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Wohnen, Industrie, Ernte
Wie in Deutschland um die richtige Nutzung von Flächen gekämpft wird

Neutral formuliert heißt es: Flächenverbrauch. Umweltschützer sagen lieber: Flächenfraß. Gemeint ist die Umwandlung von Acker, Wald oder Wiesen in Siedlungs- und Verkehrsfläche. Das ist schlecht für Natur und Landwirtschaft. Doch Mensch und Markt brauchen immer mehr Platz. Gibt es Lösungen in diesem Kampf?

Von Manuel Waltz |
19.12.2020, Grossbeeren in Brandenburg. Neue Einfamilienhaeuser stehen an einer gruenen Wiese in Feldrandlage bei Grossbeeren. Foto: Wolfram Steinberg/dpa
Die Flächeninanspruchnahme in Deutschland steigt seit 2019 wieder an. Vor allem wegen gestiegener Ansprüche ans eigene Zuhause durch die Corona-Pandemie – das Einfamilienhaus im Grünen, das zusätzliche Zimmer fürs Homeoffice beispielsweise (picture alliance / Wolfram Steinberg | Wolfram Steinberg)
„Alles, was jetzt vor uns liegt, also hier so eine Linie, die Häuser, die Sie da hinten sehen, das ist die Siedlung Baumschule, die käme weg. Das wäre so zumindest der Plan, soweit ich ihn kenne. Und da eben eine lange Linie gezogen bis zu der Straße, die Sie da hinten sehen.“ Olaf Meister steht zusammen mit Madeleine Linke vor einem riesigen Feld am Stadtrand von Magdeburg. Die beiden Fraktionsvorsitzenden von GRÜNE/future! im Magdeburger Stadtrat blicken auf das Areal, auf dem in einigen Jahren eine hochmoderne Chipfabrik des us-amerikanischen Halbleiterherstellers Intel stehen soll.

Heute wachsen auf den Äckern Kartoffeln und Getreide. Insgesamt 450 Hektar, die bald bebaut und versiegelt sind - das entspricht einer Fläche von rund 620 Fußballfeldern. Und das dürfte langfristig nicht mal reichen, sagt Madeleine Linke: „Man darf nicht vergessen, die Gemeinde Sülzetal, das schließt auch daran an. Da soll dann sozusagen die Zulieferindustrie auch hin und auch teilweise Infrastruktur. Da soll es schon auch weitergehen und auch Richtung Gemeinde Wanzleben-Börde ist das schon so der Plan. Also es ist schon ein sehr, sehr großes Gebiet hier.“
Immerhin soll der Boden abgetragen und den Bauern der Umgebung angeboten werden: „Das ist der super Börde-Boden, das ist eine Schwarzerde mit einer sehr hohen Bodenwertzahl, ich weiß nicht die genaue Punktezahl an der Stelle, weiß ich sie nicht, aber einer der besten Böden in Deutschland, das ist tatsächlich eines unserer Probleme.“ Seit 1934 wird in Deutschland die Qualität von Ackerböden anhand von Punkten bewertet. Schon damals galt der Magdeburger Bördeboden als das Maß aller Dinge: Der extrem fruchtbare Boden erhielt 100 von 100 Punkten.

Eine Fabrik auf fruchtbarem Boden

Nun also eine Chipfabrik statt Landwirtschaft: Das ist – wirtschaftlich gesehen - eine gewaltige Chance für Magdeburg, wieder ein bedeutender industrieller Produktionsstandort zu werden. Und diese riesige Fläche, obendrein gut angeschlossen, war einer der wichtigsten Gründe dafür, warum sich der US-Konzern Intel für diesen Standort entschieden hat.
Dennoch: Es sei auch ein Beispiel dafür, wie sorglos mit der wichtigen Ressource Boden umgegangen werde, beklagt Fabian Dosch, Referatsleiter für Umwelt- und Raumbeobachtung beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Bonn, kurz BBSR: „Insgesamt haben wir einen starken Anstieg der Flächenansprüche, die natürlich dafür gesorgt haben, dass diese Flächenansprüche auch irgendwo realisiert werden müssen. Das heißt, unsere großen Städte und Stadträume, Ballungsräume sind gewachsen. Nicht nur die, sondern zunehmend wachsen jetzt auch die Mittelstädte. Und das Siedlungsflächen-Wachstum ist vor allen Dingen auch in den ländlichen Regionen stark festzustellen.“
In Deutschland leben heute vier Prozent mehr Menschen als noch vor 30 Jahren. Mehr Menschen brauchen mehr Raum. Und noch viel stärker macht sich bemerkbar, dass Deutschlands Einwohner heute mehr Platz wollen als noch vor einigen Jahrzehnten. 1992 lag die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf bei 35 Quadratmetern. 2020 waren waren es 48 Quadratmeter pro Einwohner.

Immer mehr versiegelte Flächen

Mehr Wohnraum, mehr Häuser, mehr Straßen – all das bedeutet: mehr versiegelte Böden. Und die machen Probleme. Regen kann dort kaum versickern, die Gefahr von Hochwasser steigt, Beton heizt sich stark auf, es gibt weniger kühlende Pflanzen – was sich in Hitzesommern bereits bemerkbar gemacht hat. Lebensräume für Tiere gehen verloren oder werden von Straßen zerschnitten.
Blick durch ein Fenster auf eine belebte Straße mit verwischten Autos auf mehreren Fahrspuren, Symbolbild Raser
Versiegelte Flächen in Städten machen Probleme: Regen kann dort kaum versickern, die Gefahr von Hochwasser steigt, Beton heizt sich stark auf, es gibt weniger kühlende Pflanzen (imago/Martin Bäuml Fotodesign)
Zahlreiche Gründe also, den Flächenverbrauch zu reduzieren, so Fabian Dosch vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Statt immer nur neue Gebäude auf die grüne Wiese zu setzen, gelte es, Baulücken zu nutzen, alte Industriestandorte zu entwickeln, Häuser aufzustocken, Parkplätze zu überbauen: „Das Zweite ist, dass wir im Bereich der Landwirtschaftsflächen einen stetigen Rückgang zu verzeichnen haben. Vor allen Dingen die fruchtbaren Böden gehen zurück, weil die traditionell natürlich in der Nähe der großen Siedlungen angesiedelt waren. Und dort finden weitere Flächenansprüche statt auf eigentlich fruchtbarem Boden, den wir für die Landwirtschaftsproduktion brauchen, den wir aber auch als Sicherheit brauchen, wenn wieder stärker verbrauchernah produziert werden muss.“
Verbrauchernah produzieren: Das heißt auch, unabhängiger zu sein von Importen aus aller Welt. Da gibt es neuerdings ein Umdenken – denn seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Lebensmittelpreise stark gestiegen.

Planungshoheit der Kommunen

Doch kurzfristig wird sich nichts ändern, der Flächenfraß in Deutschland geht weiter. Als Flächenverbrauch bezeichnet man die Umwandlung von Grünflächen, von Acker, Wald, Mooren oder Wiesen in Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die Kommunen haben in Deutschland die Planungshoheit darüber. Meist arbeiten sie in regionalen Planungsstellen zusammen, die das für eine Region steuern. Diese Planungsstellen halten auf detaillierten Karten fest, wie die Landschaft genutzt wird. Und dann zeichnen die Regionalplaner ein, wo sich die Nutzung ändern kann. Darf ein Acker künftig bebaut werden, dann muss das im Regionalplan so vorgesehen sein.
Das erklärt Andreas Berkner, der die Regionale Planungsstelle Leipzig leitet. Auch der Wert der Fläche ändert sich damit entscheidend: „Das ist natürlich auch lageabhängig, das ist ganz klar. Aber ich sage mal so: Wenn Sie eine Freifläche, egal ob das Acker oder Grünland ist, in Bauland umwidmen - kann man durchaus beim bis zu hundertfachen Wert landen und bei nicht erschlossenen Flächen auf jeden Fall beim zehn bis zwanzigfachen, was man so ansetzt. Also das ist schon ein signifikanter Wertfaktor, wenn wir über solche Entwicklungen sprechen.“
Die Änderung einer solchen Flächennutzung über einen neuen Regionalplan ist Sache der sogenannten Regionalversammlungen, darin sitzen die gewählten Vertreter der dazugehörigen Gemeinden. Und entscheidend ist auch, dass jemand diese Fläche überhaupt bebauen will.

Das Ziel: Nicht mehr als 30 Hektar Flächenverbrauch pro Tag

Hier rund um Leipzig sei das aber meist der Fall, erklärt Berkner: „Wir haben gerade jetzt im Moment einen massiven Flächendruck dahingehend, dass eben Bauflächen gesucht werden. In der Stadt Leipzig, sage ich es jetzt rundweg, gibt es zwar keine Flächenknappheit in dem Sinne wie etwa in München, Stuttgart oder sonst wo. Aber das Bauen in der Stadt ist inzwischen dermaßen teurer geworden, dass sich viele das nicht mehr leisten können. Die Folge ist, dass man natürlich im Umland schaut. Und hier geht es darum, das ist jetzt wieder unser Part, dass wir natürlich eine Siedlungsentwicklung sinnvoll steuern wollen.“
Die Regionalplanung soll dafür sorgen, dass Städte und Siedlungen nicht zerfransen, neue Flächen für Wohnungsbau etwa nicht zu weit entfernt liegen von Kindergärten, Schulen und anderen wichtigen Einrichtungen und möglichst an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind. Und sie sollen den Flächenverbrauch begrenzen. Trotzdem ist er immer noch zu hoch.
Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie fordert, bis 2030 den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Als diese Strategie beschlossen wurde, das war im Jahr 2000, lag dieser Wert noch bei 120 Hektar pro Tag. 2019 war er auf 52 gesunken, der bisher niedrigste Stand. Seitdem aber steigt die Flächeninanspruchnahme wieder an – vor allem wegen gestiegener Ansprüche ans eigene Zuhause durch die Corona-Pandemie – das Einfamilienhaus im Grünen, das zusätzliche Zimmer fürs Homeoffice beispielsweise.

Investoren-Run auf Flächen: "Dann kaufen die ohne Ende"

Und nicht nur die Konkurrenz ums Bauland übt einen Druck auf die Flächen aus, berichtet der Landwirt Martin Schulz aus dem Wendland in Niedersachsen: „Also hier bei uns ist es nicht unbedingt der Run durch neue Gewerbegebiete oder Infrastrukturmaßnahmen. Der Run ist eher drauf, auf die Fläche, von Leuten, die Geld haben, die sagen, wir möchten unser Geld in Grund und Boden anlegen und kaufen dann Flächen, egal wo. Also Vieles läuft ja beim Flächenverkauf über Makler, und die haben dann Makler, mit denen sie zusammenarbeiten, mit denen sie vielleicht sogar befreundet sind. Und die sagen zum Makler: Egal wo, irgendwo, wo sie dir irgendwie, und wenn es nur einen halben Hektar ist, anbieten, ich kaufe das. Und du bietest da mit. Und dann sagen sie vielleicht noch eine Summe, bis wohin sie bieten dürfen. Und ja, dann kaufen die Fläche ohne Ende.“
Martin Schulz ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, kurz ABL. Er bewirtschaftet 130 Hektar Fläche, hat 900 Mastschweine und betreibt eine Biogasanlage. Vor kurzem wollte er bei einer Fläche mitbieten, aber der Makler hat ihn nicht einmal zum Bieten eingeladen. „Deswegen ist der Preis ja auch so hoch, weil es nicht mehr nur ein landwirtschaftlicher Bodenmarkt ist, sondern ein Investoren-Bodenmarkt geworden ist. Und wenn ich Flächenpreise von 30.000 oder 40.000 Euro habe für die Böden, die es hier bei uns in der Nähe gibt, das werde ich noch nicht mal in zwei Generationen herauswirtschaften über diese Fläche. Aber für diese Investoren, die das Geld einfach haben, die da einfach nicht wissen wohin mit ihrem Geld, ist das nicht so wichtig, sondern die sagen: Hauptsache mein Geld ist irgendwo sicher geparkt.“

Apfelbäume unter Solarzellen

Und auch die Energiewende habe ihren Einfluss auf Preise und den Umgang mit Flächen, berichtet Schulz. Denn zunehmend entstehen auch Solaranlagen auf Äckern: „Naja, bei uns ist der Pachtpreis hier für landwirtschaftliche Nutzfläche so zwischen vier und 500 Euro. Und bei der Photovoltaik, ich habe selber so einen Vertrag noch nicht gesehen, aber da spricht man von zwei bis 3.000 Euro pro Hektar und Jahr. Da kann kein Bauer mithalten, der auf der Fläche irgendwie Ackerfrüchte anbauen kann. Das ist so. Also für 2.000 Euro selbst bei den Getreidepreisen, die wir im Moment haben, habe ich den Ertrag dann nicht aus der Fläche über Agrar-Früchte.“
Derzeit gibt es viele Versuche, Felder für Landwirtschaft und Photovoltaik doppelt zu nutzen. In Kressbronn am Bodensee etwa wachsen seit ein paar Wochen Apfelbäume unter hoch aufgeständerten Solarmodulen. Ob das auch kommerziell erfolgreich ist, muss sich erst noch zeigen. Olaf Meister von den Grünen in Magdeburg ist jetzt ein Stück auf das Feld gelaufen. Im Stadtrat haben er und seine Kollegen sich dafür eingesetzt, dass auf den Dächern der Chipfabrik möglichst viel Ökostrom produziert wird.
Wenn man Boden wie hier versiegelt, dann muss das an anderen Stellen ausgeglichen werden, so ist es gesetzlich in Deutschland vorgeschrieben. Möglichst wird Boden an einer anderen Stelle entsiegelt. Das ist aber sehr teuer.
Eine Photovoltaikanlage
Doppelte Flächennutzung als Rezept gegen den Fraß? Auf der Fotovoltaikanlage stehen die Pfosten so breit auseinander, dass auch Landmaschinen durchfahren können (Katharina Thoms / Deutschlandradio)

Magdeburger Börde mit langer Tradition: "bittere Pille"

Oft kaufen die Investoren stattdessen landwirtschaftliche Flächen und werten sie ökologisch auf, beenden die intensive landwirtschaftliche Nutzung. Dadurch gehen dann aber doppelt Äcker verloren, das beklagen Landwirte oft, berichtet Olaf Meister: „Das ist ein Problem. Das wird auch wieder so passieren. Da wäre es tatsächlich wichtig, Ausgleichsmaßnahmen also in die Wohnquartiere auch zu kriegen, in bisher schon versiegelte Gebiete, um da jetzt einen ökologischen Vorteil zu haben. Aber die Sorge der Landwirte: am Ende haben wir weniger Fläche. Ja, genauso ist das. Das ist die bittere Pille. Und das ist denn gerade im Magdeburger Börde mit der langen Tradition und der super-Eignung für Landwirtschaft traurig.“

Auch Olaf Meister begrüßt die Ansiedelung von Intel, die Chance für Magdeburg und die ganze Region sei einfach riesig. Und auch Sandra Yvonne Stieger freut sich. Die CDU-Politikerin ist die Beigeordnete für Wirtschaft in Magdeburg. Intel diese riesige Fläche mit hervorragender Verkehrsanbindung direkt neben der Autobahn anbieten zu können, sei mitentscheidend für den Zuschlag gewesen: „Der Boden selber ist ein sehr guter Boden, dessen sind wir uns bewusst. Er hat eben den Nachteil, aus Sicht des Bodens, aus Sicht der Landwirte sicherlich auch, dass er eben sehr gute andere Bedingungen rundherum für eine Industrie-Ansiedlung hat. Also da muss man so ein bisschen abwägen. Da gibt es nie die eindeutige Antwort auf diese Frage. Er liegt eben da und ist so gut. Deswegen machen wir uns die Entscheidung auch nicht leicht. Oder haben Sie uns auch nicht leicht gemacht.“

Landwirtschaftliche vs. industrielle Nutzung: der Verlierer steht fest

Hier auf der Fläche werde deutlich, wie stark die Wirtschaftskraft der unterschiedlichen Nutzungen von Boden sei, sagt Olaf Meister von den Grünen in Magdeburg. Er hat ein bisschen Erde in die Hand genommen und lässt sie durch die Finger rieseln. Diese Fläche ist ideal für eine landwirtschaftliche Nutzung und sie ist ebenso ideal für eine Industrieansiedlung: „Rein vom wirtschaftlichen her ist es so, eine Industrie kann natürlich entschieden mehr zahlen, tut das auch und setzt sich damit natürlich durch. Insofern: Landwirtschaftliche Nutzung ist, wenn es so ein Gegeneinander gibt, dann immer der Verlierer. Und da muss man sich natürlich gesamtgesellschaftlich fragen, bis zu welcher Grenze ist denn das noch okay? Wann gefährde ich sozusagen die Ernährungssicherheit der Bevölkerung oder schlicht und einfach unsere Landschaft und Naturhaushalt.“
Diese Frage stand viele Jahre nicht im Mittelpunkt der Debatten. Vor allem der Krieg in der Ukraine hat sie etwas mehr in den Blick gerückt, seit die Lebensmittelpreise steigen und Weizen in einigen Ländern bereits knapp wird.

Zertifikatehandel für Flächenverbrauch? 

Fabian Dosch vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hofft deshalb auf konkrete Veränderungen in naher Zukunft: „Wir sind es gewohnt, über fünf Jahrzehnte, sieben Jahrzehnte hinaus, Fläche als eine unbegrenzte Ressource zu begreifen. Und trotz des Gebotes mit Fläche sparsam und bodenschonend umzugehen, was im Baugesetzbuch schon seit vielen Jahrzehnten verankert ist, ist es in der klassischen Planung selber so nicht realisiert. Das heißt, wir haben keine tatsächliche Begrenzung, keine Orientierung, keine Kennwerte, die sagen: Pro Person oder pro Stellplatz darf nur eine bestimmte Menge an Fläche verbraucht werden, weil der Grundsatz ist: Natürlich muss jede Kommune vor ihren lokalen, spezifischen Hintergründen selbst entscheiden können, wie sie mit Fläche umgeht.“
Hier liegt die entscheidende Stellschraube im System, das sieht auch Detlef Grimski so. Er leitet im Umweltbundesamt die Abteilung für Nachhaltige Raumentwicklung und Umweltprüfung. Nach wie vor haben die Kommunen hohe Anreize, immer mehr Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen umzuwandeln, weil sie wirtschaftlich davon profitieren: mehr Gewerbesteuer, mehr Grundsteuer, neue Einwohner, Gelder für Wirtschaftsförderung. Und weil im Grundgesetz die kommunale Selbstverwaltung mit der Planungshoheit festgeschrieben ist, können sie das auch tun. Auch einem Regionalplan müssen die beteiligten Kommunen zustimmen, können so ihre Interessen durchsetzen.

UBA fordert Vorgaben vom Bund

Grimski fordert daher strikte Vorgaben vom Bund, wie viel Fläche die Kommunen in Anspruch nehmen dürfen: „Wir sind ja schon seit jeher der Auffassung, dass man seine flächenpolitischen Ziele, wenn sie denn quantitativ sind, nur erreichen kann, wenn man diese auch quantitativ verbindlich macht. Also von daher übers Ordnungsrecht. Die Frage ist: mit welchen Mitteln, mit welchen ordnungsrechtlichen Mitteln?“ In der gegenwärtigen rechtlichen Situation weisen vor allem die kleinen, wirtschaftlich schwächeren Städte und Gemeinden immer mehr Bauland aus, um für neue Einwohner und Unternehmen interessant zu werden. Oftmals vergeblich, berichtet Grimski. Dann werden Flächen entwickelt und teuer erschlossen und niemand will darauf bauen, das sei dann der denkbar schlechteste Fall.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Situation klar: Nur mit verbindlichen Vorgaben an die Kommunen könne sich grundlegend etwas ändern, so Grimski: „Allerdings ist auch klar, dass letztendlich die politische Komponente eine ganz bedeutende ist und diese Ziele, die dann auf regionaler Ebene, also auf welcher regionalen Ebene auch immer, festgelegt werden, die müssten politisch ausgehandelt werden.“

Juristische Hürden

Im Umweltbundesamt hat man zwei mögliche Wege identifiziert, wie der Bund den Kommunen Vorgaben machen könnte, den Flächenverbrauch zu begrenzen. Das eine ist ein Zertifikatehandel. Der Bund könnte eine gewisse Anzahl an Zertifikaten an die Kommunen ausgeben, die zur Flächeninanspruchnahme berechtigen. Je mehr Einwohner, desto mehr Zertifikate. Wenn eine Kommune weniger Flächen nutzen will, als sie dürfte, kann sie die Zertifikate an eine andere Kommune verkaufen. Der Bund könnte so steuern, wie viel Fläche insgesamt in Anspruch genommen wird. Und durch den Handel würde das an den Orten geschehen, wo der Nutzen am höchsten ist.
Die zweite Möglichkeit gäbe es im Ordnungsrecht: Jede Kommune darf dann abhängig von der Einwohnerzahl und ihrer Entwicklung eine gewisse Menge an Flächen als Bauland ausweisen. Beides ist mit hohen juristischen Risiken verbunden, das weiß auch Detlef Grimski: „Und einige Juristen kommen dann halt zu dem Ergebnis: Es geht nicht, weil die kommunale Planungshoheit unzulässig eingeschränkt wird. Und andere Juristen kommen dann aber zu dem Ergebnis, dass es sehr wohl gehen würde, weil die kommunale Planungshoheit ja durchaus erhalten bleibt. Man kann dann nach wie vor seine kommunale Planungshoheit wahrnehmen. Halt nur in gewissen Grenzen, die dann über das Ordnungsrecht vorgegeben werden. Aber die Auffassungen der Juristen sind unterschiedlich und mein Eindruck aus dem Bauch heraus, ist, dass die Mehrheit der Juristen durchaus der Auffassung ist, dass Mengenvorgaben mit der kommunalen Planungshoheit vereinbar sind.“
Allerdings eben nicht alle. Das grundgesetzlich verbriefte Recht der Kommunen über die Planungshoheit wiegt schwer, das weiß man auch im Umweltbundesamt. Wenn ein solches Gesetz eingeführt würde – ob ein Zertifikatehandel oder eine ordnungsrechtliche Vorgabe - würde mindestens eine Kommune dagegen klagen, da ist man sich im Umweltbundesamt sicher. „Eigentlich müsste es gerichtlich durchgespielt werden“, sagt Detlef Grimski.  
Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Bisher aber ist keine Bundesregierung das Risiko eingegangen, die Kommunen in der Vergabe ihrer Flächen entscheidend einzuschränken und dann möglicherweise vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern. Im Umweltbundesamt ist man sich allerdings sicher, dass es der einzige Weg wäre, dem Flächenfraß entscheidend Einhalt zu gebieten.