Das Argument, Böhmermann habe die Beleidigungen in seiner Schmähkritik nicht ernst gemeint, lässt Höcker nicht gelten: "Das spielt überhaupt keine Rolle," meint er. Wenn man beispielsweise jemanden mit dem Schimpfwort "Arschloch" betitele, meine man das ja auch nicht wörtlich.
Auch das quantitative Verhältnis des Beitrags spricht laut Höckers Einschätzung dafür, dass die Satire nicht zulässig sei: Eine Beleidigung hätte ausgereicht, um zu zeigen, was Böhmermann beweisen wollte. Stattdessen habe er eine "Beleidigungsorgie zelebriert". Das Ganze sei eine "Kindergarten-Geschichte".
Regierung wird sich an politischen Zweckmäßigkeiten ausrichten
Höcker sagte weiter, es werde in jedem Fall zu einem Prozess gegen Böhmermann kommen. Wenn nicht nach § 103 des Strafgesetzbuches - dem Paragrafen gegen Beleidigungen von Staatsoberhäuptern - dann nach § 185 StGB, den jede Privatperson nutzen kann, um gegen Beleidigungen vorzugehen. Denn Erdogan hätte auch als Privatperson gegen Böhmermann geklagt.
Ob die Bundesregierung ihre Ermächtigung für eine Strafverfolgung nach § 103 StGB ausspreche, werde sie an politischen Zweckmäßigkeiten ausrichten, glaubt Höcker. Dass in diesem Fall von der sonst üblichen Gewaltenteilung abgewichen werden, hält er für richtig: Das solle davor schützen, dass "ausländische Mächte" in Deutschland einfach so die Justiz "anwerfen" könnten. Das solle aber nur möglich sein, wenn die Regierung das für opportun halte.
Höcker wies darauf hin, dass die Norm nur bei Gegenseitigkeit zum Einsatz kommen kann: Nur wenn es in dem Land, aus dem die Anfrage zur Strafverfolgung kommt, einen gleichen Paragrafen gibt, der auch deutsche Staatsoberhäupter vor Beleidigung schützt, könne man sich auf ihn berufen.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Als "Fall Böhmermann" hat diese Diskussion angefangen. Inzwischen ist es ja längst zu einem "Fall Merkel" geworden. Die Diskussion um die Suada gegen den türkischen Präsidenten Erdogan weit unterhalb der Gürtellinie im Satireformat "Neo Magazin Royale" im ZDF, an- und abmoderiert von Jan Böhmermann als verbotene Schmähkritik. Denn nachdem die Kanzlerin geschwiegen hat in der Diskussion um den NDR-Satirebeitrag um "Erdowie, Erdowo, Erdogan", hatte sie den Böhmermann-Beitrag ja früh als bewusst verletzend bezeichnet, was allerdings juristisch noch ziemlich im Ungefähren lag. Kritik gab es massenhaft an Böhmermann, aber auch breite Solidarität. Einer Online-Petition zugunsten des ZDF-Moderators haben sich innerhalb von anderthalb Tagen mehr als 100.000 Unterstützer angeschlossen. Wegen der aber auch erheblichen Anfeindungen steht Böhmermann inzwischen unter Polizeischutz.
Sie können sich selbst ein Bild machen. Alles ist ausführlich dokumentiert auf unserer Internetseite, auf Deutschlandfunk.de. Sie finden da das Gedicht, die Moderation und natürlich auch die Zusammenfassung der Debatte. War das erlaubte Satire oder verbotene Schmähkritik in der Gesamtheit? Das werden sehr wahrscheinlich die Gerichte klären müssen. Ob ein Verfahren nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches zustande kommt, das steht und fällt erst mal mit der Entscheidung der Bundesregierung, und die muss ihre, so heißt es technisch, "Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteilen. Über die nach wie vor vielen, vielen juristisch vollkommen offenen Fragen wollen wir in den kommenden Minuten sprechen und am Telefon begrüße ich den Medienrechtler Professor Ralf Höcker. Guten Morgen.
Ralf Höcker: Schönen guten Morgen.
"Es wird auf jeden Fall ein Ermittlungsverfahren geben"
Schulz: Die Bundesregierung prüft jetzt, ob sie diese Ermächtigung erteilt, will dafür auch ein paar Tage brauchen. Was sind denn die Kriterien für diese Prüfung?
Höcker: Die Bundesregierung wird sich vor allem an politischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausrichten, denn es geht ja nicht darum, ob überhaupt gegen Böhmermann ermittelt werden wird oder nicht, denn ermittelt wird ja, so wie es jetzt aussieht, in jedem Fall.
Schulz: Wegen Beleidigung.
Höcker: Genau. - Es gibt ja zwei Möglichkeiten. Nach Paragraf 103 - da ist die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes oder eines ausländischen Regierungsmitglieds geregelt. Da ist der Strafrahmen relativ hoch, drei bis fünf Jahre kann es da in der Spitze geben. Wenn die Bundesregierung meint, dass es opportun ist, dass ein solches Verfahren geführt wird, dann wird sie ihre Ermächtigung geben. Wenn sie meint, das ist nicht der Fall, wird sie sie nicht geben, aber dann wird es ein ganz normales Beleidigungsverfahren geben, denn man darf ja auch Nicht-Staatschefs nicht beleidigen. Dann läuft es nach 185 StGB. Dann ist die Maximalstrafe nur ein Jahr. Aber auch dann wird es ein Ermittlungsverfahren geben, denn Erdogan hat ja auch als Privatmann Strafantrag gestellt.
Schulz: Wenn wir jetzt bei diesem Paragrafen 103 bleiben, bei sozusagen der modernen Form der Majestätsbeleidigung, wo die Ermächtigung von der Bundesregierung ja auch gebraucht wird. Kann die Regierung wirklich angesichts dieser zugespitzten Lage theoretisch noch sagen, hier stoppt jetzt die Bundesregierung die Justiz?
Höcker: Das kann sie machen. Sie kann zumindest die Verfolgung nach 103 stoppen. Sie kann wie gesagt nicht die Verfolgung nach 185 wegen normaler einfacher Beleidigung stoppen. Das kann sie, das ist in unserem Gesetz so vorgesehen. Das ist auch gut und richtig so. Hintergrund ist, dass ganz grundsätzlich nicht es in der Hand ausländischer Mächte sozusagen liegen soll, den deutschen Ermittlungsapparat, die deutsche Justiz anzuwerfen, damit deutsche Justiz gegen deutsche Staatsbürger in Deutschland ermittelt oder gar Urteile fällt. Das soll nur möglich sein, wenn die Bundesregierung das für opportun hält.
"Paragraf 103 funktioniert nur auf Gegenseitigkeit"
Schulz: Aber wie passt diese Einschränkung überhaupt zur Gewaltenteilung? Das widerspricht ja eigentlich unseren Vorstellungen, dass jetzt dann letzten Endes doch die Regierung da das letzte Wort hat.
Höcker: Das ist richtig. In gewisser Weise scheint das dem zu widersprechen. Normalerweise sind Judikative und Exekutive voneinander getrennt. Hier wird das aus ganz grundsätzlichen politischen, diplomatischen Erwägungen so gemacht, dass die Bundesregierung - übrigens nur auf Gegenseitigkeit funktioniert das Ganze. Es muss nach deutschem Recht auch in der Türkei eine Norm geben, die den deutschen Staatschef oder deutsche Regierungsmitglieder schützt vor Beleidigung durch türkische Staatsbürger in der Türkei. Nur wenn das auf Gegenseitigkeit beruht, ist so was auch in Deutschland möglich. Und wenn dem so ist, wenn es eine solche Norm auch in der Türkei gibt, dann darf es sie auch in Deutschland geben und dann - so sieht es unsere Rechtsordnung vor - kann die Bundesregierung ihr Veto einlegen oder eben nicht.
Schulz: Für wie groß halten Sie jetzt insgesamt das Risiko, dass Jan Böhmermann verurteilt wird?
Höcker: Wenn die Bundesregierung ihre Ermächtigung erteilt, kommt es zu einem Verfahren nach 103. Wenn sie sie nicht erteilt, kommt es zu einem Verfahren nach 185. Es kommt also in jedem Fall zu einem Ermittlungsverfahren. Ich halte die Verurteilungswahrscheinlichkeit für relativ hoch, denn meines Erachtens ist das eine klare Schmähkritik. Meines Erachtens ist die Grenze der zulässigen Satire überschritten. Das Ganze war eine Satire, gar keine Frage, aber eben keine zulässige Satire mehr. So sehe ich das jedenfalls.
"Er hat eine Beleidigungsorgie zelebriert"
Schulz: Aber wie kommen Sie zu der Abwägung? Wenn man sich das "Gesamtkunstwerk" anschaut, dann sind ja An- und Abmoderation dieser aufklärerische Teil, in dem es heißt, wir erklären jetzt wirklich mal hier den Unterschied, und damit man es besser versteht, hier auch dieses Beispiel. Der ist ja auch rein quantitativ länger. Was lässt Sie das so klar als Schmähkritik sehen?
Höcker: Na ja, allein das quantitative Verhältnis. Wenn er gesagt hätte in der Sendung, lieber Herr Erdogan, Sie regen sich völlig zu Unrecht über den "extra 3"-Beitrag auf, das war noch keine Schmähkritik, eine Schmähkritik wäre es, wenn ich sagen würde, Sie sind ein Vollidiot. Wenn er das so kurz und knapp gemacht hätte, dann hätte ihm jeder abgenommen, dass er einfach nur mal ein Beispiel bringen wollte, dass er sozusagen instruktiv die Fernsehzuschauer und Herrn Erdogan über eine Schmähkritik und ihr Wesen aufklären wollte. Aber so hat er es nicht gemacht, sondern er hat gesagt, das was jetzt kommt, ist verboten, das ist eine Schmähkritik. Und dann hat er über eine Minute lang eine Beleidigungsorgie zelebriert und eine Beleidigung an die andere gehängt, sodass man wirklich nach spätestens der dritten oder vierten Beleidigung sagt, gut, ich hab’s jetzt verstanden, das ist also eine Schmähkritik.
"Das ist eine Kindergarten-Geschichte"
Schulz: Was aber auch in dieser Gesamtheit natürlich absolut quatschig und, ehrlich gesagt, auch kaum ernst zu nehmen war. Wieso bekommt das jetzt diese Ernsthaftigkeit?
Höcker: Das lese ich ständig, dieses Argument, dass angeblich es ein Argument sei, wenn eine Beschimpfung nicht ernst gemeint sei, dann könne sie ja nicht strafbar sein. Um mal ein sehr krasses Beispiel zu bringen: Wenn man zu jemandem "Arschloch" sagt, dann nimmt man das auch nicht wörtlich. Man hält ihn nicht für eine Afteröffnung im biologischen Sinne, sondern will einfach nur seine Missachtung kundtun. Das heißt, dass man etwas nicht ernst meint, das spielt überhaupt gar keine Rolle. Natürlich glaubt Herr Böhmermann nicht, dass Herr Erdogan mit Ziegen kopuliert, aber er verwendet diese Begriffe und will damit sein Missachten ausdrücken. Eigentlich ist es eine Kindergarten-Geschichte. Er sagt, was jetzt kommt, darf ich gar nicht sagen, das ist verboten, und dann feiert er mit türkischer Fahne und Musik in einer qualitativ wie quantitativ völlig überzogenen Art und Weise eine Beleidigungsorgie ab, und das geht eben zu weit.
Schulz: … mit einem sehr ernsten Ausgang. - Ganz herzlichen Dank an den Medienrechtler Ralf Höcker hier in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen.
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