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Börsencrash in China
"Die große China-Story ist vorbei"

Der erneute Kurssturz an der chinesischen Börse ist Ausdruck eines massiven Vertrauensverlusts in die Regierung, urteilt der Ostasienwirtschaftler Markus Taube. "Alle Marktakteure sehen, dass die Kommunistische Partei offensichtlich ihre frühere Steuerungskapazität verloren hat", sagte Taube im DLF. Die nervösen Reaktionen der anderen Märkte hält Taube jedoch für überzogen.

Markus Taube im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Ein chinesischer Investor fotografiert eine Anzeigetafel für Aktienkurse, nachdem der Handel kurz nach Öffnung der Börse am 7.1.2016 gestoppt wurde. Grüne Zahlen zeigen fallende Kurse.
    Ein chinesischer Investor fotografiert eine Anzeigetafel für Aktienkurse, nachdem der Handel kurz nach Öffnung der Börse am 7.1.2016 gestoppt wurde. Grüne Zahlen zeigen fallende Kurse. (picture alliance / dpa / Imaginechina / Zhuang Yi)
    Ann-Kathrin Büüsker: Der NASDAQ schloss 3,1 Prozent tiefer bei 4.305 Punkten und der Dow Jones schloss 2,3 Prozent tiefer bei 16.514 Punkten. Auch hier also die Auswirkungen des Kurssturzes an der chinesischen Börse spürbar. Vor dieser Sendung habe ich mit Markus Taube gesprochen, er ist Professor am Lehrstuhl für Ostasienwirtschaft mit Schwerpunkt China der Uni in Duisburg und ich habe ihn gefragt, wie er sich diesen zweiten Kurssturz innerhalb weniger Tage erklärt?
    Markus Taube: Das, was wir in China im Moment definitiv sehen, ist ein massiver Vertrauensverlust. Alle Marktakteure sehen, dass die Kommunistische Partei offensichtlich ihre frühere Steuerungskapazität verloren hat. Bislang war der chinesische Markt immer ein in erster Linie politisch getriebener. Also, Fundamentaldaten haben kaum eine Rolle gespielt und es war das Vertrauen einfach darin, dass die Partei, der Staat im Endeffekt die Richtung vorgibt. Und die Partei hat bislang einfach nach oben vorgegeben. Jetzt ist es so, dass diese Führungsfunktion fehlt und dass der Staat mehrfach versagt hat auf seine eigenen Versprechen hin.
    Büüsker: Es gibt ja dieses neue Konstrukt, das den Handel auch aussetzt, wenn die Verluste zu groß sind. Das hat heute auch wieder gegriffen, zum zweiten Mal bereits in diesem Jahr, innerhalb weniger Tage. Kann dieser Mechanismus dann was zum Positiven verändern oder versagt die Regierung auch da?
    Taube: Abgesehen davon, dieser Mechanismus ist heute außer Kraft gesetzt worden. Nachdem er zweimal in Kraft gesetzt worden ist, also implementiert worden ist, hat man ihn jetzt gestoppt und wird ihn nicht weiter benutzen, weil man eben gesehen hat, das funktioniert so nicht, wie man sich das vorgestellt hat. Man hatte gesagt, man versucht dadurch einfach Exzesse zu vermeiden und dann eine stabile Basis zu schaffen, auf der man am nächsten Tag weitermachen kann. Das hat offensichtlich nicht geklappt und ist eben Ausdruck dieses fundamentalen Vertrauensverlustes innerhalb der chinesischen Anlegerschaft.
    Büüsker: Inwieweit sind Probleme der Wirtschaft auch Auslöser für diesen Börsencrash?
    Taube: Natürlich kommt hier ein Gesamtgemenge zum Tragen. Wir haben momentan relativ schlechte Konjunkturdaten, die chinesische Volkswirtschaft ist definitiv im Abschwung begriffen. Aber der zentrale Punkt ist eigentlich weniger die Konjunktur als viel mehr das politisch-ökonomische Dilemma, in dem die chinesische Volkswirtschaft momentan drin sitzt. Wir haben seit gut zwei Jahren die Antikorruptionskampagne in China laufen, die einfach auch dazu führt, dass Entscheidungen nicht mehr getroffen werden. Das heißt, die Investitionstätigkeit wird zurückgestellt, weil niemand sich mehr traut, Genehmigungen zu geben und so weiter und so fort. Das nimmt der gesamten Volkswirtschaft einfach momentan Dynamik und bringt einen Abwärtsdruck hinein.
    Ein keynesianisches Konjunkturprogramm könnte stabilisierend wirken
    Büüsker: Was wäre aus Ihrer Sicht denn dann jetzt die richtige Reaktion seitens der Regierung?
    Taube: Es klingt sehr unorthodox, aber wahrscheinlich ist es in der momentanen Situation tatsächlich eher angesagt, ein klassisches Konjunkturpaket wieder aufzusetzen, einen Stimulus, indem der Staat einfach in großem Maße Geld in die Volkswirtschaft hineinpumpt, einfach ein klassisches keynesianisches Konjunkturprogramm, indem einfach staatlich induziert Nachfrage geschaffen wird und damit einfach die volkswirtschaftliche Dynamik auf einem grundlegenden Level wieder stabilisiert wird. Die vertrauensbildenden Maßnahmen sind alle desavouiert, sind gescheitert, und auf dieser Ebene glaube ich auch nicht, dass innerhalb des nächsten halben Jahres eine Möglichkeit besteht, die Volkswirtschaft wieder herumzureißen.
    Büüsker: Inwieweit bedeutet denn dieser Börsencrash tatsächlich etwas für die chinesische Bevölkerung? Also, spüren die Menschen was davon?
    Taube: Nun, die chinesische Bevölkerung, diejenigen, die es sich einigermaßen leisten können, sind durchaus spekulativ veranlagt, und wir haben eine relativ hohe Aktienquote hier. Dazukommt, dass vor gut einem Jahr die chinesische Regierung einen leveraged Handel zugelassen hat, das heißt, dass hier auch einige Privatpersonen - eine große Anzahl an Privatpersonen - mit Krediten im Aktienmarkt drin sind. Das heißt, die haben Gelder aufgenommen, Kredite, und die an der Börse investiert und das führt einfach über die letzten Wochen und Monate dazu, dass hier eine ganze Reihe von Privatpersonen sehr, sehr, sehr viel Geld verloren haben und das jetzt persönlich natürlich spüren. Hier sind im Endeffekt auch Alterssicherungen, Krankensicherungen und so weiter und so fort einfach vernichtet worden.
    Büüsker: Sehen Sie da das Potenzial aus Reihen der Bevölkerung, dass sich politisch etwas verändern könnte?
    Taube: Nein. Wenn in China eine politische Veränderung ansteht, dann meines Erachtens allein auf der Ebene der umweltbedingten Schäden. Also Gesundheitsverluste, reduzierte Lebenszeit et cetera, et cetera. Da sind die Menschen sensibel. Auf der rein monetären Ebene, glaube ich, ist der Leidensdruck noch weit nicht hoch genug, um hier ernsthaft die Kommunistische Partei zu gefährden.
    "Die Reaktionen, die wir hier sehen, sind deutlich überzogen"
    Büüsker: Die Märkte reagieren ja weltweit im Moment sehr stark. Der DAX ist erstmals seit Monaten wieder unter die 10.000-Punkte-Marke gerutscht. Jetzt haben Sie gesagt, Sie sehen da innerhalb des nächsten halben Jahres keine großen Veränderungen. Das heißt, die Weltwirtschaft wird jetzt noch länger unter diesen Folgen zu leiden haben?
    Taube: Nun, ich denke, die Reaktionen, die wir hier sehen, sind deutlich überzogen. Natürlich, dass die chinesische Volkswirtschaft an Wachstum verlieren wird, ist ein Faktum. Das ist aber auch ein Faktum, was wir seit zwei, drei Jahren wissen. Alle haben sich darauf einstellen können und die großen Unternehmen werden sich darauf eingestellt haben. Dass es jetzt ein bisschen hapert, dass es jetzt ein bisschen holprig wird, ist auch nichts, was man nicht in seiner Strategie beinhalten sollte, inkludiert haben sollte.
    Von daher ist das jetzt kein Event, um die Börsen in Deutschland gerade hier sieben Prozent nach unten rauschen zu lassen seit Anfang des Jahres. Es ist einfach Ausdruck dessen, dass man unsicher ist, wie es in China weitergehen wird. Denn diese fünf Prozent, über die wir jetzt gerade sprechen als neue Zielgröße für China, also runter von zehn Prozent, die wir mal hatten, dann hatten wir die sieben Prozent, jetzt rauschen wir deutlich runter, 6,5, in fünf Jahren werden wir fünf haben, wird es auch in Ordnung sein. Das ist die Zielgröße.
    Wenn China den Strukturwandel schafft, den Strukturwandel von nachholendem Wachstum hin zu endogenem, innovativem und konsumgetriebenen Wachstum, wenn das gelingt, dann wird China fünf Prozent, sechs Prozent schaffen. Wenn es nicht gelingt, dann haben wir Wachstumsraten, die eher im Bereich von zwei Prozent liegen, dann haben wir eher Stagnation. Und dann haben wir natürlich einen Effekt, der so manchen Business Case auch von deutschen Unternehmen in China gefährdet. Und das ist die große Unsicherheit, ob es China wirklich schaffen wird, diese fünf, sechs Prozent anzusteuern.
    "China ist kein Exportstandort mehr"
    Büüsker: Und was bedeutet das dann konkret für deutsche Unternehmen? Wie müssen die sich mit Blick auf China aufstellen?
    Taube: Ein Großteil unserer deutschen Maschinenbauer, unseres Automobilsektors ist bereits voll investiert in China. Das heißt, die, die rechtzeitig drin waren, haben den chinesischen Boom voll mitgenommen und haben hiermit reüssieren können. Die deutsche Automatisierungsindustrie ist voll engagiert und begleitet den Strukturwandel in China weg vom arbeits- zum kapitalintensiven Wachstum und Entwicklungsprozess. Da sind deutsche Unternehmen fest dabei und ich denke, dass diese Business Cases grundsätzlich funktionieren. Ansonsten muss man sich absolut neu positionieren in China. China ist kein Exportstandort mehr, wenn dann geht es jetzt um Konsum. Das heißt, man muss die Konsummärkte in China neu erschließen, das bleibt weiterhin ein großer Markt. Wir haben 1,3 Milliarden Menschen, viele von denen konsumgütertechnisch noch nicht voll erschlossen, hier kann man weiter wachsen, auch in einem China, was drei, vier, fünf Prozent pro Jahr wächst. Aber ansonsten gilt es, weiter herauszudiversifizieren neue, große Boommärkte zu suchen. Die große China-Story ist vorbei.
    Büüsker: Markus Taube war das, Professor für Ostasienwirtschaft mit Schwerpunkt China der Uni in Duisburg. Mit ihm habe ich gesprochen über die Kursverluste der Börse in China und die Auswirkungen auch auf die deutsche Wirtschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.