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Bolivien
Das größte Shoppingcenter der Welt

Für viele ist der Straßenmarkt von Cochabamba in Bolivien, die Cancha, das größte Shoppingcenter der Welt. Die Stände der Händler verteilen sich über mehrere Stadtteile und es ist nicht ganz einfach, zu finden, was man sucht. Diese Erfahrung hat auch unsere Reporterin gemacht.

Von Linda Vierecke und Christoph Peters |
    Auf einem Marktstand in La Paz verkaufen mehrere Frauen Lamafleisch (15.03.2013).
    Auf der Cancha in Cochabamba geht es ähnlich zu wie auf diesem Straßenmarkt in La Paz. (afp / Aizar Raldes)
    Mit dem Sammeltaxi die Avenida Ayacucho runter, beim Busbahnhof raus und schon bin ich mittendrin. Ein enges Gewusel von hektischen Kunden und fliegenden Händlern. Ich bekomme Leggins, Töpfe und Fliegenklatschen unter die Nase gehalten.
    All das aber will ich gar nicht haben. Denn heute bin ich auf der Suche nach etwas ganz Speziellem: Ich brauche Sicherheitsnadeln. Auf Spanisch sind das "Ganchos".
    "Donde estan los ganchos - donde se vende ganchos? Ganchos de que? Ganchos para ropa. Por alla, secundo pasillo."
    Die drei Obstverkäuferin zeigen zwar alle in eine Richtung, erklären mir aber nicht den genauen Weg. Nach zwei Jahren Bolivien bin ich diese liebevollen, aber wenig hilfreichen Beschreibungen schon gewohnt. Trotzdem laufe ich los. Irgendwo da hinten wird es schon sein.
    Vorbei an den Saftverkäuferinnen - hier gibt es Ananas, Papaya und Apfelsaft für 10 Cent das Glas. Ich biege in eine enge Gasse – links und rechts haben Händlerinnen kleine Berge von unzähligen Kartoffelsorten aufgehäuft.
    Auf der Cancha wird Quechua gesprochen – eine der wichtigsten indigenen Sprachen des Landes. Trotzdem: Wenn es ums Geschäft geht, kann hier auch jeder Spanisch.
    "Wir verkaufen hier Leber, Herzen, Zunge und Darm von großen Stieren - alles filetiert, fertig zum Kochen."
    Augensuppe und Naseneintopf
    Ich stehe in einer Halle, halb so groß wie ein Fußballfeld. Voll mit Metzgerständen. Halbe Kühe und ganze Schweine werden zerlegt. Hier kommt wirklich nichts in den Müll.
    "Hier haben wir die Hufe und den Kopf vom Rind. Das sind die Augen, hier die Nase und die Zähne. Daraus kochen sich die Leute was Schönes, z. B. Augensuppe und Naseneintopf."
    Augen, Zähne und Hufe vom Rind. Nichts für meinen Magen. Aber ich bin ja auch nicht zum Fleischkaufen hier. Deswegen raus aus der Halle. Gleich neben den Schweineköpfen liegt die Welt der Musiker.
    Hier gibt es Gitarren, Trompeten, Pauken und Flöten. Und jegliches Zubehör und Ersatzteile. Das Angebot kann locker mithalten mit Musikfachgeschäften, die ich in Deutschland kenne. Ich staune, aber meine Mission habe ich nicht vergessen: Wo sind die Sicherheitsnadeln?
    "Estoy buscando ganchos, los chiquititos, los imperdibles. Al frente en los cassetes. Ah, gracias."
    Gleich gegenüber also. Weit kann es nicht mehr sein. Also kann ich hier doch kurz zuhören. So viel Zeit muss sein.
    "Die Charanago ist ein sehr typisches Instrument für Bolivien. Sie kommt aus der Provinz Alquile und hat fünf Doppelseiten. Ein sehr beliebtes Instrument nicht nur in Bolivien, sondern in der ganzen Welt."
    Für mich geht es weiter durch das Labyrinth der Cancha. Stehen bleiben kann ich hier nicht, denn es fahren große Busse, Sammeltaxis und Motorräder mitten durch den Markt. Besser gesagt: sie schleichen. Wer hier mit Verkehrsmitteln durch will, braucht Stunden.
    Zweites Frühstück auf der Cancha
    Von Ost nach West verschlingt die Cancha fast 30 Straßen. Bestimmt habe ich schon die Hälfte davon hinter mir. Wer hier täglich unterwegs ist, muss viele Kilometer laufen. Und das macht hungrig. Pünktlich um 10 Uhr gibt es überall auf der Cancha das zweite Frühstück.
    Deftiger kann ein Frühstück kaum aussehen: Hackfleisch, Bohnen, Hühnereintopf, dazu viel scharfe Soße. Die Teller werden bis oben gefüllt.
    "Man muss wissen: Cochabamba ist die gastronomische Hauptstadt Boliviens. Hier wird von morgens bis abends gekocht. Oft kann ich mich nicht entscheiden, was ich essen soll. Heute zum Beispiel gibt es bei mir Falschen Hasen, - also paniertes Fleisch mit einer leckeren Soße und Nudeln und das Ganze mit einer scharfen Soße. So muss das schmecken in Cochabamba."
    Ricardo Corellano kommt jeden Tag zum Frühstücken an diesen Stand. Er ist einer von 100.000 Kleinunternehmern, die hier ihre Geschäfte machen. Und einer von ihnen muss doch Sicherheitsnadeln verkaufen.
    "Hier auf der Cancha soll es ja alles geben, aber wo finde ich Sicherheitsnadeln? Na, da wo es hingehört. Hier draußen irgendwo bei der Kleidung. Man findet hier alles - man muss es nur suchen. Hier sollte man sich auskennen, - die Cancha ist halt sehr groß."
    Darauf einen leckeren Mokochinchi
    Dieser Mann ist wirklich keine Hilfe. Mittlerweile bin ich fast zwei Stunden unterwegs und noch sind die Sicherheitsnadeln nicht in Sicht. Ich gönne mir einen Mokochinchi - das typische Getränk der Cochabambinos: süßer Pfirsichsaft mit einer ganzen Frucht im Glas. Neben mir macht eine junge Frau mit vollgepackten Einkaufstaschen Pause.
    "Wenn ich hier in der Nähe bin, kaufe ich schnell Früchte, Gemüse oder Fleisch ein. Wenn die Schule losgeht, kaufe ich eine Schuluniform und Hefte und Bücher für meinen Sohn. Und in der Mittagspause komme ich oft zum Essen her. Hier gibt es einfach alles. Ich denke, die Cancha ist eine der wenigen Orte in der Welt, wo man alles finden kann."
    Diese Frau scheint sich auszukennen. Sie sollte doch wirklich wissen, wo es meine Sicherheitsnadeln gibt.
    "Sicherheitsnadeln? Die gibt es auf dem "Mercado de la Pampa", - zwei Straßen geradeaus."
    Ich mache mich auf den Weg. Und tatsächlich: Die ersten Indizien tauchen auf: Bergeweise T-Shirts, Hosen, Hemden - das allermeiste billige Importware aus China.
    Dann wird es bunt: Dicke Röcke in allen erdenklichen Farben baumeln von der Decke. Es sind sogenannte Polleras – die traditionellen Röcke der indigenen Frauen – Cholitas - wie sie hier genannt werden.
    "Hier habe ich Röcke für junge CHOLITAS zwischen 15 und 20 Jahren. Diese hier sind ein wenig länger, alles eine Geschmackssache. Einige glitzern und die hier sind eher matt und dunkel."
    Größtes Shoppingcenter der Welt
    Na, - da ist sicher auch ein Rock für mich dabei. Aber jetzt muss ich erstmal meine Suche beenden.
    "Ganchos estoy buscando...Ganchos no hay?”
    Gleich daneben gibt es einen Stand mit bunten Schleifen, Zubehör zum Nähen und ...
    "Hay ganchos señora? Hay Ganchos. Hay. Si! Muy bien por fin."
    Na, wunderbar - hier sind sie also: 20 Sicherheitsnadeln für 25 Cent - ein guter Preis. Jetzt muss ich nur noch hier rausfinden aus dem größten Shoppingcenter der Welt.