Dschihadisten-Gesänge, vermummte Männer, Maschinengewehre, Rollpanzer, die Savanne im Hintergrund: Das alles ist bekannt von den Videos der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram. Doch in ihrer jüngsten Internetbotschaft steht im linken oberen Bildrand nun "Islamischer Staat Westafrika". Dazu bewegt sich ein grüner Säbel, es weht animiert die schwarze Fahne des IS. Boko Haram-Sprecher Abubakar Shekau ist nicht mehr zu sehen, es spricht ein Unbekannter. Der sagt allerdings nichts Neues:
"Hier im Sambisa-Wald kann uns niemand zerstören. Viele Stunden kann man hier ungehindert unter der schwarzen Fahne des Islam herumfahren. Lasst Euch nicht täuschen: Wir sind hier Tausende Mujaheddin!"
Dann hält der Unbekannte Ausweise in die Kamera – sie sollen von getöteten nigerianischen Soldaten stammen. Klare Botschaft: "Auch wenn Ihr uns jetzt massiv bekämpft: Wir sind noch da." Das sind sie tatsächlich: Allein in den letzten Tagen haben Islamisten bei Selbstmordattentaten und Bombenanschlägen im Norden Nigerias wieder mehr als einhundert Menschen getötet.
Boko-Haram-Videos mit Hilfe des IS produziert
Schon letztes Jahr hatte Boko-Haram-Anführer Shekau verkündet, seine Kämpfer hätten IS-Chef Abubakar al Baghdadi die Treue geschworen. Seitdem hatten sich Shekaus Gesten, seine Reden, das ganze Erscheinungsbild der Videos immer mehr der Bildersprache des IS angeglichen - es wurden sogar schon Enthauptungen gezeigt, so wie in den Videos des Islamischen Staates. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Boko-Haram-Videos mit Hilfe des IS produziert werden. Für Nnamdi Obasi von der International Crisis Group steckt hinter der Optik aber wesentlich mehr: eine organisatorische und finanzielle Allianz des Terrors.
"Nigeria und seine Partner müssen nun besonders auf diese internationalen Kontakte von Boko Haram achten. Es geht längst nicht mehr um konventionelle Kriegsführung. Es könnte nun zu noch viel mehr Guerilla-Aktionen kommen, zu noch mehr Anschlägen, zu einem noch asymmetrischeren Krieg. Die Geheimdienste werden alles tun müssen, um das zu verhindern. Es wird auf eine neue gemeinsame Strategie ankommen."
Regionale Anti-Terror-Einheit soll Gestalt annehmen
Genau diese Strategie treibt Nigeria voran. Präsident Muhammadu Buhari, seit Ende Mai im Amt, kann es gar nicht schnell genug gehen - anders als seinem zaudernden Vorgänger Goodluck Jonathan. Das Kommandozentrum der nigerianischen Armee lässt Buhari von der Hauptstadt Abuja direkt nach Maiduguri verlegen, in den Gründungsort von Boko Haram. Und: Nach einem vertanen Jahr müsse nun die regionale Anti-Terror-Einheit Gestalt annehmen, so Nigerias Armee-Chef Alex Badeh:
"Terroristen kümmern sich nicht um Landesgrenzen, sie schlagen überall zu. Ganze Regionen sind instabil und unsicher geworden. Dies ist eine globale Bedrohung geworden. Wann wenn nicht jetzt sollten wir unsere Differenzen beiseiteschieben und mit einer Stimme sprechen? Wir müssen enger zusammenarbeiten und endlich diese multinationale Truppe auf den Weg bringen."
Fast 9.000 Mann aus Nigeria, Tschad, Kamerun und Benin sollen so bald wie möglich gegen den islamistischen Terror kämpfen. Gemeinsam. Bemerkenswert, findet Nnamdi Obasi von der Crisis Group. Denn lange habe sich das stolze Nigeria gemeinsamen Operationen mit den Nachbarländern verweigert.
"Nigeria akzeptiert, dass das Hauptquartier der neuen multinationalen Truppe im Tschad sein wird, und der Tschad akzeptiert, dass ein General aus Nigeria diese Truppe führen wird. Nigeria beweist damit, dass es sensibler geworden ist und auf die Bedenken der Nachbarn eingeht - und diese Nachbarn beweisen, dass sie mehr Vertrauen in Nigeria haben."
Gemeinsamer Kampf gegen den Terror
Buhari muss seine Mitstreiter überzeugen - und deshalb dürfte er bei seinem Besuch beim G7-Gipfel in Elmau besonders für die Unterstützung der multinationalen Truppe geworben haben. Die Truppenteile werden zwar von den einzelnen Ländern finanziert, aber nötig sind zusätzlich 30 Millionen US-Dollar allein für das erste Jahr - für Waffen, Fahrzeuge, Helikopter, Logistik, Unterkünfte - und Entwicklungshilfe. Wasser, Nahrungsmittel, Schulen,- all das soll dem Terror den Wind aus den Segeln nehmen und verhindern, dass Boko Haram und IS in den ärmsten Regionen immer neue Kämpfer ködern.
Ibrahim Issah tschadischer Botschafter in Nigeria
"Sicherheit in diesem Teil Afrikas ist nicht nur wichtig für uns, sondern für alle, sagt Ibrahim Issah, tschadischer Botschafter in Nigeria. Deswegen hoffen wir, dass die Internationale Gemeinschaft begreift, was hier auf dem Spiel steht. Und wir hoffen, dass wir mit internationaler Hilfe das nötige Geld für unsere Strategie zusammenbekommen."
Dass die Zeit drängt, beweist der zweite Teil des Boko-Haram-IS-Videos. Unterlegt mit Musik werden Kämpfer gezeigt, die Soldaten und Zivilisten per Kopfschuss exekutieren. Ein zweiter Anführer bejubelt mit seinen Anhängern den angeblichen Abschuss eines nigerianischen Kampfjets.
Bleibt noch die Frage nach Boko-Haram-Chef Shekau:
"Dass Abubakar Shekau nicht mehr zu sehen ist, könnte natürlich bedeuten, dass er tot ist. Sagt Nnamdi Obasi von der Crisis Group. Es könnte aber auch sein, dass er mit der Öffentlichkeit spielt - es wäre nicht das erste Mal, dass er totgesagt wurde und danach zurückkam auf den Bildschirm. Diese Verunsicherung nutzt er wahrscheinlich gerade aus."