Manfred Götzke: Seit der Bologna-Reform können Hochschulen neue Studiengänge nicht einfach so einrichten und gut ist, sie müssen sich das Ganze genehmigen, akkreditieren lassen, bisher von privaten Akkreditierungsagenturen, die ihre Gutachter an Institute und Fakultäten schicken. Das könnte sich aber bald ändern: Letzten Freitag hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die Hochschulakkreditierung, so wie sie in Nordrhein-Westfalen gehandhabt wird, ist verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe die Dinge faktisch aus der Hand gegeben. Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Herr Kempen, ist die Akkreditierung durch private Agenturen damit Geschichte?
Bernhard Kempen: Sagen wir mal so, das ganze System ist ganz erheblich erschüttert. Man kann auch sagen, die Akkreditierung in der Form, wie wir sie bisher erlebt haben mit dem Beginn des Bologna-Prozesses, diese Form der Akkreditierung wird es so sicher nicht mehr geben.
"Die Rechtsgrundlagen sind in hohem Maße defizitär"
Götzke: Haben die Agenturen denn bisher schlechte Arbeit geleistet?
Kempen: Das würde ich noch nicht mal sagen, aber die Rechtsgrundlagen, auf denen sie gearbeitet haben, die sind in hohem Maße defizitär. Die haben sich als untauglich erwiesen. Die Arbeit, die geleistet wurde, sie war nicht im Ergebnis schlecht, aber in der Art und Weise, wie sie zustande kam, hat sie sich als eine Belastung erwiesen, die wir in den Hochschulen so nicht mehr tragen wollen und auch nicht mehr tragen werden.
Götzke: Worin bestand die Belastung?
Kempen: Die Verfahren waren schlichtweg überbürokratisch. Da wurden 600 Seiten starke Aktenordner angefertigt, die nie ein Mensch wirklich gelesen hat. Da wurden Entscheidungen gefällt, die an der Wissenschaft und an den Interessen der Studierenden vorbeigehen, und insofern muss ich sagen, haben alle, die in der Szene tätig sind, haben eigentlich, salopp gesagt, die Schnauze voll davon. So geht das nicht. Wir wollen Qualitätssicherung, wir wollen dafür sorgen, dass die Studiengänge passgenau an andere Studiengänge andocken, dass Beschäftigungsfähigkeit hergestellt wird, dass die Studiengänge studierbar sind für unsere Studierenden, aber das schaffen wir nicht, wenn wir solche Verfahren haben, wie die bisher gehandhabten Akkreditierungsverfahren.
"Die Akkreditierungsverfahren waren schlichtweg viel zu kleinteilig"
Götzke: Sie haben es jetzt schon angedeutet. Es wurden 600 Seiten starke Ordner angefertigt. Worin lagen denn noch die Probleme, also dass die Professoren, die externen Professoren zu lange an der Hochschule begutachtet haben, oder was war das konkrete Problem bei Ihnen?
Kempen: Nein, gegen Gutachten ist ja grundsätzlich nichts zu sagen, aber die Akkreditierungsverfahren waren schlichtweg auch viel zu kleinteilig. Da gibt es diese Modulhandbücher – dann wird in den Verfahren darum gefeilscht, ob eine Vorlesung im Zusammenhang mit einem Seminar, mit einer Übung, wie viele ECTS-Punkte das gibt. Dann finden unsinnige Begehungen statt, in denen buchstäblich – das ist kein Witz, was ich Ihnen erzähle – dann ein Hauptbeschäftigter einer Akkreditierungsagentur mich bei der Begehung eines juristischen Studiengangs allen Ernstes fragt, ob wir denn jetzt nicht mal ein Labor betrachten können. Ich habe auch zuerst gedacht, das sei ein Witz, das war aber gar keiner, sondern da ist auch schlichtweg in den Agenturen eine Ignoranz und Inkompetenz am Platz, dass man sich wirklich nur an den Kopf fassen kann. Wir müssen das machen. Der Gesetzgeber, das ist unsere Forderung, der soll uns dazu verpflichten, der soll uns rechtsaufsichtlich soll der schauen, dass wir diese Arbeit auch erledigen. Wir wollen da auch gerne mit unseren Studenten zusammenarbeiten, um unsere Studiengänge besser zu machen, aber bitte nicht so wie bisher mit diesen halbstaatlichen Agenturen, in denen irgendwelche abgewrackten Wissenschaftsfunktionäre sitzen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.
"Wir haben die Aufgabe, für die Qualität zu sorgen"
Götzke: Können sich die Hochschulen also besser selbst akkreditieren und ihre Studiengänge selbst genehmigen?
Kempen: Ja, zur Autonomie der Hochschulen gehört, dass sie für ihre Studiengänge verantwortlich sind, aber zum Zusammenspiel mit dem Staat gehört auch, dass der Staat uns in den Arm fallen darf, wenn er merkt, da ist ein Studiengang am Werk oder der läuft dort, und das ist nicht gut, was da läuft. Die Absolventen finden keinen Job, die Studiengänge sind zu lang, da hakt es an allen Ecken und Enden, dann darf der Staat uns da auch sehr wohl in den Arm fallen, aber vorher sind wir dran, und wir haben die Aufgabe, für die Qualität zu sorgen.
Götzke: Das heißt, wenn jetzt staatlich, also Leute vom Wissenschaftsministerium bei Ihnen vorbeikämen und sich das alles anschauen würden, dann hätten Sie damit kein Problem?
Kempen: Da haben wir überhaupt kein Problem. Ich habe früher schon öfters vorgeschlagen, man kann auch ins Gesetz schreiben, dass das Ministerium stichprobenartig auch an den Akkreditierungs- und Qualitätssicherungsvorgängen, die wir in den Hochschulen durchführen wollen, dass das Ministerium hier stichprobenartig als Beobachter in diesen Verfahren teilnehmen darf. Wir wollen diese Aufgabe erfüllen, aber das, was wir bisher erlebt haben, war, dass diese Verfahren überbürokratisch sind, viel zu lang dauern, viel zu teuer sind. Ein Studiengang kostet 15.000 Euro Akkreditierung und muss alle drei Jahre reakkreditiert werden. Das Geld würden wir viel lieber in die Studiengänge stecken zum Nutzen unserer Studenten.
Götzke: Welche Konsequenzen sollten die Bundesländer jetzt ziehen? Die Entscheidung weist ja über NRW hinaus.
Kempen: Ja, da haben Sie sehr recht. Die Entscheidung betrifft nicht nur Nordrhein-Westfalen und betrifft auch nicht nur die Akkreditierung von privaten Fachhochschulen, sondern sie betrifft alle Hochschulen, und das heißt auch die Universitäten. Das heißt, wir müssen in allen Bundesländern jetzt tätig werden, der Gesetzgeber muss hier, jeder Gesetzgeber in den Bundesländern muss jetzt an sein Hochschulgesetz ran und muss sich überlegen, wie er die Qualität von Studiengängen sicherstellen will. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, die einen sehr großen Rückhalt in der scientific community haben, und wir würden uns sehr freuen, wenn diese Vorschläge in den Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt würden.
"Wir müssen dafür sorgen, dass die Bachelor-Studiengänge an einen Master-Studiengang andocken können"
Götzke: Welche Vorschläge sind das? Vielleicht können Sie das mal kurz skizzieren.
Kempen: Gesetzgeber, verpflichte doch die Hochschulen auf zentraler Ebene, auf Rektorats- oder Präsidiumsebenen eigene Qualitätssicherungseinrichtungen zu schaffen, und gib denen den Rahmen vor, den sie da ausfüllen müssen, das heißt, die Ziele vor, was ist eigentlich Qualität in einem Studiengang. Dazu gehört zuallererst mal die Studierbarkeit für die Studierenden. Das klingt so banal, ist aber angesichts des Bologna-Prozesses gar nicht so banal. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bachelor-Studiengänge an einen Master-Studiengang andocken können, dass ein Studiengang im Ausland oder an einer anderen Universität im Inland andocken kann. Das sind die Ziele, die vorgegeben werden müssen, und vorgeben darf der Gesetzgeber uns auch, wie wir das machen, das heißt, dass hier Professoren und Studenten und externe Gutachter zusammenwirken. Auch das darf der Gesetzgeber uns gerne ins Gesetz schreiben.
Götzke: In den letzten Jahren wurde extrem viele neue Spezialstudiengänge akkreditiert von Coffee Management bis vegane Ernährung. Inwieweit sind die Agenturen, das bisherige System dafür verantwortlich?
Kempen: Die sind da mitverantwortlich, weil die durch die Lande gezogen sind und immer gesagt haben, also wenn ihr einen neuen Studiengang machen wollt, dann müsst ihr ein Alleinstellungsmerkmal haben. Das heißt, der Studiengang muss einzigartig sein. Es war von vornherein klar, dass das zu 90 Prozent Bullshit ist. Warum? Wenn die Studiengänge einzigartig sind, dann haben Sie keine Möglichkeit, an einen anderen Ort zu wechseln, dann haben Sie keine Möglichkeit, an diesen Studiengang irgendwie anzudocken, und damit wird ein Hauptziel des Bologna-Prozesses, nämlich Mobilität der Studierenden, geradezu konterkariert.
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