Jürgen Zurheide: Über Helmut Kohl wollen wir reden, er wird heute 80 und wir haben ihn schon an unterschiedlichen Stellen dieses Programmes gewürdigt. Wir wollen es jetzt tun, wir wollen es tun mit zwei langjährigen journalistischen Begleitern, zunächst einmal Friedrich Nowottny, Journalist und ehemaliger Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Guten Morgen, Herr Nowottny!
Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie, Herr Zurheide!
Zurheide: Und Stephan-Andreas Casdorff – Chefredakteur vom "Tagesspiegel" – aus der jüngeren Generation. Guten Morgen, Herr Casdorff!
Stephan-Andreas Casdorff: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Fangen wir an mit Ihnen, Herr Nowottny. Herr Nowottny: Als Helmut Kohl auf der Bonner Bühne aufschlug, da war er ja ein junger Wilder, er kam aus Rheinland-Pfalz, hatte dort ziemlich viel verändert. Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung mit ihm?
Nowottny: Ja, ich erinnere mich gut, die fand allerdings in Mainz statt, die erste Begegnung. Hin und wieder lud er Journalisten zu einem Umtrunk in den wunderbaren Weinkeller der Staatskanzlei ein und zeigte, wie dynamisch er sei und wie sehr er darauf brenne, irgendwann mal den Platz zu wechseln, irgendwann mal in Bonn aufzuschlagen, wie Sie sagen.
Zurheide: Also, das hat er damals schon ganz klar und deutlich gesagt: Ich will Bundeskanzler werden. Ich glaube, diesen Satz haben wir auch heute in der Sendung schon gehört, da hat er nie einen Zweifel dran gelassen.
Nowottny: Na ja, er hat nicht gesagt, ich komme nach Bonn und werde Bundeskanzler, sondern er hat immer wieder zu verstehen gegeben, wie interessant es wäre, doch mal in Bonn zu sein. Er hatte erst den Parteivorsitz, glaube ich, im Auge und den Rest hat er dann für automatisch funktionierend für sich erwartet.
Zurheide: Herr Casdorff, wenn ich Sie jetzt frage als jemand, der in der jüngeren Generation oder aus der Perspektive der Jüngeren ihn beobachtet: Wann haben Sie ihn zuerst erlebt?
Casdorff: Oh ja, Anfang der 80er-Jahre, dann war er ja Kanzler geworden und man muss sich vorstellen, es gibt eine ganze Generation, die heute 40-Jährigen, die ja politisch sozialisiert worden sind mit einem einzigen Kanzler: Helmut Kohl. Manche hatten überhaupt nur einen einzigen Kanzler und das war natürlich auch mein Empfinden. Als ich dann Journalist wurde, hatte ich auch den Eindruck: Es wird niemals ein Ende nehmen. Ganz so ist es ja nicht gekommen, nach 16 Jahren war dann ja doch ein neuer Kanzler da, Gerhard Schröder.
Zurheide: Er wurde ja unterschätzt, das hat er ja selbst in dem Interview, das er der "Bild"-Zeitung heute gegeben hat, noch einmal gesagt: Ich bin immer unterschätzt worden. Herr Nowottny, haben Sie ihn auch unterschätzt oder haben Sie sofort gemerkt, na, da ist einer, der hat schon mehr vor?
Nowottny: Man brauchte nur in seinen politischen Leistungskatalog aus Rheinland-Pfalz schauen, da wusste man, wozu er fähig war. Er hat das Land, ein nahezu verschlafenes Land, modernisiert, er hat die Gemeinschaftsschule in einem gläubig stark geprägten Land … hat er eingeführt, er hat die Bekenntnisschulen abgeschafft, er hat die Altvorderen mit einem unglaublichen Kalkül aus dem Geschäft getrieben, Altmeier, der große Ministerpräsident, ein denkmalähnlicher Mensch – die hat er abserviert. Er ist mit einer neuen, jungen Mannschaft angetreten. Man konnte, wenn man genau hinguckte, schon vorausahnen, was er machen würde und wie er es machen würde.
Zurheide: Und dann kam er auf dieser Bonner Bühne an, Herr Casdorff, und fühlte sich überhaupt … na, ob er sich wohlfühlte, weiß ich nicht, aber er hatte jedenfalls nicht das, was man üblicherweise von einem Politiker diesen Kalibers erwartete. Wie haben Sie ihn da wahrgenommen?
Casdorff: Na ja, man hatte ja Berichte gelesen über seine Zeit in Mainz, wie Herr Nowottny eben erzählt hat, und da war er der schwarze Riese, der große Reformer, mit Menschen umgeben wie Geißler, wie Bernhard Vogel, Hans Schwarz, heute fast vergessene Namen, zum Teil jedenfalls, und enorm reformiert. Er wurde auch damals vom "Spiegel" hofiert übrigens, darf man nicht vergessen. Damals gab es große Berichte, ich erinnere mich an Peter Schille. Also – jedenfalls kam er an mit einem großen Nimbus und ja, dann wirkte er doch gegen den Weltstaatsmann und Weltökonomen Helmut Schmidt irgendwie nicht kimpelig, dann auch seine Sprachfärbung, das war der Heimat geschuldet, aus der er stammt, aber es wirkte eben alles sehr viel bodenständiger, sehr viel schlichter auch.
Zurheide: Und das Verhältnis zu Journalisten war ja dann einigermaßen katastrophal oder entwickelte sich katastrophal. Wie haben Sie das beobachtet?
Casdorff: Oh ja, er hatte immer Witze auf Kosten von Reportern gemacht, das war besonders übel. Also, man kann nicht sagen, dass sein Ton besonders freundlich gewesen wäre. Im Laufe der Jahre ist er, sagen wir mal so, noch strenger geworden. Das hängt auch wahrscheinlich mit dem Empfinden für die eigene Größe zusammen. Wenn du mal Kanzler der deutschen Einheit bist und alle Welt dich würdigt, dann würdigst du dich selber auch. Das hat er sie spüren lassen. Es ging um Journaille, die in den Couloirs, wie er sich ausdrückte sehr feinsinnig, in den Korridoren – aber er meinte eigentlich wahrscheinlich in den Rinnsteinen – warten mussten auf ihn. Das war nicht immer schön, kann ich sagen.
Zurheide: Wie sehen Sie das, Herr Nowottny?
Nowottny: Er hat seit 1976 dem "Spiegel" jedes Interview verweigert, das darf man auch nicht unterschätzen. Welcher Kanzler kann sich das schon leisten? Er hat es sich geleistet. Und er war im Umgang mit Journalisten manchmal von jener aufgesetzten Fröhlichkeit, die signalisierte: Nu kommt her, mit euch werde ich schon fertig, und dann war er störrisch und wütend. In der Zeit, in der die Parteispendenaffäre auf ihn zurollte und von allen jenen kritischen Zeitungen und Magazinen kräftig untersucht wurde – da musste gelüftet werden –, da hat er die Journalisten abgespeist, dass es nur so eine Pracht war. Das können Sie alles heute in Google beobachten, da gibt es einen Zusammenschnitt, ich glaube, in Youtube ist das, gibt es einen Zusammenschnitt dieser Szenen aus der Zeit. Das ist nicht sehr freudig und nicht sehr erregt. Aber man konnte auch mit ihm vernünftig arbeiten. Er hat mich zum Beispiel bei uns in den Interviews nie gefragt: Was werden Sie fragen, nur: das Thema heute – da gab man ein Thema an und dann machte man das. Und meistens war es zu lang, wir haben es dann geschnitten – er hat nicht gemosert.
Zurheide: Dann gab es diese Wandlung vom Innen- zum Außenpolitiker. Ich will an der Stelle noch mal ein Zitat einbringen, wir haben ja viele Töne von Helmut Kohl gehört. Wie er sich über Gorbatschow in einer frühen Phase geäußert hat, das will ich noch mal gerne einspielen.
Helmut Kohl: Es ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber versteht was von PR. Der Goebbels verstand auch was von PR. Man muss doch die Dinge auf den Punkt bringen.
Zurheide: Man muss die Dinge auf den Punkt bringen. Sie alle haben erkannt, worum es geht, es geht darum, dass er Gorbatschow, mit dem er später intensiv zusammengearbeitet hat, in die Nähe von Goebbels gerückt hat. Das hat ja damals zunächst einen Aufschrei gegeben. Wie ist es zu erklären, dass einer, der sich einen solchen Fauxpas leistet – und das war es, das hat er ja glaube ich selbst am Ende erkannt –, dass der dann so wächst und das umdrehen kann, Herr Nowottny?
Nowottny: Das hängt mit den Sachfragen zusammen, das hängt mit den Problemen, die gelöst werden wollen. Und als es um die deutsche Einheit ging, da brauchte er Gorbatschow, und Gorbatschow, der sehr getroffen war, wie man sich denken kann, hat immer wieder versucht, herauszufinden: Was ist das für ein Mann? Er hat sich dieselben Fragen gestellt, die im Grunde genommen hier in Bonn gestellt wurden, als Helmut Kohl kam. Aber er hat sie gestellt als der von ihm Beleidigte und hat dann eben durch die Art, zu der Kohl eben fähig war, herausgefunden, dass dies jemand war, auf den man sich verlassen konnte. Das war Gorbatschow, glaube ich, ganz wichtig in der damaligen Zeit, denn er hatte es ja auch nicht einfach in der Sowjetunion. Und darum hat er solche Zugeständnisse gemacht, als es um die Wiedervereinigung gegangen war.
Zurheide: Und die kam dann – Herr Casdorff, kann man das auf den Punkt bringen – politisch richtig, aber ökonomisch vieles falsch? Oder spricht da zu sehr der Ökonom, wenn ich das so zusammenfasse?
Casdorff: Ach, im Nachhinein weiß man immer besser, wie man es hätte machen sollen. Also, er hat erkannt – und das ist das Größte und das hat ja auch Helmut Schmidt dann großzügig anerkannt, als er sagte, da sei er zu großer Form aufgelaufen –, er hat erkannt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wissen Sie, und wenn ein Volk in Aufruhr gerät, und sei es jetzt nur ein Teil eines Volkes mit 80 Millionen Menschen, wenn dieses Volk sich gewissermaßen auf den Weg zur D-Mark machen will, dann muss einem was einfallen. Ihm ist was eingefallen und nicht das schlechteste. Dieser Umtausch eins zu eins war sicherlich ein Kraftakt, war sicherlich ökonomisch nicht das Glücklichste, da hat ja Karl-Otto Pöhl dagegen geredet, aber wissen Sie, es hat dazu geführt, dass Deutschland sich friedlich vereinigt hat. Und das mitgestaltet zu haben ist eine ganz herausragende Leistung, das ist unvergleichlich und wird in den Geschichtsbüchern den größten Eintrag haben, größer als Helmut Schmidt, größer als Richard von Weizsäcker.
Nowottny: Und alle wissen das.
Zurheide: Stichwort Ehrenvorsitz, das wäre meine letzte Frage an Sie, Herr Nowottny: Ist das noch ein Thema oder ist es weg? Er hat es ja selbst auch ein Stück relativiert heute.
Nowottny: Na ja, lassen Sie mich doch mit der Bundeskanzlerin, die Parteivorsitzende der CDU ist, antworten: Die Frage stellt sich nicht mehr.
Zurheide: Damit ist sie beantwortet. Ich bedanke mich bei beiden für das Gespräch, das war Friedrich Nowottny, der frühere Intendant des Westdeutschen Rundfunks, und Stephan-Andreas Casdorff, an beide geht ein herzlicher Dank!
Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie, Herr Zurheide!
Zurheide: Und Stephan-Andreas Casdorff – Chefredakteur vom "Tagesspiegel" – aus der jüngeren Generation. Guten Morgen, Herr Casdorff!
Stephan-Andreas Casdorff: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Fangen wir an mit Ihnen, Herr Nowottny. Herr Nowottny: Als Helmut Kohl auf der Bonner Bühne aufschlug, da war er ja ein junger Wilder, er kam aus Rheinland-Pfalz, hatte dort ziemlich viel verändert. Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung mit ihm?
Nowottny: Ja, ich erinnere mich gut, die fand allerdings in Mainz statt, die erste Begegnung. Hin und wieder lud er Journalisten zu einem Umtrunk in den wunderbaren Weinkeller der Staatskanzlei ein und zeigte, wie dynamisch er sei und wie sehr er darauf brenne, irgendwann mal den Platz zu wechseln, irgendwann mal in Bonn aufzuschlagen, wie Sie sagen.
Zurheide: Also, das hat er damals schon ganz klar und deutlich gesagt: Ich will Bundeskanzler werden. Ich glaube, diesen Satz haben wir auch heute in der Sendung schon gehört, da hat er nie einen Zweifel dran gelassen.
Nowottny: Na ja, er hat nicht gesagt, ich komme nach Bonn und werde Bundeskanzler, sondern er hat immer wieder zu verstehen gegeben, wie interessant es wäre, doch mal in Bonn zu sein. Er hatte erst den Parteivorsitz, glaube ich, im Auge und den Rest hat er dann für automatisch funktionierend für sich erwartet.
Zurheide: Herr Casdorff, wenn ich Sie jetzt frage als jemand, der in der jüngeren Generation oder aus der Perspektive der Jüngeren ihn beobachtet: Wann haben Sie ihn zuerst erlebt?
Casdorff: Oh ja, Anfang der 80er-Jahre, dann war er ja Kanzler geworden und man muss sich vorstellen, es gibt eine ganze Generation, die heute 40-Jährigen, die ja politisch sozialisiert worden sind mit einem einzigen Kanzler: Helmut Kohl. Manche hatten überhaupt nur einen einzigen Kanzler und das war natürlich auch mein Empfinden. Als ich dann Journalist wurde, hatte ich auch den Eindruck: Es wird niemals ein Ende nehmen. Ganz so ist es ja nicht gekommen, nach 16 Jahren war dann ja doch ein neuer Kanzler da, Gerhard Schröder.
Zurheide: Er wurde ja unterschätzt, das hat er ja selbst in dem Interview, das er der "Bild"-Zeitung heute gegeben hat, noch einmal gesagt: Ich bin immer unterschätzt worden. Herr Nowottny, haben Sie ihn auch unterschätzt oder haben Sie sofort gemerkt, na, da ist einer, der hat schon mehr vor?
Nowottny: Man brauchte nur in seinen politischen Leistungskatalog aus Rheinland-Pfalz schauen, da wusste man, wozu er fähig war. Er hat das Land, ein nahezu verschlafenes Land, modernisiert, er hat die Gemeinschaftsschule in einem gläubig stark geprägten Land … hat er eingeführt, er hat die Bekenntnisschulen abgeschafft, er hat die Altvorderen mit einem unglaublichen Kalkül aus dem Geschäft getrieben, Altmeier, der große Ministerpräsident, ein denkmalähnlicher Mensch – die hat er abserviert. Er ist mit einer neuen, jungen Mannschaft angetreten. Man konnte, wenn man genau hinguckte, schon vorausahnen, was er machen würde und wie er es machen würde.
Zurheide: Und dann kam er auf dieser Bonner Bühne an, Herr Casdorff, und fühlte sich überhaupt … na, ob er sich wohlfühlte, weiß ich nicht, aber er hatte jedenfalls nicht das, was man üblicherweise von einem Politiker diesen Kalibers erwartete. Wie haben Sie ihn da wahrgenommen?
Casdorff: Na ja, man hatte ja Berichte gelesen über seine Zeit in Mainz, wie Herr Nowottny eben erzählt hat, und da war er der schwarze Riese, der große Reformer, mit Menschen umgeben wie Geißler, wie Bernhard Vogel, Hans Schwarz, heute fast vergessene Namen, zum Teil jedenfalls, und enorm reformiert. Er wurde auch damals vom "Spiegel" hofiert übrigens, darf man nicht vergessen. Damals gab es große Berichte, ich erinnere mich an Peter Schille. Also – jedenfalls kam er an mit einem großen Nimbus und ja, dann wirkte er doch gegen den Weltstaatsmann und Weltökonomen Helmut Schmidt irgendwie nicht kimpelig, dann auch seine Sprachfärbung, das war der Heimat geschuldet, aus der er stammt, aber es wirkte eben alles sehr viel bodenständiger, sehr viel schlichter auch.
Zurheide: Und das Verhältnis zu Journalisten war ja dann einigermaßen katastrophal oder entwickelte sich katastrophal. Wie haben Sie das beobachtet?
Casdorff: Oh ja, er hatte immer Witze auf Kosten von Reportern gemacht, das war besonders übel. Also, man kann nicht sagen, dass sein Ton besonders freundlich gewesen wäre. Im Laufe der Jahre ist er, sagen wir mal so, noch strenger geworden. Das hängt auch wahrscheinlich mit dem Empfinden für die eigene Größe zusammen. Wenn du mal Kanzler der deutschen Einheit bist und alle Welt dich würdigt, dann würdigst du dich selber auch. Das hat er sie spüren lassen. Es ging um Journaille, die in den Couloirs, wie er sich ausdrückte sehr feinsinnig, in den Korridoren – aber er meinte eigentlich wahrscheinlich in den Rinnsteinen – warten mussten auf ihn. Das war nicht immer schön, kann ich sagen.
Zurheide: Wie sehen Sie das, Herr Nowottny?
Nowottny: Er hat seit 1976 dem "Spiegel" jedes Interview verweigert, das darf man auch nicht unterschätzen. Welcher Kanzler kann sich das schon leisten? Er hat es sich geleistet. Und er war im Umgang mit Journalisten manchmal von jener aufgesetzten Fröhlichkeit, die signalisierte: Nu kommt her, mit euch werde ich schon fertig, und dann war er störrisch und wütend. In der Zeit, in der die Parteispendenaffäre auf ihn zurollte und von allen jenen kritischen Zeitungen und Magazinen kräftig untersucht wurde – da musste gelüftet werden –, da hat er die Journalisten abgespeist, dass es nur so eine Pracht war. Das können Sie alles heute in Google beobachten, da gibt es einen Zusammenschnitt, ich glaube, in Youtube ist das, gibt es einen Zusammenschnitt dieser Szenen aus der Zeit. Das ist nicht sehr freudig und nicht sehr erregt. Aber man konnte auch mit ihm vernünftig arbeiten. Er hat mich zum Beispiel bei uns in den Interviews nie gefragt: Was werden Sie fragen, nur: das Thema heute – da gab man ein Thema an und dann machte man das. Und meistens war es zu lang, wir haben es dann geschnitten – er hat nicht gemosert.
Zurheide: Dann gab es diese Wandlung vom Innen- zum Außenpolitiker. Ich will an der Stelle noch mal ein Zitat einbringen, wir haben ja viele Töne von Helmut Kohl gehört. Wie er sich über Gorbatschow in einer frühen Phase geäußert hat, das will ich noch mal gerne einspielen.
Helmut Kohl: Es ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber versteht was von PR. Der Goebbels verstand auch was von PR. Man muss doch die Dinge auf den Punkt bringen.
Zurheide: Man muss die Dinge auf den Punkt bringen. Sie alle haben erkannt, worum es geht, es geht darum, dass er Gorbatschow, mit dem er später intensiv zusammengearbeitet hat, in die Nähe von Goebbels gerückt hat. Das hat ja damals zunächst einen Aufschrei gegeben. Wie ist es zu erklären, dass einer, der sich einen solchen Fauxpas leistet – und das war es, das hat er ja glaube ich selbst am Ende erkannt –, dass der dann so wächst und das umdrehen kann, Herr Nowottny?
Nowottny: Das hängt mit den Sachfragen zusammen, das hängt mit den Problemen, die gelöst werden wollen. Und als es um die deutsche Einheit ging, da brauchte er Gorbatschow, und Gorbatschow, der sehr getroffen war, wie man sich denken kann, hat immer wieder versucht, herauszufinden: Was ist das für ein Mann? Er hat sich dieselben Fragen gestellt, die im Grunde genommen hier in Bonn gestellt wurden, als Helmut Kohl kam. Aber er hat sie gestellt als der von ihm Beleidigte und hat dann eben durch die Art, zu der Kohl eben fähig war, herausgefunden, dass dies jemand war, auf den man sich verlassen konnte. Das war Gorbatschow, glaube ich, ganz wichtig in der damaligen Zeit, denn er hatte es ja auch nicht einfach in der Sowjetunion. Und darum hat er solche Zugeständnisse gemacht, als es um die Wiedervereinigung gegangen war.
Zurheide: Und die kam dann – Herr Casdorff, kann man das auf den Punkt bringen – politisch richtig, aber ökonomisch vieles falsch? Oder spricht da zu sehr der Ökonom, wenn ich das so zusammenfasse?
Casdorff: Ach, im Nachhinein weiß man immer besser, wie man es hätte machen sollen. Also, er hat erkannt – und das ist das Größte und das hat ja auch Helmut Schmidt dann großzügig anerkannt, als er sagte, da sei er zu großer Form aufgelaufen –, er hat erkannt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wissen Sie, und wenn ein Volk in Aufruhr gerät, und sei es jetzt nur ein Teil eines Volkes mit 80 Millionen Menschen, wenn dieses Volk sich gewissermaßen auf den Weg zur D-Mark machen will, dann muss einem was einfallen. Ihm ist was eingefallen und nicht das schlechteste. Dieser Umtausch eins zu eins war sicherlich ein Kraftakt, war sicherlich ökonomisch nicht das Glücklichste, da hat ja Karl-Otto Pöhl dagegen geredet, aber wissen Sie, es hat dazu geführt, dass Deutschland sich friedlich vereinigt hat. Und das mitgestaltet zu haben ist eine ganz herausragende Leistung, das ist unvergleichlich und wird in den Geschichtsbüchern den größten Eintrag haben, größer als Helmut Schmidt, größer als Richard von Weizsäcker.
Nowottny: Und alle wissen das.
Zurheide: Stichwort Ehrenvorsitz, das wäre meine letzte Frage an Sie, Herr Nowottny: Ist das noch ein Thema oder ist es weg? Er hat es ja selbst auch ein Stück relativiert heute.
Nowottny: Na ja, lassen Sie mich doch mit der Bundeskanzlerin, die Parteivorsitzende der CDU ist, antworten: Die Frage stellt sich nicht mehr.
Zurheide: Damit ist sie beantwortet. Ich bedanke mich bei beiden für das Gespräch, das war Friedrich Nowottny, der frühere Intendant des Westdeutschen Rundfunks, und Stephan-Andreas Casdorff, an beide geht ein herzlicher Dank!