon mal was!
    Neskovic: Ja, aber es ist zu wenig und man muss abwarten, weil wir ja noch keine konkreten Gesetzesvorschläge haben, in welcher Form das geschieht, ob das unmittelbar im Gesetz aufgenommen wird, oder ob das nur übers sogenannte Auftragsprofil besorgt wird.
    Heuer: Was ist das eigentlich, das Auftragsprofil? Das ist, was die Bundesregierung möchte. Wie ist denn das beschrieben?
    Neskovic: Ja man muss mal in das Gesetz reinschauen, zum Beispiel ins BND-Gesetz. Da wird dem BND ein Freifahrtsschein für Ausspähtätigkeiten im Ausland erteilt. Es heißt nämlich im Gesetz, der BND sei befugt, Informationen über Vorgänge - ich zitiere wörtlich - im Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik sind, Daten zu erheben, zu verarbeiten und auch zu nutzen. Was außenpolitisch erforderlich ist, ist nicht im Gesetz geregelt. Das entscheidet allein der BND und wenn es mal besonders gut läuft auch die Regierung, nicht jedoch der Gesetzgeber. Das ist aber rechtsstaatlich erforderlich und deswegen kann Herr Schindler auch im NSA-Untersuchungsausschuss sagen, wenn es um die Ausspähung europäischer Institutionen und Regierungen geht, das sei mit dem Gesetz vereinbar.
    Wir brauchen konkrete gesetzliche Regelungen
    Heuer: Das soll ja jetzt verboten werden. Das ist doch ein Riesenfortschritt!
    Neskovic: Ja. Bisher ist das übers Auftragsprofil geregelt worden. Aber wenn man dann gegen das Auftragsprofil der Regierung - das ist praktisch die Auftragslage, wie die Regierung den BND einsetzt bei diesem ganz, ganz weiten Rahmen -, wenn man dagegen verstößt, verstößt man trotzdem nicht gegen das Gesetz. Jetzt bin ich gespannt, ob man das wirklich ins Gesetz aufnimmt, diese Regelung, oder ob man nicht doch - das habe ich heute so vernommen bei der CDU - doch einen weiten Handlungsspielraum schafft und dann praktisch auf der Verwaltungsebene, nicht im Gesetz Kontrollmechanismen einbaut, dass man sagt, zum Beispiel bei bestimmten Tätigkeiten, da muss das Kanzleramt das genehmigen, das muss durch den BND-Chef beschlossen werden. Das heißt, die administrative Ebene wird hier abgefragt, aber nicht die durch das Gesetz. Wir brauchen ganz klare konkrete gesetzliche Regelungen und ich kann nicht erkennen, dass die Koalition wirklich daran geht, ich sage mal, diesem Krebsgeschwür der rechtlichen Grundlagen bei den Nachrichtendiensten ernsthaft therapeutisch zu begegnen.
    Heuer: Da haben Sie aber nur kein Vertrauen, denn die Koalition sagt ja nun, es soll tatsächlich gesetzliche Vorschriften geben.
    Neskovic: Ja, aber ich bin ja nun länger im Bundestag gewesen. Ich habe schon eine Reform bei der parlamentarischen Kontrolle mitgemacht. Ich bin ausgesprochen misstrauisch. Ich bin ziemlich sicher, wenn wir nachher den Gesetzesvorschlag haben, die konkreten Gesetzesformulierungen, dass dann von diesen Absichten wenig übrig bleibt. Die Einschränkungen, die vorgenommen werden könnten, die werden vielleicht in gewissem Umfang da sein, aber ich bleibe bei meinem Bild mit der Erkältung. Es wird eine Beruhigungspille sein, aber das Kernproblem, dieses entgrenzte Recht, das wir zurzeit haben, das wird nicht angegangen werden. Ich lasse mich nicht gerne enttäuschen.
    Das ist nur eine Scheinkontrolle
    Heuer: Die Koalition möchte ja auch die Kontrolle des BND stärken, und zwar durch einen ständigen Bevollmächtigten. Der soll auch einen relativ großen Stab von ungefähr 20 Mitarbeitern bekommen. Ist das auch nur eine Beruhigungspille aus Ihrer Sicht?
    Neskovic: Das ist nicht nur eine Beruhigungspille; das ist sogar eine Katastrophe, weil hier eine Verantwortungsverlagerung stattfindet. Bei der Geheimdienstkontrolle begegnen wir folgendem parlamentarischen Phänomen: Ein Abgeordneter, der wirklich Kontrolle ausüben will, muss sehr viel arbeiten und bekommt nicht das, worauf er eigentlich großen Wert legt, auch zurecht, nämlich öffentlichen Applaus, weil er wegen der Geheimhaltungspflicht schweigen muss. Das ist für einen Politiker die Höchststrafe, viel zu arbeiten und wenig oder gar keinen Applaus zu haben. Häufig ist es ja umgekehrt, dass man bei wenig Arbeit es versteht, die Sache so zu inszenieren, dass man auch Applaus bekommt. Man muss sich vor Augen führen: Die parlamentarische Kontrolle ist im Grundgesetz geregelt. Das ist eine Kernaufgabe des Parlaments. Und die jetzt auf einen Beauftragten zu delegieren, der zum Beispiel nicht wie der Wehrbeauftragte oder die Drogenbeauftragte in die öffentliche Diskussion sich einmischen kann, weil ja die Geheimhaltungspflicht ihn daran hindert, dort das zu verlagern, das Schwergewicht der Kontrolle dort anzusiedeln, ist völlig verfehlt. Niemand kommt auf die Idee, bei der Haushaltskontrolle einen Haushaltsbeauftragten zu fordern, aber hier ist dieses besondere Phänomen, das ich eben beschrieben habe, und das macht es für einen Parlamentarier verführerisch, diese Verantwortungsdelegation vorzunehmen und der Öffentlichkeit zu sagen, da werden jetzt Mitarbeiter zur Verfügung gestellt, da wählen wir uns eine kluge Person des öffentlichen Vertrauens, und dann ist es auch wieder nur eine Scheinkontrolle und keine substanzielle Kontrolle.
    Lobbyisten haben dem Gesetzgeber die Hand geführt
    Heuer: Herr Neskovic, wenn ich das mal resümiere, worüber wir jetzt gesprochen haben, dann sind Sie der Meinung, das, was da jetzt überlegt und möglicherweise auf den Weg gebracht wird, das bringt alles nichts. Man kann sich aber umgekehrt auch fragen, was ein Geheimdienst eigentlich noch leisten kann, der extrem an die Kette gelegt wird.
    Neskovic: Es geht gar nicht um das extrem an die Kette legen, sondern es geht darum, in einer parlamentarischen Demokratie sich darüber im Klaren zu sein, dass ein Geheimdienst, der ja im Heimlichen arbeitet - das ist schon vom Grundsätzlichen demokratiewidrig; ich halte das dennoch für notwendig. Aber gerade deswegen ist eine Kontrolle umso erforderlicher, auch aus rechtlicher Sicht, aus grundgesetzlicher Sicht ihn in Kontrolle zu nehmen. Und man kann im Rechtsstaat nicht alles machen, was man gerne möchte, sondern gerade wenn es um Grundrechtseingriffe geht, sind dem Grenzen gesetzt. Im Rechtsstaat gibt es Grenzen und diese Begrenzungsfunktion, die ist auch bei der bisherigen Gesetzeslage nicht eingehalten. Ich kenne keine Gesetzesmaterie, bei der die jeweiligen Lobbyisten dem Gesetzgeber so sehr die Hand geführt haben wie im Bereich der Nachrichtendienste. Die haben zurzeit einen Freifahrtsschein.
    Heuer: Wolfgang Neskovic, parteiloser Politiker, früher für die Linken im Bundestag, und Geheimdienstexperte ist er auch nach seiner Zeit im Bundestag geblieben. Herr Neskovic, vielen Dank für das Gespräch.
    Neskovic: Ja, ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.