"Jetzt ist der Punkt, wo man sagen muss: Der Mann muss hierher", sagte Göring-Eckardt über Edward Snowden. Sie empfehle der Bundesregierung, den ehemaligen NSA-Mitarbeiter in Deutschland aussagen zu lassen, sagte Göring-Eckardt. Er sei für den NSA-Untersuchungsausschuss "extrem wichtig". Seit mehr als einem Jahr seien die USA Aufklärung in der NSA-Ausspähaffäre schuldig.
Deutschland könne offensichtlich nicht auf die Zusammenarbeit mit den USA zählen. Vielmehr liefere der Fall des BND-Mitabeiters, der auch für die US-Geheimdienste tätig gewesen und vertrauliche Dokumente weitergegeben haben soll, jetzt Anhaltspunkte für weiterer Ausspähungen durch die USA. Dies berechtige in jedem Fall dazu, gegenüber den USA deutlich zu machen, dass Deutschland sich Informationen über die Überwachung durch die NSA auch auf anderem Wege einholen könne.
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Auch am Wochenende hat sich die Empörung in der deutschen Politik nicht gelegt - die Empörung darüber, dass ein BND-Mitarbeiter für US-Geheimdienste spioniert haben soll. Neben der NSA womöglich auch für die CIA, wie die "Bild"-Zeitung zumindest heute berichtet. Am Telefon ist nun die Fraktionschefin der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt.
Katrin Göring-Eckardt: Frau Engels, guten Morgen.
Engels: Telefonieren Sie mittlerweile nur noch verschlüsselt und meiden jeden Kontakt zum BND?
Göring-Eckardt: Ich telefoniere noch nicht verschlüsselt, muss man vielleicht sagen, und ich vermeide auch den Kontakt zum BND nicht. Aber ehrlich gesagt komme ich mir vor wie in einer falschen Welt. Ich bin ja in der DDR groß geworden und habe so das Gefühl, wir sind für die Freiheit und gegen die Staatssicherheit auf die Straße gegangen und jetzt ist man irgendwie mit der NSA und mit der Totalüberwachung wieder aufgewacht.
Engels: Thomas de Maizière von der CDU fordert rasche Antworten der USA. Die "Bild"-Zeitung berichtet heute, der Bundesinnenminister wolle darüber hinaus den Aufklärungsauftrag der deutschen Dienste auf die USA ausweiten. Eine gute Idee?
Göring-Eckardt: Na ja, das ist so ein bisschen schlägst Du meine Tante, schlage ich Deine Tante. Ich glaube, vor allen Dingen muss man jetzt aufklären. Vor allen Dingen müssen die USA jetzt bereit sein, tatsächlich zu sagen, was los ist und was die Argumente sind, was die Motivation ist, und da kommt es erst mal darauf an, dass wir sehr ernsthaft sagen, dass wir das wollen. Ich erinnere mich, als das Handy der Kanzlerin abgehört worden ist, dann hieß es, das geht unter Freunden gar nicht. Dann ist aber nichts weiter passiert. Dann stand man gemeinsam, Herr Obama, Frau Merkel, im Rosengarten und hat dann nicht weiter darüber gesprochen und seit einem Jahr, seit über einem Jahr gibt es einen Brief an die USA aus Deutschland mit der Bitte, aufzuklären was eigentlich mit der Ausspähung durch den NSA gewesen ist. Der ist nicht beantwortet worden, aber da gibt es auch keinen Aufstand. Ich glaube, die USA müssen schon auch erfahren, dass wir das sehr, sehr ernst meinen, dass wir wissen wollen, was los ist, und dann kommen die nächsten Schritte.
"Wir haben eigentlich ein gutes Verhältnis zu den USA"
Engels: Und wie? Sollte man dann vielleicht überlegen, ihnen auch mit Ausspähung zu drohen?
Göring-Eckardt: Ich finde, unter demokratischen Staaten ist wichtig, dass man Transparenz herstellt, dass man weiß, was los ist, und ich finde nach wie vor, wir haben eigentlich ein gutes Verhältnis zu den USA. Das ist tief erschüttert und ich finde, über nächste Schritte muss man dann auch nachdenken. Aber zunächst erst mal muss man wissen, was ist hier eigentlich genau passiert, und das muss von beiden Seiten passieren.
Engels: Die frühere US-Außenministerin Clinton ist in Berlin und sie hat gestern gesagt, die transatlantischen Beziehungen müssten wieder repariert werden. So weit, so gut. Sie sagt aber auch, ein No-Spy-Abkommen, wie es ja Deutschland zuletzt gefordert hat, würde sie auch ausschließen. Und jetzt?
Göring-Eckardt: Und jetzt sage ich ganz klar, das gehört für mich dazu, dass es ein solches No-Spy-Abkommen zwischen befreundeten Staaten geben muss, wenn man denn miteinander befreundet sein will. Ich finde, daran muss auch gearbeitet werden, und aus meiner Sicht gehört dazu Konsequenz. Wir haben diesen NSA-Untersuchungsausschuss. Da sind offensichtlich auch Daten aus diesem Ausschuss abgefischt worden. Mal unabhängig davon, welche das nun waren und wie wichtig die waren, das finde ich gar nicht das Thema. Das ist passiert und das heißt, wir sind jetzt im Moment auch darauf angewiesen, dass wir alles erfahren. Das mag jetzt ein bisschen eintönig klingen in dem Zusammenhang, aber ich finde, es beweist sich jetzt wieder, dass Edward Snowden und seine Aussage extrem wichtig sind für diesen Ausschuss, weil offensichtlich können wir auf die Zusammenarbeit mit den USA, was diese Ausspähung angeht, was die Ausspähung von unendlich vielen Verbindungsdaten, Telefonaten unendlich vieler Bürgerinnen und Bürger in unserem Land angeht, nicht rechnen, und Edward Snowden hat die Informationen in der Hand.
"Ich empfehle, Snowden hier aussagen zu lassen"
Engels: Das heißt, Sie empfehlen der Bundesregierung als mögliche Antwort auf dieses nun auch mögliche Verhalten der USA, was Spionage angeht, einen Asylantrag für Edward Snowden doch noch mal sich vorzunehmen?
Göring-Eckardt: Ich empfehle, ihn hier aussagen zu lassen und ihm dafür einen gesicherten Aufenthalt zu geben. Das ist der entscheidende Punkt, um den es geht. Und dieser gesicherte Aufenthalt ist nicht derselbe wie ein Asylantrag, aber es ist die Möglichkeit, hier auszusagen und das in Sicherheit zu tun und das zu tun, ohne dass er Gefahr läuft, dann an die Vereinigten Staaten ausgeliefert zu werden. Ich finde, diese Situation, die sich jetzt herausgestellt hat mit dem Agenten, der von dem amerikanischen Geheimdienst angeheuert worden ist, berechtigt auf jeden Fall dazu, auch bei einem Verhältnis zwischen den USA klarzumachen, das wollen wir jetzt wissen. Von euch erfahren wir es nicht. Nein, im Gegenteil: wir haben jetzt noch weitere Anhaltspunkte dafür, dass es noch mehr Ausspähen in Richtung der Bundesrepublik Deutschland gibt. Das, finde ich, ist Grund genug, jetzt noch mal neu darüber nachzudenken und klarzumachen, dieser Mann hat die Informationen in der Hand und wir sollten sie auch uns vornehmen und auch dann herausfinden, was ist da eigentlich alles passiert.
Engels: Haben Sie Hinweise aus der Großen Koalition, dass sich die Politiker in diese Richtung bewegen?
Göring-Eckardt: Erst mal habe ich Hinweise, dass es ganz offensichtlich auch innerhalb der Großen Koalition, auch innerhalb der CDU und der CSU eine große Erschütterung darüber gibt, dass das jetzt eine weitere Dimension hat. Man kommt sich ja vor wie in einem schlechten Spionage-Thriller, nur dass das alles in Wirklichkeit stattfindet. Und das, was Sie von Thomas de Maizière, dem Minister, zitiert haben, zeigt ja auch, dass es eine große Erschütterung gibt. Nun hoffe ich sehr, dass man dann auch bereit ist, etwas zu überdenken, was man bis dahin für selbstverständlich hielt und für unumstößlich, nämlich dass man Edward Snowden nicht befragt. Jetzt ist der Punkt, wo man sagen muss, der Mann muss hier her, man muss ihn hier befragen, man muss ihn hier in einer sicheren Situation befragen können.
"Das hat tatsächlich eine völlig neue Qualität"
Engels: Bundespräsident Gauck sagte in diesem Zusammenhang, falls sich der Verdacht bestätige, müsse klar gemacht werden, jetzt reicht's auch einmal. Stimmen Sie zu, oder geht Gauck zu weit, weil Amerika angesichts internationaler Krisen dann doch unverzichtbarer Partner Deutschlands ist?
Göring-Eckardt: Ja, wir haben eine Westbindung und die USA ist ein ganz zentraler Partner für uns, und darum muss man auch nicht herumreden. Aber gerade wenn man ernsthaft und auf Augenhöhe in einer Partnerschaft miteinander ist, dann muss man auch klare Worte reden. Ich bin sehr froh, dass Joachim Gauck das gemacht hat. Der Bundespräsident hat klar und deutlich gesagt, das geht überhaupt nicht und das muss auch Konsequenzen haben. Das gehört ja dazu. Da geht es nicht um Kleinigkeiten, da geht es nicht um irgendwas, was jetzt auch noch passiert ist, sondern das hat tatsächlich eine völlig neue Qualität, und deswegen bin ich froh, dass der Bundespräsident da auch sehr klare Worte gefunden hat.
Engels: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch und wünsche einen schönen Tag.
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