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BND-Spionage-Affäre
"Keine so große Dramatik"

Ob das Kanzleramt Informationen über die Spionageaktivitäten der NSA in Deutschland gehabt habe, werde Innenminister de Maizière in der kommenden Woche im Parlamentarischen Kontrollgremium aufklären, sagte Armin Schuster, Unions-Obmann im Innenausschuss des Bundestages, im DLF. Es könnte sein, dass die USA ihre Freunde zwar ausgespäht hätten, dass der BND dieses Fehlverhalten aber im Griff gehabt habe.

Armin Schuster im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Armin Schuster (CDU), Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestages
    Armin Schuster (CDU), Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestages (dpa / Paul Zinken)
    Eine Information des BND über die US-Spionageaktivität könne als Alarm-Note ans Kanzleramt gegangen sein, oder auf sachliche Weise: Letzteres treffe zu, wenn man die Aktivitäten des US-Geheimdienstes unterbunden habe und die Lage im Griff gehabt habe, sagte Schuster.
    Zuvor hatten "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR berichtet, die Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling sei zum Ausspähen hochrangiger Beamter des französischen Außenministeriums, des Präsidentenpalastes und der EU-Kommission in Brüssel missbraucht worden. Die Medien beriefen sich auf "interne Untersuchungen von Nachrichtendienst und Kanzleramt".
    Schuster kritisierte, tägliche Schüsse ins Blaue beschädigten die Mitarbeiter des BND und auch die Regierungsmitglieder früherer Regierungen. Die USA hätten unter Umständen vorsätzlich gehandelt, der BND hingegen fahrlässig, möglicherweise aufgrund menschlichen Versagens. Schuster wolle personelle Konsequenzen nicht ausschließen, sehe aber "keine so große Dramatik" wie sie in den letzten Tagen suggeriert werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Der Bundesnachrichtendienst soll für den US-Geheimdienst NSA die Daten europäischer Firmen und Politiker ausspioniert haben. In der vergangenen Woche hatte das Kanzleramt eingeräumt, dass es seit spätestens 2008 davon wusste, dass die NSA offenbar europäische Rüstungskonzerne ausspähen wollte. Seitdem spitzt sich der Verdacht immer mehr zu, die Regierung - insbesondere der Bundesinnenminister - habe nach einschlägigen Anfragen der Parlamentarier diesen nicht die Wahrheit gesagt. Der NSA-Untersuchungsausschuss hat gestern weitere Unterlagen vonseiten der Regierung bekommen, um Licht in das Dunkel einer Affäre zu bringen, die der Regierung gefährlich werden könnte.
    Und zu Beginn dieser Sendung habe ich mit Armin Schuster gesprochen. Er ist Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestages und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Das Bundesinnenministerium hat auf Anfrage der Linken also vor zwei Wochen gesagt, es habe keine Hinweise, dass die NSA in Deutschland Spionage betrieben hat; der BND hatte aber schon im März das Kanzleramt zum wiederholten Mal informiert. Ich habe Armin Schuster zuerst gefragt, ob Bundesinnenminister Thomas de Maizière, ob die Bundesregierung gelogen hat!
    Armin Schuster: Ich bin nicht in der Lage, das zu bewerten, weil wir den Bundesinnenminister genau zu dieser Frage erst kommende Woche im Parlamentarischen Kontrollgremium haben. Aber es spricht zumindest etwas dafür, dass das Bundesinnenministerium nicht gelogen hat. Denn das Bundesinnenministerium ist für die Spionageabwehrtätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz zuständig und nicht für den Bundesnachrichtendienst. Von daher gibt es da schon Erklärungsmöglichkeiten. Ob es so ist, weiß ich nicht. Ich bin gespannt, was Thomas de Maizière am kommenden Mittwoch bei uns im Parlamentarischen Kontrollgremium sagen wird, wir haben da eine Sondersitzung genau zu diesem Thema.
    "Das beschädigt mutwillig die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes"
    Kaess: Da können wir gleich noch weiter drauf eingehen. Aber schauen wir mal über das, was durch die Medien geht. Ich zitiere noch mal die "Süddeutsche Zeitung", die sagt, der damalige Kanzleramtschef und heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière wurde im Februar darüber informiert, dass - und ich zitiere das noch mal - die US-Seite versucht, die Erfassung auf Bereiche auszudehnen, die nicht im gemeinsamen Interesse liegen. Es heißt, Einzelheiten wurden Thomas de Maizière offenbar nicht mitgeteilt, allerdings 2010 dann seinem Nachfolger Ronald Pofalla. Wäre das so gewesen, hätte Thomas de Maizière bei dieser Information nicht nachfragen müssen?
    Schuster: Das kommt darauf an, wie diese Vermerke des BND aussehen. Die wollen wir uns vorlegen lassen, den Antrag an die Regierung haben wir auch schon gestellt im Parlamentarischen Kontrollgremium. Sie können ja so einen Vermerk des Bundesnachrichtendiensts alarmierend an das Kanzleramt senden im Sinne von: Ihr müsst diplomatisch tätig werden. Oder Sie können schreiben: Es hat diesen Versuch der USA gegeben, wir haben ihn unterbunden, es sind keine weiteren Maßnahmen notwendig - alles Spekulation. Deswegen wollen wir diese beiden Vermerke sehen. Es ist einfach beides möglich und deswegen sage ich mal ganz offen: Diese täglich neuen Schüsse ins Blaue gegen den BND-Chef, gegen das Kanzleramt, gegen de Maizière, ohne Fakten, ohne Zeugenaussagen, das beschädigt einfach mutwillig im Moment die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. Es beschädigt übrigens auch Regierungsmitglieder früherer Regierungen, ich denke auch an die rot-grüne zwischen 2002 und 2005, da lief das ja auch. Und es beschädigt übrigens auch den Ruf des Untersuchungsausschusses. Ich bin auch in zwei Untersuchungsausschüssen Mitglied oder Mitglied gewesen, da ist die Arbeitsmethodik eigentlich: recherchieren, aufklären, Schaden bewerten und dann Tacheles reden. Im Moment machen wir das alles umgekehrt. Und so beschädigt man sich am besten selbst.
    Kaess: Ja, Herr Schuster, Sie bezeichnen das als Schüsse ins Blaue. Aber es geht ja durchaus um Vermutungen, die sich durchaus bestätigen können, das haben Sie ja selber gerade gesagt. Und dass die Information des BND vorlag, das hat die Regierung ja selbst zugegeben. Also, wenn es nicht eine Lüge war, dann geht es doch um eine krasse Fehleinschätzung?
    Schuster: Das ist ja das, was wir aufklären wollen. Die Frage ist einfach, ob der Bundesnachrichtendienst in seinen Vermerken ans Kanzleramt alarmiert hat oder ob er den Eindruck erweckt hat: Wir haben die Lage im Griff, wir haben es bemerkt, was die Amerikaner wollen. Übrigens, das muss man auch noch mal klarstellen: Vorsätzlich gehandelt haben hier unter Umständen die Amerikaner, aber nicht der BND. Der BND hat unter Umständen fahrlässig aufgrund technischen oder menschlichen Versagens diese Selektoren nicht erkannt, aber ob sie das dem Kanzleramt alarmierend gemeldet haben, das müssen wir herausbekommen.
    "Diese Selektoren auszuwerten ist doch nicht nur etwas Negatives"
    Kaess: Warum hätte denn der BND, wenn er die Lage im Griff gehabt hätte, diese Information überhaupt weitergegeben? Dann wäre das ja gar nicht nötig gewesen!
    Schuster: Na, also, es ist ja eine - ich sage es mal so, jetzt werden wir nachrichtendienstlich: Es ist doch eine interessante Information für einen Nachrichtendienst zu wissen, was einen anderen Nachrichtendienst interessiert. Also, diese Selektoren auszuwerten ist doch nicht nur etwas Negatives, kann doch für den Nachrichtendienst auch eine sehr interessante Information enthalten. Und es ist auch für eine Bundesregierung eventuell interessant zu wissen, welches Land sich für welche Gebiete, Personen interessiert. Das wissen wir nicht, was in dem Vermerk drinsteht, aber es ist eine plausible Erklärung dafür, dass zum Beispiel der BND die Regierung hat wissen lassen wollen: Wir haben das Ganze technisch im Griff, aber vielleicht ist es für euch interessant zu wissen, wofür sich Amerikaner interessieren. Und ob dann diplomatisch gehandelt wurde, das werden wir am Mittwoch im Sondertermin des Parlamentarischen Kontrollgremiums aufklären.
    Kaess: Und wo würde da der Unterschied liegen zwischen einer interessanten Information in diesem Zusammenhang, die aber nicht alarmierend sein sollte?
    Schuster: Na, in dem Fall, wo der BND mir meldet - also an das Kanzleramt -, wir haben dieses Problem technisch im Griff, wir wissen, dass die Amerikaner sich für so etwas interessieren, dann kann es schon für uns interessant sein, das weiter zu beobachten. Denn es zeigt ja auf, wie seriös geht der Partner eigentlich mit seinen Freunden um? Und ob dann nicht die deutschen Regierungen mit ihren Partnern in Europa längst darüber gesprochen haben, das wissen wir nicht. Das sind alles Dinge, die Thomas de Maizière zum Beispiel nicht öffentlich sagen wird, aber er wird sie klarstellen im Untersuchungsausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium, da bin ich ganz sicher.
    Kaess: Aber Herr Schuster, wenn es darum geht, wie seriös gehen die USA mit ihren Partnern in diesem Bereich um, dann ist doch das an sich schon eine alarmierende Information auch für die Bundesregierung?
    Schuster: Das stimmt, das stimmt. Aber das ist immer noch die Frage: Was ist uns wichtiger? In diplomatischen Konsultationen alles offenzulegen und sich verärgert zu zeigen oder die Information zu nutzen und damit umzugehen?
    Kaess: Es ist für mich immer noch nicht klar geworden, dass, wenn Sie sagen, hier liegt eventuell weder Lüge noch Fehleinschätzung vor, welche These dann zutreffen würde?
    Schuster: Die These, dass die Amerikaner tatsächlich mit ihren Freunden nicht so umgehen, wie wir uns das vorstellen, wir dieses Fehlverhalten aber menschlich und technisch in unseren Diensten im Griff hatten und deshalb die Information für uns, was sie da tun, von erheblicher Bedeutung sein könnte.
    "Thomas de Maizière muss jetzt erst mal konkret aufklären"
    Kaess: Also dennoch eine Fehleinschätzung, weil man einfach den Amerikanern in diesem Fall zu sehr vertraut hat?
    Schuster: Nein, der Fachbegriff heißt Gegenspionage. Darüber wird ja oft gesprochen: Ist es nicht notwendig, dass auch wir selbst bei unseren Partnern und Freunden genauer hinschauen, was sie tun? Bei diesem "Genauer hinschauen, was sie tun" musst du ja nicht immer verraten, welche Mittel du dafür anwendest, und das ist eine potenzielle Möglichkeit. Im Übrigen ist auch noch nicht klar - das muss ich Ihnen auch sagen -, ob das Ganze wirklich Wirtschaftsspionage war. Denn Sie wissen, dass es immer Mitarbeiter gibt, auch in Unternehmen, die unter Umständen verstrickt sind in das Thema Proliferation, Brüche von Embargos... Also, es könnte sich am Ende sogar noch erweisen, dass eine einzelne Adresse eines europäischen Unternehmens sogar berechtigt auf dieser Liste drauf war als Selektor, weil der Verdacht besteht, dass ein Unternehmen sich strafbar gemacht hat.
    Kaess: Herr Schuster, muss Thomas de Maizière die Vorwürfe konkret widerlegen, um im Amt bleiben zu können?
    Schuster: Thomas de Maizière muss jetzt erst mal konkret aufklären. Und ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, das meine ich auch ernst: Wir werden aufklären, den Schaden bewerten und dann werden wir über Konsequenzen sprechen. Aber die Union besteht auf diese Reihenfolge, die ich übrigens auch für seriös halte. Die Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste leisten eine hervorragende Arbeit seit Jahren, das sehen Sie daran, dass wir keine Anschläge haben. Und wir müssen die nicht mutwillig beschädigen, bevor wir nicht Genaues wissen.
    Kaess: Ja, die Reihenfolge ist ja in Ordnung, aber dennoch stehen diese Vorwürfe ja im Raum. Deshalb noch mal die Frage: Sollten sie sich bestätigen, müssen personelle Konsequenzen folgen?
    Schuster: Ich würde das nicht ausschließen. Aber ich sehe im Moment die Dramatik so nicht, wie sie im Moment medial diskutiert wird.
    "Die Öffentlichkeit wird auf gar keinen Fall außen vorgelassen"
    Kaess: Die Rechtfertigung von Thomas de Maizière ist ja: Das stammt alles aus geheimem Material, das ist nicht leicht zu beantworten, es seien aber trotzdem nicht wahre Unterstellungen. Wie weit darf man eigentlich gehen mit dieser Geheimhaltung?
    Schuster: Diese Geheimhaltung, da muss man sich sehr strikt dran halten. Ich erinnere mal an den Fall des Ex-Bundesinnenministers Friedrich und sein Strafverfahren: Da sehen Sie, wie die Konsequenzen in einem weit geringer bedeutsamen Fall sein können. Und da er vors Parlamentarische Kontrollgremium am Mittwoch treten wird - er will es ja so schnell wie möglich -, kommt er der Transparenzpflicht, die wir im Parlament vorgesehen haben, erst mal nach. Da sind ja alle Fraktionen vertreten.
    Kaess: Aber Sie sehen schon auf der anderen Seite das Recht der Öffentlichkeit, zu erfahren, ob die eigene Regierung gelogen hat oder nicht?
    Schuster: Ja, natürlich. Natürlich, das ist ja die Transparenz, die wir gewährleisten müssen.
    Kaess: Uns so weit darf die Geheimhaltung dann auch nicht gehen?
    Schuster: Nein. Geheimhaltung heißt nur: Er muss sich an die Vorschriften halten. Und wie wir im Parlamentarischen Kontrollgremium danach damit umgehen, das entscheiden wir am Mittwoch. Und Sie werden mit absoluter Sicherheit Pressekonferenz oder Pressestatements hören, auch Prokura, die das Parlamentarische Kontrollgremium dem Bundesinnenminister geben kann in einem bestimmten Umfang, und dann wird die Öffentlichkeit auf gar keinen Fall außen vorgelassen!
    Kaess: Diese Zusage gibt Armin Schuster, Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestages, und der ist auch Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.