Das Buch "Die Humusrevolution" ist ein gut lesbares Stück Globalisierungskritik, das die Probleme im Wortsinn an der Wurzel packt, nämlich am Boden. Und so ernst das Thema auch ist, Ute Scheub präsentiert ihre und Stefan Schwarzers Ideen stets mit einem Augenzwinkern und Sinn für Humor:
"Es geht um unser aller Überleben. [...] Wenn die planetarischen Ökosysteme an den Rand des Kollaps geraten, dann sind die weltweiten Ernten und Wasserkreisläufe gefährdet. Um ein altes Sprichwort der Creek abzuwandeln: erst wenn wir die letzte Ackerkrume zerstört, das letzte Grundwasser verbraucht und die letzten Bienen ausgerottet haben, werden wir merken, dass unsere Computer, Smartphones und die ganze chromglitzernde Industrie 4.0 nicht essbar sind. Die gute Nachricht ist: der Klimawandel ist umkehrbar, die Ökosysteme sind heilbar - durch regenerative, aufbauende Methoden der Landbewirtschaftung in Stadt und Land, in Beeten und Äckern."
Und dieses Wunder soll gelingen, indem die Menschheit und namentlich die Landwirte, Förster, Hirten und Gärtner dieser Erde beginnen, Kohlenstoff in den Boden zu bringen. Durch den Aufbau von Humus.
Photosynthese zur Regeneration nutzen
Pflanzen speichern Kohlendioxid aus der Atmosphäre und bilden so Blätter, Früchte und Wurzeln. Wenn sie verrotten, setzen sie wiederum CO2 frei, ein Teil des Kohlenstoffs kann aber als Humus im Boden über Jahrzehnte fixiert werden. Photosynthese heißt die Zauberformel, die die Welt wieder ins Lot bringen kann, so die Autorin Ute Scheub:
"Die Photosynthese holt einfach das CO2 aus der Luft und bringt das in Form von Kohlenstoff wieder in die Erde. Der Boden hat ja einen absoluten Mangel an Kohlenstoff heutzutage, der Humus ist ja quasi in die Luft gegangen durch die massive agroindustrielle Bearbeitung der Böden, da ist der Kohlenstoff oxidiert, und wir müssen den dringend wieder zurückholen, weil wir ihn brauchen."
Zurück in die Palmölplantagen, für die Regen- und Torfwälder gerodet, in die Gen-Soja-Felder, für die humusreiches Steppen- und Weideland umgebrochen, oder in immer neue Siedlungsflächen, für die fruchtbare Ackerböden bebaut wurden. All diese Flächen gilt es mit agrarökologischen Methoden zu regenerieren und nachhaltig zu begrünen, so die Autoren.
Kleinbauer David gegen Goliath Agrarindustrie
Scheub und Schwarzer illustrieren den Kampf um den Boden mit den biblischen Figuren von David und Goliath. Wegweisende Aufforstungsprojekte und Öko-Initiativen, Forscher und Forscherinnen im Verbund mit den zwei Milliarden armen Kleinbauern der Welt - im Buch die Davids - müssen einen mächtigen Gegner bezwingen: die globale Agrarindustrie, die die Welt mit GPS-gesteuerten Monokulturen und Ackergiften überziehen will, die den Kleinbauern ihr Land raubt und von finanzstarken Konzernen sowie den mächtigsten Regierungen der Welt gestützt wird.
"Über Jahrzehnte hat die Goliathisierung der Welt Riesenkonzerne geschaffen, die heute versuchen, die Welternährung zu beherrschen, angefangen vom Saatgut über Kunstdünger, Pestizide und Gentechnik [...]. Dabei geht es gar nicht so sehr um Ernährung [...], sondern um das Abhängigmachen ihrer Kunden und das dauerhafte Sichern von Profiten."
Was wie plumpe Kapitalismuskritik klingt, versuchen die Autoren mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien zu belegen. Zum Beispiel mit dem Weltagrarbericht, demzufolge die Kleinbauern zwei Drittel der menschlichen Nahrung produzieren, obwohl sie dafür nur ein Viertel der weltweiten Ackerflächen nutzen können. Goliaths Rezepte für die Welternährung dagegen, nämlich Kunstdünger und Pestizide, töteten nachweislich das Bodenleben ab. Das hat zur Folge, dass der Boden seine Struktur verliert - er ist dann Wind und Wetter ausgesetzt und erodiert.
Autoren warnen vor sprichwörtlich bodenloser Katastrophe
Laut Welternährungsorganisation FAO weisen die rund fünf Milliarden Hektar Acker- und Weideland heute meist nur noch einen Humusgehalt von ein bis zwei Prozent auf. Eine sprichwörtlich bodenlose Katastrophe bahne sich an, mahnt Scheub:
"Insgesamt ist die Situation tatsächlich sehr dramatisch, ungefähr ein Viertel bis ein Fünftel aller globalen Böden sind degradiert, und wenn wir uns vorstellen, dass die Weltbevölkerung steigt, dann ist absehbar, dass wirklich lokale Hungersnöte entstehen, beziehungsweise zum Teil haben wir die ja auch schon. Damit verbunden ist ja auch noch die Klimakrise, ist auch noch die Wasserkrise, und insofern muss sich da dringend etwas ändern."
"Böden sind auch bei der Neubildung von Trink- und Grundwasser unersetzlich. Degradierte Erde kann weit weniger Wasser aufnehmen als humusreiche mit ihren Milliarden großer und kleiner Poren. Die buchstäbliche Verwüstung der Welt beginnt mit der Verschlechterung der Böden."
Das Buch ist voller Beispiele, wo die Wiederbegrünung von Wüsten und Ödnis funktioniert und die Ernten eindrucksvoll steigen. Humusaufbau könne aber nur mit ökologischen Methoden gelingen, erläutert das Autorenteam. Gestützt wird diese These von der Bewegung Regeneration International, ein Zusammenschluss von Ökoanbauverbänden, Forschungsinstituten, Politikern und Einzelkämpfern aus aller Welt.
"Regeneration International hat sich zum Ziel gesetzt, diese Art von regenerativer Landwirtschaft wirklich weltweit zu propagieren und umzusetzen, einerseits die Praxisebene natürlich, und natürlich auch auf der Forschungsebene, es gibt viel zu wenig Forschung dazu, vor allem zum Humusaufbau."
Humusaufbau könnte auch CO2-Gehalt der Luft verbessern
In Deutschland werden nur zwei Prozent der Agrarforschungsmittel für ökologische Methoden aufgewandt, kritisiert Scheub. Frankreich sei da weiter, auf dem Pariser Klimagipfel hat der französische Landwirtschaftsminister eine Initiative gestartet, die den Boden jährlich mit vier Promille Humus bereichern will. Auch der UN-Klimarat, die Welternährungsorganisation FAO und viele andere Forschungsinstitute haben das Speicherpotential von Böden erkannt und kalkuliert. Die Autoren rechnen vor:
"Ein weltweiter Humusaufbau von nur einem Prozentpunkt könnte 500 Gigatonnen CO2 [...] aus der Atmosphäre holen. Das brächte den heutigen CO2 Gehalt der Luft auf ein weitgehend ungefährliches Maß."
In nur 50 Jahren könnten die CO2-Emissionen auf vorindustrielles Niveau gebracht werden, zitiert das Buch die Non-Profit-Organisation GRAIN. Dafür müsste es allerdings eine Reihe grundlegender Reformen geben. Es scheint daher, dass nur ein gesellschaftlicher Umsturz die Humusrevolution in letzter Konsequenz möglich macht. Die Autoren vertrauen hier auf die Vernunft der Menschheit, da sie nur so überleben könne.
Ute Scheub, Stefan Schwarzer: "Die Humusrevolution. Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen"
Oekom Verlag, 240 Seiten, 19,95.
Oekom Verlag, 240 Seiten, 19,95.