Nach Einstellung der (staatsrechtlichen) Ermittlungen ist vor dem (zivilrechtlichen) Prozess, nach Mainz kommt Hamburg: Am 2. November will das Landgericht der Hansestadt mündlich über die Unterlassungsklage von Recep Tayyip Erdogan verhandeln; der türkische Staatspräsidenten hatte persönlich - zusätzlich zu rund 1.500 Privatpersonen - Strafanzeige gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann gestellt. Der TV-Moderator hatte zuvor Erdogan in seiner Sendung mit einem sogenannten Schmähgedicht kritisiert und dabei auch beleidigt.
Am Tag nach der Erklärung der Mainzer Staatsanwaltschaft, man habe "mögliche strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen" können, frohlockte Böhmermann in einer weitgehend eher ernst gehaltenen Videobotschaft, "dass die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss gekommen ist, dass ich - verkürzt gesagt - ein unseriöser Quatschvogel bin, der beruflich Blödsinn macht".
Den zweiten (Hamburger) Gerichtsschauplatz sprach Böhmermann nicht an. Und auch nicht die Tatsache, dass Erdogan Beschwerde gegen die (Mainzer) Entscheidung eingelegt hat. Das übernehmen dafür nun Rechtsexperten.
"Zivilgericht steht unter gewissem Druck"
Man müsse klar trennen zwischen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Vorgängen, stellt der Jurist und Journalist Thomas Becker gegenüber dem Evangelischen Pressedienst klar. In beiden Verfahren gölten unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe: Bei der Staatsanwaltschaft gehe es darum, "ob ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist". Im Zivilprozess dagegen werde geprüft, wer den Nachweis führen könne, dass er Recht habe. Doch, betont Becker, "natürlich steht ein Zivilgericht unter einem gewissen Druck, wenn eine Staatsanwaltschaft eine so ausführliche Erklärung herausgibt".
Dass Erdogan offiziell Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens vorgehen will, wie sein deutscher Anwalt bekannt gab, hat für den Kölner Medienanwalt Markus Kompa wenig Aussicht auf Erfolg: Juristisch bedeute das Urteil, "dass der Staat raus ist". Das könne man auch nicht mehr korrigieren. Für Kompa ist die Entscheidung ein Sieg für die Satire - und für Böhmermann.
Kompa verteidigt Angela Merkel gegen die Kritik von Böhmermanns Anwalt, sie habe eine öffentliche Vorverurteilung vorgenommen; die Bundeskanzlerin hatte das "Schmähgedicht" als "bewusst verletzend" bezeichnet. Merkel habe richtig entschieden, die Staatsanwaltschaft entscheiden zu lassen, befindet der Anwalt.
Und offenbar stellt die Bundesregierung schon gerade die Weichen für eine aus Sicht Kompas und anderer Juristen richtige Entscheidung: die baldige Abschaffung von Paragraf 103, also des Strafrechtsparagrafen zur Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes. Auf dessen Grundlage hatte die Bundesregierung den strafrechtlichen Ermittlungen gegen Böhmermann zugestimmt.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erklärte nach dem Treffen Koalitionsspitzen, man werde voraussichtlich im kommenden Jahr den sogenannten "Majestätsbeleidigungs-Paragrafen" streichen - also früher als 2018, wie von Angela Merkel bislang angekündigt.
(bor/jcs)