Claudia Wehrle: Ich habe kurz vor dieser Sendung mit Jörg Funder gesprochen, Professor für strategisches Management und Unternehmensführung im Handel an der Hochschule Worms. Von ihm wollte ich zunächst wissen, wohin denn das viele Geld fließt, das der Essenslieferant beim Börsengang heute eingenommen hat.
Jörg Funder: Das ist gar nicht so viel wie man glaubt. Das ist in etwa eine Milliarde, die zur Hälfte Delivery Hero zusteht, zur anderen Hälfte dem Altaktionär Rocket Internet, und aus diesem Grund sollen die 500 Millionen, die Delivery Hero jetzt vereinnahmen kann, dafür genutzt werden, Schulden zu tilgen und Darlehen zurückzuzahlen, zum Beispiel an Goldman Sachs, und der verbleibende Wert sind etwa 150, 200 Millionen sollen für weiteres Wachstum generiert werden.
Wehrle: Also viel bleibt da nicht mehr übrig für neue Strategien.
Funder: Nein.
Wehrle: Die Konkurrenz ist groß: Amazon und Facebook probieren aus, ob sie auf dem Markt für Essenslieferungen etwas holen können. Der Fahrdienstvermittler Uber will ein Stück vom Kuchen abhaben. Werden sich denn vor diesem Hintergrund die Töchter von Delivery Hero wirklich behaupten können?
Funder: Gut, dieser Wettbewerb, den Sie erwähnt haben, der findet im Moment vorrangig in den Vereinigten Staaten statt. Es ist eine Frage der Zeit, bis sie letztendlich auch andere Märkte attraktiv finden, insbesondere den deutschen Markt. Das heißt, alles, was in den USA passiert, wird über kurz oder lang auch hier passieren, und das ist vor allen Dingen eines: Amazon ist ein Logistikunternehmen und ein Technologiekonzern, und die sind sehr routiniert, was Logistik angeht, haben letztendlich jetzt auch im Lebensmittelhandel deutlich Fuß gefasst mit der Übernahme von Whole Foods, und das ist ein ernstzunehmender Konkurrent. Was das für die Töchter von Delivery Hero bedeutet, das bleibt abzuwarten, aber es bleibt hochaggressiver Wettbewerb, der sehr viele Investitionen erfordert, und das drückt vor allen Dingen eins: die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen kurzfristig profitabel wird.
Wehrle: Das Konzept Essen zu liefern mag in großen Städten funktionieren, auf dem flachen Land sieht es ein bisschen anders aus. Da könnten die Speisen ja sehr schnell kalt werden.
Funder: Ja, das stimmt. Das ist ein Konzept, was auch insbesondere befeuert wird von den Einkaufsgewohnheiten oder Konsumgewohnheiten der Großstädte oder der Mittelstädte vielleicht auch noch. Davon gibt es in Deutschland gar nicht allzu viele. Das reicht letztendlich aber vom Volumen her aus, dass es interessant ist. Im ländlichen Raum kann man es auch benutzen, aber Sie sagten es bereits: Das sind lange Wege, da kann die Pizza auch schon mal kalt werden.
Wehrle: Sie machen sich schon von Berufs wegen Gedanken darüber, welche Konzepte im Handel in Zukunft funktionieren könnten. Auf was müssen wir uns da einstellen?
Funder: Diese Konzepte, wie es Delivery Hero betreibt, ein reines Blattformkonzept, ein Ökosystem aufzubauen, hat eine gewisse Schwierigkeit: Sie müssen eine Seite kontrollieren – entweder den Lieferanten, also die Restaurants in dem konkreten Falle, oder aber den Kunden. Weil letzterer sozusagen nur schwer zu kontrollieren, wird es letztendlich eine Abhängigkeitssituation der Restaurants geben müssen, und genau das ist vielleicht auch hier die Problematik. Es betrifft ja im Wesentlichen Restaurants, die nicht stark genug sind, ihre eigene Kapazität auszuschöpfen. Wenn es ein profitables, ein gutgehendes Restaurant gibt – und das muss nicht high cuisine sein, das kann auch die Pizzeria um die Ecke sein –, dann gibt es für die überhaupt gar keine Notwendigkeit, zehn Prozent ihres Preises oder für ein Produkt abzugeben an Delivery Hero.
Wehrle: Also da fehlt noch ein bisschen was.
Funder: Es fehlt eine langfristige Strategie, um eine der beiden Seiten tatsächlich an sich zu binden. Das heißt, Delivery Hero wird mittelfristig daran arbeiten müssen, eigene, echte operative Wertschöpfung herstellen zu müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.