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Böhmer (CDU): Schavan wird bald Konsequenzen ziehen

Nach dem Entzug ihres Doktortitels werde Annette Schavan dem öffentlichen Druck nicht lange standhalten können, glaubt Wolfgang Böhmer (CDU). Sie befinde sich nun in der gleichen Lage wie damals Karl-Theodor zu Guttenberg, sagte der Ex-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.

Wolfgang Böhmer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.02.2013
    Christoph Heinemann: Dass ein Mitglied der Bundesregierung von einer Reise zurückkehrt, ist normalerweise nicht meldepflichtig. In Annette Schavans Fall ist das in diesen Tagen anders. Die Bundesbildungsministerin besucht in dieser Woche Südafrika. Der Philosophische Fakultätsrat der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hatte am Dienstag festgestellt, dass Schavan in ihrer Dissertation aus dem Jahre 1980 systematisch und vorsätzlich fremde Gedanken als eigene ausgegeben hatte und ihr den Doktortitel aberkannt. Schavan will die Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht anfechten. Die Opposition fordert ihren Rücktritt. Angela Merkel hält ihrer Vertrauten bisher die Stange, und regierungsamtlich klingt das so:

    Steffen Seibert: "Die Bundeskanzlerin ist mit der Ministerin in gutem Kontakt, sie schätzt ihre Leistung als Ministerin außerordentlich, sie hat volles Vertrauen in sie."

    Heinemann: Regierungssprecher Steffen Seibert. Am Telefon ist Professor Wolfgang Böhmer, CDU, der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Guten Morgen!

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Professor Böhmer, was raten Sie Frau Schavan?

    Böhmer: Ich werde Frau Schavan öffentlich mit Sicherheit nichts raten. Aber ich habe gehört, dass sie klagen will, und ich halte das schon mal aus ganz systematischen Gründen für notwendig. Wenn eine Fakultät 33 Jahre braucht, um festzustellen, dass vorsätzlich und absichtlich getäuscht worden sei, dann darf man sich doch auch öffentlich einmal darüber wundern. Niemand, auch Frau Schavan nicht, auch alle anderen nicht, haben sich den Doktorhut selbst aufgesetzt. Immer gab es einen Doktorvater, der den Doktoranden bereut hat, immer musste es drei unterschiedliche Gutachter geben, die der Promotionskommission die Annahme der Arbeit vorgeschlagen haben. Das war auch vor 33 Jahren sicherlich so.

    Und wenn man nun feststellt, dass sie, wie ich höre, angeblich absichtlich und vorsätzlich getäuscht hätte, dann wundere ich mich auch über eine solche Stellungnahme. Die spricht ja auch nicht gerade für die Gutachter. Und dann gibt es unterschiedliche Interpretationen. Bei den Gutachtern sagt man, ja, vor 33 Jahren hatten wir noch gar nicht die moderne Technik, wir hatten noch keinen Computer, wir hatten noch keine Programme, wo das festgestellt werden konnte, wir konnten das damals noch gar nicht so genau feststellen. Das gilt aber nicht nur für die Gutachter, das gilt dann auch für die Doktoranden, und darüber muss einmal auch eine Diskussion geführt werden. Und ich habe den Verdacht, Frau Schavan wird sich dieser Diskussion stellen, die wir nötig haben.

    Heinemann: Herr Böhmer, kann jemand, der in einer wissenschaftlichen Arbeit getäuscht hat, Wissenschaftsministerin bleiben?

    Böhmer: Das ist jetzt keine Sachfrage mehr, sondern eine politische Frage.

    Heinemann: Richtig.

    Böhmer: Und da wissen wir beide, dass zu dem Instrumentenkasten aller politischen Parteien – da gibt es fast keine Ausnahme, die mir einfallen würde – aber auch der Medien die Skandalisierung von vermuteten oder erkannten Schwachstellen beim politischen Opponenten gehört. Und was der Frau Schavan bevorsteht, wenn sie im Amt bleibt, das weiß sie selbst, und deshalb muss sie selbst entscheiden, ob sie sich das zumuten möchte.

    Heinemann: Sollte sie zurücktreten?

    Böhmer: Ich werde ihr keinen öffentlichen Ratschlag geben. Sie ist fair genug, das selbst zu entscheiden, und es gehört meiner Ansicht nach auch zur Würde, eine solche Entscheidung selbst zu treffen und nicht öffentlich genötigt zu werden.

    Heinemann: Herr Böhmer, im Falle zu Guttenberg hatten Sie sich auch öffentlich für einen Rücktritt ausgesprochen.

    Böhmer: Im Falle zu Guttenberg, Entschuldigung, habe ich gesagt: Ich glaube nicht, dass er den öffentlichen Druck wird durchhalten können.

    Heinemann: Gilt das auch für Frau Schavan?

    Böhmer: Das gilt auch für Frau Schavan.

    Heinemann: Wäre sie im Bundestagswahlkampf eine Belastung für die CDU?

    Böhmer: Das kann ich nicht so exakt beurteilen, aber ich bin überzeugt, dass die politischen Konkurrenten eine Belastung daraus machen werden.

    Heinemann: Nun ist natürlich dieser Plagiatsvorwurf keine Erfindung der Medien, sondern es ist sozusagen amtlich jetzt bestätigt worden von Professoren, von Hochschullehrern, vom Fakultätsrat der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Insofern ist das jetzt keine Kampagne.

    Böhmer: Nein, da haben Sie völlig recht. Aber man darf sich doch darüber wundern, dass ein Fakultätsrat 33 Jahre braucht, um so was festzustellen. Das ist doch das eigentliche Problem.

    Heinemann: Nun ist aber das Kind im Brunnen.

    Böhmer: Ja, das liegt nun einmal im Brunnen, aber man muss doch auch feststellen können, dass zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen technischen und logischen Möglichkeiten unterschiedliche Maßstäbe gegolten haben, nicht nur für die Gutachter, sondern auch für die Doktoranden. Ich will das nicht behaupten, aber ich will einfach eine Diskussion darüber, damit wir mehr Fairness in diese ganze Problematik hineinbekommen.

    Wenn jemand aus, das muss ich mal sagen, aus Sekundärliteratur zitiert, ohne die Primärliteratur angegeben oder erkannt zu haben – ist das nun vorsätzliche, absichtliche Täuschung oder nicht? Das ist eine Frage, die müssen auch die Herrn Wissenschaftler mal unter sich klären.

    Heinemann: Gut, die Wissenschaftler haben ihr Urteil gesprochen, jetzt die Frage: Was raten Sie Frau Merkel? Wie sollte die Kanzlerin mit Frau Schavan umgehen?

    Böhmer: Sie glauben doch nicht, dass ich der Bundeskanzlerin öffentliche Ratschläge erteile!

    Heinemann: Ich hoffe es!

    Böhmer: So was kann man im Vier-Augen-Gespräch mal diskutieren, aber nicht über die Medien. Das ist eine Frage des Stils, da lasse ich mich nicht verführen.

    Heinemann: Aber Sie haben eben gesagt, Sie gehen nicht davon aus, dass Frau Schavan den öffentlichen Druck lange wird aushalten können?

    Böhmer: Sie müssen ja mal hören, was aus den Wissenschaftsverbänden an Einzelmeinungen zu hören ist. So lange sie im Amt ist, wird sie damit jeden Tag aufs Neue konfrontiert. Da sage ich: Das hat Frau Schavan nicht verdient.

    Heinemann: Wann wäre der günstigste Zeitpunkt, aus diesem, was Sie gerade gesagt haben, die Konsequenz zu ziehen?

    Böhmer: Ich denke, das wird sie bald tun. Sie weiß, was auf sie zukommt, sie kennt das politische Geschäft genauso gut wie wir.

    Heinemann: Professor Wolfgang Böhmer, CDU, der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Böhmer: Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.