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Böses Erwachen

Gut eine Woche vor dem Ende der Salzburger Festspiele darf Bilanz gezogen werden: Emblematisch zeigt das Gastspiel der britischen Regisseurin Irina Brooks mit ihrer Inszenierung von Shakespeares "Sturm", welches Theater der neue Schauspiel-Chef Sven-Eric Bechtolf in Salzburg haben will.

Von Karin Fischer |
    Er wolle sein Schauspielprogramm nicht unter ein Motto stellen, und für die Auswahl "seiner" Regisseure gehe er immer der Nase nach – seiner Nase, hatte Sven-Eric Bechtolf erklärt. Mit dem Gastspiel "Sturm" der Compagnie von Irina Brook erschloss sich wenigstens sehr deutlich, welches Theater der neue Schauspiel-Chef will: ein lebendiges, farbiges, buntes, das der Phantasie der Zuschauer großen Raum lässt und sie verzaubert in die Wirklichkeit entlässt. Hier im wortwörtlichen Sinne, denn in Brooks Interpretation hat nicht nur Prospero, der sein Reich verlor und mit seiner Tochter Miranda auf eine einsame Insel verbannt wurde, übernatürliche Kräfte und einen Zauberstab. Ihr Luftgeist Ariel kann wirklich zaubern, wenn er sich manchmal auch dumm anstellt dabei, und der fremde Gast Alfredo bezaubert Prosperos Tochter Miranda, indem er mit gleich vier Zwiebeln jongliert. Und da der Alte "Maestro di Pasta" ist und das Ganze in einer aus Strandgut zusammen-improvisierten Küche spielt, durchzieht zu Beginn Knoblauchduft die Hallen und werden später die Spaghetti Vongole aus dem Hut gezaubert.

    Das ist "bella Commedia" und begeistert die Zuschauer, die hier ähnlich große Augen kriegen wie im Zirkus: wie machen die das bloß? Dass bei dem multinationalen Ensemble, das noch dazu französisch spricht, Shakespeares Sprache auf der Strecke bleibt und die Machtverhältnisse sich eben auch nur auf der Ebene von Chefkoch und Küchenjunge durchdekliniert lassen: Schwamm drüber, Hauptsache, es ist lustig. Das Kind im Menschen ist auch angesprochen, wenn Bechtolf, zum ersten Mal, Puppentheater nach Salzburg holt. Nicht der Schauspieler übernimmt hier die Rolle, sondern sogar unbelebte Figuren werden durch ihn lebendig. Der Gipfel des Illusionstheaters, möchte man meinen. Häufig aber auch der Gipfel an Hölzernheit und Eindimensionalität, wie man an der naiven, völlig ungebrochenen Version von Ferdinand Raimunds "Bauer als Millionär" sehen konnte, die das Nürnberger Puppentheater "Thalia und Kompagnons" inszenierte.

    Gisèle Vienne, die eine Produktion im "Young Directors Project" bestritt und mit einem zweiten Stück in Salzburg vorgestellt wurde, gehört mit Irina Brook oder Cornelia Rainer zu den in Deutschland unbekannten Regie-Frauen. Auch sie setzt auf Bildertheater, wenn auch unter düstersten Vorzeichen. Nebel wabert, Musik dröhnt, das Geschehen auf der Bühne oder in der Eisarena ruft diffuse Assoziationen von Bedrohung oder Verstörung auf, die sich allerdings in völliges Nichts auflösen. "Schön" ist auch das, im Sinne von schön anzusehen, aber die Geschichte der Eisprinzessin im einen und der Turnerin im anderen Stück verblassen so schnell wie eine nächtliche Phantasie von Gymnastik-Schülerinnen. Dabei gibt es in "This is how you will disappear" sogar echte Raubvögel auf der Bühne.

    Und viel Wald. Ja, der Wald. Symbol deutscher Romantik und aller unserer Alpträume. So wie in der Felsenreitschule gerne die Rundbögen der Felsenreitschule als Bühnenbild zitiert werden, war im Theater gleich drei Mal Wald zu sehen: als Kriegsschauplatz mit verkohlten Stümpfen bei Andrea Breth, als tiefenpsychologisch deutbarer Untergrund in Gisèle Viennes düsterer Traumwelt, und als Tatort beim Stück von Händl Klaus. Das ist mehr als ein Zufall, es ist vielmehr ein Zeichen fürs Naturnahe, Echte: Bechtolfs Regisseure wollen Tiefe und Durchdringung signalisieren; für oberflächliche mediale Zeichen, für Videoscreens und das ganze moderne Zeug ist hier kein Platz.

    Ein solches Schauspielprogramm mag dem durch postmoderne Shakespeare-Schlachten und Molière-Marathons schwer geschundenen Salzburger Publikum gut tun, es ist insgesamt misslungen, unter anderem, weil – jenseits platter Aktualisierung – jeder Bezug zur Jetztzeit fehlt. Wenn man nicht zufällig "Missbrauch” als Signum der Zeit ausmacht, der gleich in drei verschiedenen Stücken angedeutet wird. Ansonsten: Ein historisierter Lenz, ein 80er-Jahre Peer Gynt, ein Shakespeare vom Zirkus, Bildertheater ganz ohne oder mit schwachem Text im Young Directors Project. Selbst die gestern besprochene bejubelte Händl Klaus-Premiere mit der Musikbanda Franui ist ein musikalisch-poetisches Experiment, aber kaum nachspielbar und insgesamt vielleicht auch ein großer Schmarrn. Bleibt Andrea Breth als Heroine der Sprach- und Zeichendeutung, mit ihrem auch nicht unumstrittenen "Prinz Friedrich von Homburg”. Sie kann sich wenigstens auf einen Traum herausreden. Für die Kritik gab es in Salzburg in diesem Jahr ein böses Erwachen.