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Bologna-Prozess bei Professoren nicht beliebt

Mehr als die Hälfte der Lehrenden ist unzufrieden mit den Veränderungen seit Bologna, das zeigt eine aktuelle Studie. Holger Burckhart, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, fordert, dass die Bologna-Ideen besser ausgeschöpft werden sollten.

Holger Burckhart im Gespräch mit Marina Schweizer |
    Marina Schweizer: Es gibt kaum noch Studierende, die irgendwann mal im Diplom- oder Magisterstudium angefangen haben und jetzt ins Bachelor- oder Mastersystem gerutscht sind. Sie können also nur noch selten direkt vergleichen zwischen vor und nach Bologna. Bei Professoren und anderen Lehrenden sieht das anders aus, viele von ihnen waren schon vor der Reform an den Hochschulen. Und wer vergleichen kann, tut das oft besonders kritisch, auch gerne etwas wehmütig. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz hat jetzt die Sicht der Lehrenden zum Wandel von Lehre und Studium erfragt. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte von ihnen ist mit den Veränderungen seit Bologna unzufrieden.

    - Über das Ergebnis möchte ich jetzt mit Holger Burckhart sprechen. Er ist Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz und für Lehre und Studium zuständig. Herr Burckhart, sehen Sie sich nach der guten alten Diplomzeit zurück?

    Holger Burckhart: Nein, auf keinen Fall. Denn ich denke, dass wir mit der Umstellung durch die Bologna-Reform Perspektiven in die hochschulische Lehre bringen konnten, die der Lebenswirklichkeit der Studierenden, der Studieninteressierten, also auch der Absolventen und der Studienverläufe viel näher kommt als das klassische Diplom.

    Schweizer: Woher rührt denn dann der Unmut zehn Jahre nach der Bologna-Reform?

    Burckhart: Ja, für diese ist die Bachelor-Master-Konstruktion sicherlich sehr angemessen. Der Unmut kommt daher, dass wir uns zu wenig Zeit genommen haben, das umzustellen. Dass wir zu wenig Mittel in die Hand genommen haben, das zu unterstützen, diesen Umstellungsprozess aufseiten der Hochschulen. Dass wir drittens unsere Kollegen auch nicht eingebunden haben genug – das ist auch ein kritischer Appell an die Hochschulen selber – in die Neuorientierung der Lehrer, die Chancen, die Bologna geboten hat, deutlicher zu machen. Hier hätten Politik und Verantwortungsträger an Hochschulen deutlicher an den einzelnen Lehrenden herangehen müssen, an das System Universität-Hochschule-Fachhochschule selbst herangehen müssen. Und hätten hier mehr Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit leisten müssen.

    Schweizer: Nun ist ja schon viel nachgebessert worden, auch was zum Beispiel die Flexibilität in den Studiengängen betrifft. Ist da nicht schon vieles möglich, was da als unmöglich kritisiert wird?

    Burckhart: Ja, das ist so, da würde ich Ihnen vollkommen recht geben! Wenn ich heute höre, dass – nehme wir ein paar klassische Beispiele – Engführung der Studiengänge kritisiert wird. Dann muss ich sagen, dann haben die Kolleginnen und Kollegen vor Ort noch nicht umgesetzt, was Bologna ermöglicht, nämlich Modularisierung. Modularisierung heißt geradezu Aufweitung, Sinneinheiten, Zusammenhänge zu schaffen. Nicht mehr, dass sie nur die Literatur des 17. Jahrhunderts und hier noch unter der Perspektive A oder B, sondern dass sie sich mit Literaturwissenschaft insgesamt befassen, als Beispiel dann das 17. Jahrhundert. Wenn Sie so etwas nehmen, also Sinneinheiten herzustellen, das haben wir noch nicht umgesetzt. Wir haben die Internationalisierungsmöglichkeiten noch ausgeschöpft, die Bologna bietet, durch Learning Agreements feste Mobilitätsfenster den Studierenden zu geben. Wir haben noch nicht die Kompetenzorientierung umgesetzt, wir basteln immer noch Studiengänge, die Lern-Output-orientiert sind, wo wir abfragbares Wissen statt, wie auch mit der Modularisierung eben schon angesprochen, auf Sinneinheiten zu gehen. Die aber dabei auch berücksichtigen Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden, über interkulturelle Kompetenz, zum Beispiel durch Internationalisierung. Und wir haben viertens noch nicht begriffen und ergriffen alle Chancen, die sich hinsichtlich Mobilität ergeben. Und genau das spiegelt die Studie wider, dass da auch genau die Unzufriedenheiten liegen, dass wir das noch nicht ausschöpfen. Und ich glaube, da müssen wir Hochschulen uns aber auch selber ein Stück an die Nase packen lassen und sagen, okay, also, wir setzen uns noch mal daran!

    Schweizer: Sie sprechen die operativen Möglichkeiten an. Wo sind denn konkret die Stellschrauben, an denen überhaupt noch verbessert werden kann?

    Burckhart: Ja, also, wenn wir bei der Internationalisierung anfangen, sind es ganz einfache Dinge, dass die Hochschulen hingehen, nehmen ihre Partnerhochschulen zunächst mal. Und schauen, welche Studienprogramme sind vergleichbar, wo könnten wir Studienleistungen ohne Probleme, ohne Aufwand gegenseitig anerkennen? Und lassen sich hier sogar Tauschsemester grundständig in Studiengänge einbauen? Das sind sogenannte Mobilitätsfenster. Das wäre zum Thema Internationalisierung von Lehre. Ich meine jetzt hier wirklich auf Bologna bezogen. Bei der Modularisierung, dass wir noch mal Studienverlaufspläne uns vornehmen und sagen, wo können wir hier größere Sinneinheiten schaffen, fassen die zu größeren Modulen zusammen. Dann haben die Studierenden auf der einen Seite viel mehr Lehrveranstaltungen in einem Modul. Und das Modul wird dann formuliert, du erwirbst hier Kompetenzen zur Literaturtheorie und zum literaturwissenschaftlichen Arbeiten des 17. Jahrhunderts. Und hier bieten wir dir 20 gleichwertige Veranstaltungen an, hieraus musst du vier Veranstaltungen auswählen. Statt, wie wir es jetzt gemacht haben, kleinteilig hintereinanderzuschalten, zu verdichten und die Studierenden hier auch zu hetzen. Das Dritte ist, dass wir als Output sozusagen nicht uns über Noten unterhalten und uns nicht über Graduierungen unterhalten – natürlich den Bachelorgrad, aber nicht über notenbasierte, sondern über kompetenzbasierte. Und sagen, wenn du den Bachelor hast, dann hast du die und die Kompetenz dir erworben. Das sind die entscheidenden drei Stellschrauben, wo wir sofort dran drehen können, wo wir auch sofort uns an die Arbeit setzen können.

    Schweizer: Eine aktuelle Studie im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Lehrenden unzufrieden ist mit den Veränderungen im Studium und Lehre seit Bologna. Darüber sprach ich mit Holger Burckhart, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz. Danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.