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"Bodenprobe Kasachstan"

Ein Jahr lang hatten die Theatermacher für "Bodenprobe Kasachstan" Ich-Erzähler gesucht: Tanklastwagenfahrer, Ingenieure, Hausfrauen. Um sie geht es, aber auch um Erdöl in Kasachstan - etwas zu viel für einen Abend.

Von Eberhard Spreng |
    Hoch oben in einem von Norman Foster entworfenen Tower in der kasachischen Hauptstadt Astana kann man seine Hand in den goldenen Abdruck der Präsidentenhand legen und sich dabei etwas Schönes wünschen. Mitten in der kasachischen Steppe ragt der einem Mythos entlehnte Fantasieturm als "Baum des Lebens" in den Himmel. Einheimische nennen ihn übrigens gerne auch Aschenbecher oder UEFA-Pokal. Aber das hindert sie nicht daran, von weit anzureisen, um sich für Augenblicke von dem Zauber einer sehr kindlich anmutenden Manifestierung des plötzlichen Reichtums in den Bann ziehen zu lassen. Astana ist, wie Ölmetropolen auf der arabischen Halbinsel, ein Phantom aus Beton. Und es wäre schon Thema genug für einen Rimini Abend.

    Aber Stefan Kaegi hat in seiner "Bodenprobe Kasachstan" eher der Themen zu viel: Da ist zum einen die Geschichte der Ölbohrungen, von denen der aus Ostdeutschland stammende Gerd Baumann berichtet, der in den 80er-Jahren mit seinem Team damit begann, durch kontrollierte unterirdische Sprengungen sogenannte Öl-Migrationen zu provozieren, um damit die Förderung vorzubereiten.

    Auf einem Hometrainer mit Wattanzeige schreitet er auf der Vorderbühne wacker voran. Gegen Ende hat er so etwa 0,150 Kilowattstunden produziert. Nicht gerade viel im Vergleich zu dem, was an Energie in den 1,6 Litern Rohöl schlummert, die man mit einer Investition von nur einem Eurocent fördern kann, wie der gebürtige Kasache Nurlan Dussali aufklärt, der in Europa einst mit dem Rohstoff getradet hat. Da ist also, wir vermuteten es schon, ein dickes Geschäft zu machen. Dass seine Großeltern ihn gerne in Kasachstan zurück hätten, erfahren wir vor einem der Videos des Chris Kondek, die auf einen breite Bühnenhintergrund projiziert werden. Bilder auch von öden Landschaften, und Fahrten eines Tanklasters, den der Russlanddeutsche Heinrich Wiebe einst in der kasachischen Steppe zwischen Raffinerie und Tankstellen hin und herfuhr. Er steht für einen anderen Themenkomplex, um den es an dem Abend auch gehen soll: Das Drama der von Zarin Katharina der Zweiten im 18. Jahrhundert nach Russland eingeladenen und von Stalin nach Sibirien und Kasachstan verbannten Russlanddeutschen:
    "Alles mussten wir verlassen
    Haus und Hof und Vieh und Land
    Die Felder und die Kirche
    Dort wo unsere Wiege stand"

    In schütteren, verstreuten Bildeinblendungen wird aus den privaten Erinnerungen von der Geschichte der Wolgadeutschen erzählt, auch das eigentlich ein Thema für drei Rimini-Abende. Aber da ist auch noch die Geschichte der in Hannover für eine russische Fluglinie arbeitende Helene Simkin, die wegen der steigenden Preise für Flugbenzin ihre Entlassung befürchtet und Elena Panibratowa, die nach ihrer Ausbildung als Bankkauffrau und Kosmetikerin in Bars auf dem Tresen tanzt.

    Stefan Kaegi, dessen Dokumentartheater man immer zugute halten konnte, dass es gegen die schlampige Reihung von Realitätssplittern, wie sie in Fernsehreiseberichten üblich ist, einen tieferen Einblick in präzise Ausschnitte der Wirklichkeit präsentierte, hat hier nunmehr selbst nur noch ein verstreutes Allerlei zu bieten. Die Poesie der kleinen Dinge, die seine Experten des Alltags auf die Bühne mitbrachten, ihre kleinen Geschichten, aus denen sich das große Ganze ihres Lebens erschloss, die Freude des Zuschauers über das private Ausscheren aus dem Mainstream der Klischees, all das findet diesmal nicht statt. Zu wenig überrascht, was diesmal erzählt wird. Zwischen dem großen Weltthema Erdöl und den individuellen Biografien der Migration zwischen Kasachstan und Deutschland entsteht keinerlei fruchtbare Reibung. Alles in allem nur noch irgendein Abend eines Theatermannes, den sein Erfolg und die ihm zu Gebote stehenden Projektgelder vor sich her zu treiben scheinen.