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Boitos "Mefistofele" und Verdis "Traviata" auf DVD
Düstere Szene und Zirkuswelt

Mit "Othello" und "Falstaff" schrieben sie Operngeschichte: Giuseppe Verdi und sein Librettist Arrigo Boito. Dabei war auch Boito als Komponist tätig. Seine Oper "Mefistofele" ist jetzt ebenso wie Verdis "La Traviata" auf DVD erschienen.

Von Christoph Vratz |
    Bierzeltstimmung im ersten Akt von Arrigo Boitos "Mefistofele" an der Bayerischen Staatsoper
    Zwischen Bedrohung und Bierzeltstimmung: Boitos "Mefistofele" in München (Imago)
    Was zu Beginn wie ein Alptraum begonnen hat, kehrt am Ende, in anderer Form, zurück. Denn Mefistofele, der große Menschenverführer, würde sein böses Spiel am liebsten wieder von vorn beginnen.
    Musik: Boito, Mefistofele
    Massenszene und Tumult dominieren gegen Ende von Arrigo Boitos Oper "Mefistofele" in der Produktion der Münchner Staatsoper. Es ist eine Aufführung mit vielen Premieren: für den Regisseur Roland Schwab und für den Dirigenten Omer Meir Wellber; für einige der singenden Hauptdarsteller und vor allem für das Haus selbst, denn "Mefistofele" wurde zuvor noch nie in München aufgeführt.
    Düsteres Szenario im "Mefistofele"
    Im Prolog ist die Erde noch wüst und leer, wie nach einer Fete, die aus den Fugen geraten war:
    Musik: Boito, Mefistofele
    Aus einem Grammophon dröhnen grelle Laute, anrüchige Damen in schwarzem Leder und zottelige Mannsgesellen räkeln sich. Nur einer behält in dieser dekadenten Welt den Überblick: Mefistofele, der Strippenzieher, der die Menschen nach seiner Pfeife tanzen und in seinen Bann ziehen möchte und in Faust ein willkommenes Opfer findet.
    Musik: Boito, Mefistofele
    René Pape singt die Titelrolle: beeindruckend. Zwar geht ihm die Schwärze in der Stimme ab, dafür singt er fast zu schön, zu wohlig; doch nimmt er mit seiner kernigen, kraftvollen und vor allem so wunderbar musikalisch geführten Stimme den Hörer gefangen.
    Auch die beiden anderen Hauptdarsteller sind tadellos besetzt: mit Kristine Opolais als Margherita und insbesondere mit Joseph Calleja. Sein Faust ist ein Ereignis; ein Tenor, der leise singen kann, ohne an Verständlichkeit einzubüßen, und der im Lauten ungetrübt hell strahlen kann. Seine Bögen, seine Attacken – alles sitzt und passt.
    Musik: Boito, Mefistofele
    Statische Inszenierung
    Und doch bleibt ein Manko: Calleja kann oder darf sich nicht so bewegen, wie man es sich gewünscht hätte. Und auch Mefistofele geht viel, steht oder agiert an der Rampe. Es ist die Personenregie von Roland Schwab, die nicht ganz befriedigt. Es fehlt an Nuancen, Gesten, Bewegungen. Der Zuschauer möchte tiefer blicken in die Seelen der Beteiligten, er möchte erkennen, was in ihnen vorgeht.
    Ansonsten kann die Inszenierung durchaus punkten. Schwab und sein Bühnenbildner Piero Vinciguerra setzen oft auf die Kraft opulenter Bilder. Zu Beginn ragen gewölbte Stahlgerüste in den Himmel. Mefistofele zerrt Faust an einer Kette aus der Versenkung – es ist eben ein Spiel um Macht und düstere Mächte. Im ersten Akt sind wir dann mitten auf einem Oktoberfest, mit Wiesn-Karussell und viel Schicke-Micki. Schwab zeigt uns eine mal schrille, aber im Grunde immer wieder düstere, groteske, abgründige Welt – surreal und real zugleich.
    Musik: Boito, Mefistofele
    Bleibt das Bayerische Staatsorchester. Omer Meir Wellber holt alles heraus, was die Partitur an Farben und Effekten zu bieten hat. Doch der junge Israeli am Pult meidet dabei zum Glück die Übertreibungen. Er lotet genau aus, was geht und was nicht, und fördert dadurch die ganze Palette an rhythmischen Feinheiten, an Tutti-Kraft und an zarten Solo-Passagen hervor.
    "Traviata" als Zirkusweltparabel
    Wo der Münchner "Mefistofele" die Welt oft düster und schwer zeichnet, kommt – wie ein Gegenentwurf – eine Aufführung von Verdis "La Traviata" aus dem Festspielhaus in Baden-Baden daher. Beiden Aufführungen gemeinsam ist die Kraft der Bilder. Denn die Verdi-Oper hat Rollando Villazón inszeniert. Der Tenor, der hier nicht singt, sondern ausschließlich Regie führt.
    Musik: Verdi, La Traviata
    Villazón verlegt das Geschehen aus den Pariser Salons in eine farbige Zirkuswelt – und zeigt uns damit die Geschichte um die lebenshungrige Kurtisane Violetta als Parabel auf eine Spaß- und Event- Gesellschaft. Die sonnt sich im Glanz der Unterhaltung, lässt sich von Masken und Artistik blenden, findet aber kaum ein Auge für die beiden Liebenden und die am Ende sterbende Violetta.
    Villazón, der sich in der Vergangenheit mehrfach gegen die Auswüchse des modernen Regie-Theaters ausgesprochen hat, erzählt uns "La Traviata" als bunte Geschichte, verspielt, ideenprall und insgesamt stimmig. Dabei legt er die ganze Geschichte als Rückblende an. Violetta erlebt die ganze Handlung, in einem Fiebertraum als Sterbende, noch einmal.
    Musik: Verdi, La Traviata
    Verdi mit historischen Instrumenten
    Die drei zentralen Sängerpartien sind gut bis sehr gut besetzt, mit Simone Piazzola als Vater Germont, Atalla Ayan als Alfredo und – allen voran Olga Peretyatko als Violetta.
    Musik: Verdi, La Traviata
    Besonders an dieser Produktion ist auch, dass mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble ein Orchester zur Verfügung steht, das auf historischen Instrumenten spielt – bei Verdi immer noch eine Seltenheit. Pablo Heras-Casado am Pult findet einen jederzeit angemessenen, vitalen, aber auch wandlungsfähigen, melancholischen Verdi-Ton. Insgesamt ist diese "Traviata" zwar nicht spektakulär, aber sehens- und hörenswert. Eine "Traviata", der man jederzeit anmerkt, dass der Regisseur vor allem eines möchte: eine ins sich schlüssige Geschichte erzählen, die uns berühren und nachdenklich machen soll.
    Arrigo Boito
    Mefistofele
    René Pape (Mefistofele)
    Joseph Calleja (Faust)
    Kristine Opolais (Margherita)
    Karine Babajanyan (Elena)
    Heike Grötzinger (Marta)
    Bayerisches Staatsorchester
    Omer Meir Wellber
    Regie: Roland Schwab
    Bühnenbild: Piero Vinciguerra
    C Major: Bluray 739304; 814337013936; LC -/-
    DVD 739208; 814337013929
    Giuseppe Verdi
    La Traviata
    Olga Peretyatko (Violetta)
    Atalla Ayan (Alfredo)
    Simone Piazzola (Germont)
    Emiliano Gonzalez Toro (Gastone)
    Tom Fox (Baron Douphol)
    Christina Daletska (Flora)
    Balthasar-Neumann-Chor
    Balthasar-Neumann-Ensemble
    Pablo Heras-Casado
    C Major: Bluray 733804; 814337013387; LC -/-
    DVD 733708; 814337013370